15. Jahrgang | Nummer 24 | 26. November 2012

Pugwash: „Remember Your Humanity and Forget the Rest“ (III)

von Götz Neuneck

Das Ende der Blockkonfrontation hat zwar die akute Gefahr eines nuklearen Krieges zwischen Ost und Welt beendet und eine große Abrüstungswelle in Europa ermöglicht, aber weltweit existieren noch etwa 20.000 Nuklearwaffen, 95 Prozent davon in den Händen der USA und Russlands. Unsichere und veraltete Sprengköpfe werden zwar zerstört, aber substanziell werden die Nukleararsenale der Supermächte nicht entscheidend verringert. Zu den anderen legalen Nuklearwaffenstaaten Großbritannien, Frankreich und China – Artikel IX des Kernwaffensperrvertrages (NPT) legte als „Wasserscheide“ den 1. Januar 1967 fest –, sind die De-facto-Nuklearwaffenstaaten Israel, Nordkorea, Indien und Pakistan hinzugekommen. Die beiden letzteren liefern sich einen regionalen Rüstungswettlauf, ohne dass der Westen einschreitet. In Pakistan stellt sich die Frage, ob die dortigen Nuklearwaffen angesichts fortbestehender Terrorgefahren dauerhaft gesichert gelagert sind. Der Iran steht im Verdacht Nuklearwaffen, entwickeln zu wollen, und baut sein friedliches Nuklearprogramm aus. Sanktionen, basierend auf UN-Resolutionen, treffen das Land. Der Westen ist aber weitgehend ideenlos und Iran verhärtet, zumal die Kriegsdrohungen gegen das Land, insbesondere seitens Israel, unverhohlen anschwellen. Iranische Kernphysiker wurden Opfer von Attentaten. Israels Nuklearwaffen hingegen sind für den Westen kein Thema, sie werden als „Sicherheitsgarantie“ hingenommen. Diverse Bundesregierungen lieferten sogar U-Boote an Tel Aviv, die als nukleare Trägersysteme genutzt werden.
Offensichtlich verharren die sicherheitspolitischen Eliten des Westens in den Denkmustern des Kalten Krieges. Man unterscheidet zwischen dem „guten“ und dem „schlechten“, dem demokratischen und dem autokratischen Atom. Es ist klar, dass diese „nukleare Ordnung“ auf Dauer nicht stabil bleiben kann und keine Antwort auf die Probleme des 21. Jahrhunderts ist.
Vor diesem Hintergrund ist die Nah- und Mittelost-Region zum Schwerpunkt der Pugwash-Arbeit geworden. Deutlich zeigte sich dies bei der letzten großen Pugwash-Jahrestagung in Berlin im Juli 2011, bei der Themen wie Afghanistan, Palästina, Indien und Pakistan sowie der Nahe und Mittlere Osten im Zentrum der Diskussionen standen.
Auch die traditionellen Nuklearwaffenstaaten zeigen keine Neigung, ihre eigenen Nuklearwaffen aufzugeben, obwohl deren Einsatz nicht denkbar ist. Ex-US-Präsident Ronald Reagan, in den 1980er Jahren selbst für eine große Aufrüstungswelle verantwortlich, schrieb – altersweise – später: „Nuklearwaffen sind total irrational, total unmenschlich, für nichts gut außer zum Töten, wahrscheinlich zerstörerisch für das Leben auf der Erde und Zivilisation.“ Sein amtierender Nachfolger Barack Obama hatte mit seiner Rede in Prag 2009 viele Hoffnungen auf drastische Abrüstung und die Abschaffung der Nuklearwaffen geweckt. Obama hatte Amerikas Verpflichtung unterstrichen, „nach Frieden und Sicherheit in einer Welt ohne Atomwaffen zu streben“. Allerdings auch gewarnt: „Das Ziel wird sich nicht rasch erreichen lassen. Vielleicht auch nicht in der Zeit meines Lebens. Es wird Geduld und Beharrlichkeit erfordern.“ Viele ehemalige Politiker haben sich mit diesem Ziel solidarisiert, darunter frühere amerikanische Außen- und Verteidigungsminister, aber auch Politiker aus Europa wie Helmut Schmidt oder Michael Gorbatschow.
Immerhin konnte der internationale Rüstungskontrollprozess wiederbelebt werden. Der Neue START-Vertrag zwischen den USA und Russland trat im Februar 2011 in Kraft. Nach dem jüngsten Datenaustausch verfügen beide Staaten aber zusammen immer noch über 3.356 Sprengköpfe auf 1.238 strategischen Trägern; das sind Zahlen, die weder sicherheitspolitisch noch auch nur fiskalisch gerechtfertigt sind. Diese hohen Arsenale sind letztlich nur mit der Aufrechterhaltung der Strategien des Kalten Krieges zu erklären: Mehrfache Zielabdeckung, präemptiver Erstschlag und Worst-Case-Denken angesichts der Einführung von Raketenabwehrsystemen sind die Präferenzen des Militärs.
Entscheidende Hürden sind bisher nicht genommen: Wichtige Rüstungskontrollverträge wie der Umfassende Teststoppvertrag sind nicht ratifiziert, Verhandlungen über globale Beendigung der Produktion von spaltbarem Material für Kernwaffen sind nicht beschlossen und der KSE-Vertrag steht vor dem Aus. Der Schwung für nukleare und konventionelle Abrüstung scheint längst wieder abgeebbt zu sein.
Beunruhigend sind auch die Modernisierungsanstrengungen aller Nuklearwaffenstaaten. Russland testet neue Varianten von Langstreckenraketen. Neue Atom-U-Boote und Bomber sind in der Planung. Die Obama-Administration plant Investitionen von 180 Milliarden US-Dollar für die Modernisierung der amerikanischen Atomwaffen über das gesamte Spektrum der Typen und Trägersysteme, darunter auch der in Europa stationierte B61-Bomben. Die NATO, will diese Modernisierung mittragen, allerdings ist unklar, ob die Bundesregierung neue Trägersysteme dafür anschaffen möchte. Im Verhältnis zu Russland blockiert darüber hinaus die Kontroverse um die Einführung amerikanischer Raketenabwehrsysteme jeden weiteren Abrüstungsfortschritt. Inzwischen arbeiten auch Indien und China an der Raketenabwehr. Nichtnuklearwaffenstaaten, die über Zugang zu spaltbarem Material verfügen, werden überlegen, ob sie nicht selbst Nukleararsenale aufbauen, allen voran Iran. Eine Kettenreaktion im Mittleren Osten ist ebenso wenig ausgeschlossen wie in Asien. Wenn Nuklearwaffen sich weiter verbreiten, steigt die Gefahr nuklearer Konflikte …
Am Ende des Russel-Einstein-Memorandums von 1955 hieß es: „Vor uns liegt, wenn wir richtig wählen, ein beständiges Fortschreiten von Glück, Wissen und Weisheit. Sollen wir stattdessen den Tod wählen, bloß weil wir unsere Streitereien nicht vergessen können? Wir wenden uns als Menschen an unsere Mitmenschen: Erinnert Euch Eures Menschseins und vergesst alles andere! Wenn Ihr das vermögt, dann öffnet sich der Weg zu einem neuen Paradies. Könnt Ihr es nicht, dann droht Euch allen der Tod.“

Teil I und II dieses Beitrages erschienen in den Ausgabe 22 und 23/2012.