15. Jahrgang | Nummer 23 | 12. November 2012

„Bedingt abwehrbereit“ – aber unbedingt angriffswillig (I)

von Korff

Vor fünfzig Jahren, das war ein Jahr! Am 3. Januar die Meldung, dass Papst Johannes XXIII. Fidel Castro exkommuniziert habe. (Vom Sekretär des Papstes wurde dieser Sachverhalt in Nachhinein bestritten.) „Freuen dürfen sich alle, die Frieden stiften“, verheißt Matthäus 5, 9. Ganz in diesem Sinne warb der Papst dann im Oktober des nämlichen Jahres, auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, bei den Seinen und in der ganzen Welt um „Verständnis für Andersgläubige“.
Jeglichen Glauben an den Sinn des Lebens, mit und ohne „Mr. President“, hatte Marilyn Monroe verloren; sie kam am 5. August zu Tode. Es folgte der heiße Herbst mit der Kubakrise, die am 28. Oktober glimpflich endete.
Deutschland, jedenfalls die Bundesrepublik, trug auch eigenes Denkwürdiges bei – die Spiegel-Affäre. Ausgelöst durch die Titel-Story „Bedingt abwehrbereit“ der Ausgabe 42/1962, in der der stellvertretende Chefredakteur des Magazins, Conrad Ahlers, – den damaligen Zustand der Bundeswehr und das Bestreben von Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß enthüllte, im Falle eines militärischen Konflikts auf deutschem Territorium schnell und massiv taktische Kernwaffen einzusetzen. Jetzt, 50 Jahre später, teilte Spiegel Online unter der Überschrift „Bundeswehr erwog vorbeugenden Atomschlag“ mit: „Dem Spiegel liegen bislang geheime Unterlagen der Bundesregierung und der Bundesanwaltschaft zur Spiegel-Affäre sowie US-Dokumente vor. Daraus ergeht, dass das Verteidigungsministerium Anfang der sechziger Jahre einen vorbeugenden Atomschlag (,preemptive strike’) gegen die Sowjetunion erwog. Damals führte der CSU-Politiker Franz Josef Strauß die Behörde. Die Pläne waren Teil der sogenannten Kriegsbildstudie, die hohe Bundeswehroffiziere 1961/62 erstellten. Sie sollten die Rolle der Bundeswehr in einem dritten Weltkrieg untersuchen. Dabei entwickelten die Offiziere ein Szenario, in dem der Westen gegeneinen, einwandfrei erkannten feindlichen Großangriff’ atomar zuschlägt, ,ganz kurz bevor dieser losbricht’.“ Dazu wurde die Nebeninformation geliefert, wes Geistes Kind derartige Überlegungen waren: „In Washington sorgten die Gedankenspiele für große Unruhe. Nach einem Treffen mit Strauß hatte der amerikanische Außenpolitiker Henry Kissinger seine Regierung zuvor ermahnt, die amerikanischen Atomwaffen und deren Lager auf deutschem Boden so zu sichern, dass es ,physisch unmöglich’ werde, die Nuklearwaffen, zu nehmen oder einzusetzen ohne unsere Zustimmung’. Strauß sei in einer Krisensituation zuzutrauen, die Waffen einfach zu nehmen’, also US-Atombomben zu stehlen, wenn er das im Interesse der Bundesrepublik für notwendig erachte.“
Ende der Mitteilung, die Anfang einer neuen Sicht auch auf die deutsch-deutschen Dinge am Anfang der 1960er Jahre sein könnte; selbst ohne einen neuen „Forschungsverbund“, vorausgesetzt, man will.
Der Spiegel hatte in seiner jetzigen Aufarbeitung der Affäre diese Enthüllung – obwohl in der Vorschau damit werbend – zwar nicht im Fokus, deren Brisanz aber sehr wohl. Denn dies gehört ganz wesentlich zur Sache der Affäre, die Kanzler Adenauer, dem höchst ungeliebten Franz-Josef Strauß hier beipflichtend, als „Abgrund von Landesverrat“ erkannte.
Jetzt liegt der dokumentierte Nachweis vor, wenn auch selbst gegenwärtig vom zuständigen Ministerium immer mal wieder gesperrt, dass es seinerzeit deutsche Pendants zum damaligen Stabschef der US Air Force, Curtis LeMay gab, der die gesamte US-Bomberflotte schlagartig gegen Kuba loslassen wollte mit dem Bemerken: „Bomben wir sie einfach ins Steinzeitalter zurück“.
Die Kriegsbildstudie, von der der Spiegel berichtet – Korff stützt sich bei den weiteren Sachangaben auf den umfangreichen Beitrag zur Spiegel-Affäre in der Ausgabe 38/2012 des Magazins sowie auf den „Skandal“-Artikel von 1962 – wurde im „Stab für NATO-Übungen“ in Bensberg im Dezember 1961 begonnen. Über das Ergebnis berichtete entsetzt Oberst Alfred Martin aus dem Führungsstab des Heeres: Der „preemptive strike“ würde „hauptsächlich deutsches Land, deutsche Kultur und deutsche Bevölkerung beiderseits des Eisernen Vorhangs der Vernichtung aussetzen“.
Das ging selbst einigen Mit-Planern in der Bundeswehr wie diesem Oberst Martin zu weit, der neben Politikern auch den Spiegel ins Bild setzte. Der brachte unter dem Titel „Bedingt abwehrbereit“ dann nicht zuletzt Zahlenangaben von der gerade beendete NATO-Stabsrahmenübung „Fallex 62“, die ergeben hatte: zehn bis 15 Millionen Tote nach wenigen atomaren Kriegstagen allein in der Bundesrepublik und in Großbritannien. Die kollateralen Toten in der DDR wurden seinerzeit nicht mitgeschätzt. „Bedingt abwehrbereit“ vermerkte im Übrigen: „Die Strauß-Obristen verfertigten ihre Kriegsbild-Studien, obwohl die amerikanische Regierung einen ,preemtive strike’ bislang immer abgelehnt hat.“

Wird fortgesetzt.