15. Jahrgang | Nummer 21 | 15. Oktober 2012

Über Bohnen und Kohlköpfe – Erntekomplex (Teil 2*)

von Thomas Behlert

Neben Möhren, Kraut, das erst im Herbst richtig zum Ernten bereit steht und hier in einem späteren Text die gebührende Würdigung erhält, ist die Bohne noch ein typisches Gemüse, das sich zu ernten lohnt. Wenn die Buschbohnen auf den Feldern lange Früchte tragen und die Stangenbohnen nicht minder, wird leichtes Gerät aufgefahren und geerntet. Bei kleineren Anbauflächen kann man dieses grüne, gebraten, gekocht und als Salat ganz hervorragend schmeckende, Gemüse mit der Hand ernten. Einfach die Schoten am Stängel abzwicken und in einen Korb schmeißen. Das Wetter beschert vielen Anbauern jede Menge Gemüse, zumal die Nacktschnecken und Kaninchen als Schädlinge fast ausblieben.
In den 1980er Jahren mußte man als DDR-Student vor jedem Semester an Ernteeinsätzen teilnehmen. So kam ich dazu, mich näher mit Bohnen zu beschäftigen. Ich fuhr den Erntetraktor und ein Studentenkumpel saß mit den Mädels am Sortierband.
Was macht der Student, wenn in dem Dorf nur jugendliche Schreckschrauben wohnen und so nur die Dorfkneipe bleibt? Er geht in diese und säuft sich die Schrauben schön. Das Bier war nicht teuer und die Bohnenernte noch weit.
Am nächsten Tag gab es dann immer Beulen an den Erntegeräten und russischen Traktoren, denn die Gänge ließen sich trotz Zwischenkupplung schlecht legen und so weit nach unten bücken wollte man sich auch nicht, aus den bekannten Gründen. Freund Putti saß ebenfalls mit Restalkohol kämpfend an der Sortiermaschine. Einmal war es bei ihm zu viel mit dem Trinken und dem stoisch und immer in der gleichen Geschwindigkeit an seinen Augen vorbei gleitenden Stangen- und Buschgemüse: Er kotzte seinen Magen leer, mitten auf die Bohnen. Regungslos und überhaupt nicht protestierend guckten wir alle zu, denn man würde diese Bohnen sowieso nie wieder sehen, sie waren nämlich für den Export in die BRD bestimmt. „Dem Klassenfeind schaden wo man nur konnte“, war unsere die Devise.

Was der Bauer jetzt alles so ertragen muß. Da werden seine Felder zerstört, nur weil er mit etwas Gen-Mais experimentiert. Na, der kommt doch sowieso nicht auf den Tisch, da immer mehr „Umweltbewusste“ Bio-Diesel tanken und dieses komische E-10. Also baut man immer mehr Mais an und besonders in Ländern, die schon jede Menge hungernde Menschen haben. Der Mais hat den Kohlkopf als Erntegigant abgelöst.
(Die nächsten Zeilen sind: FSK 18) In der Zeit, in der man auf jedem Mittagsteller eine Sättigungsbeilage in rot oder weiß liegen hatte, Kohlrouladen von Kohlsuppe und Kohlklump abgelöst wurden, bauten die Genossenschaftsbauern auf gigantisch vielen Hektar Blumenkohl, Rotkohl, Weißkohl, und Wirsing an. Da wurde im Vorfeld nicht gefragt, ob manch Gift auch für die kleinen, süßen Hamster gefährlich werden kann, da bekamen diese mistigen Schädlinge eine ordentliche Bekämpfung an den Hals. Kaum waren die Jungpflanzen im Boden, schon hamsterten die Tiere mit den dicken Backen diese wertvolle Frucht. Der Ingenieur für Agrochemie und Pflanzenschutz (Ich) ging nun mit einigen einfachen Lagerarbeitern, Lehrlingen und Bauersfrauen über die Kohlschläge und steckte in die Löcher der Hamsterbauten kleine runde Phosphortabletten. Dieses musste natürlich am Vormittag geschehen, damit der Baubesitzer sich zum letzten Mal eine Nase holen konnte. Für flüchtende Hamster hatten die Jungs und Mädels immer einen schön geschnitzten Knüppel dabei.
Als dann im Herbst die Kohlköpfe schön groß waren und die Scheunen leer geräumt, konnte die LPG Gemüseproduktion mit der Ernte beginnen. Die Zeitungen hatten wieder etwas zu schreiben: Über Erntekapitäne, über wertvolle Vitamine und Kohlrezepte. In die Pflicht nahmen die Blätter die letzten Gammler, dass sie nicht an Ampeln und geschlossenen Schranken Kohlköpfe vom Hänger klauen sollten, denn es ist Gemeingut.
Die schwer beladenen Hänger wurden zumeist von Traktoren Belarus MT 3-80/82 gezogen oder aber auch von MTS 570 und 572 mit ganzen 62 PS. Den wichtigeren Teil, die unmittelbare Feldernte absolvierten dicke Traktoristen mit der Kohlerntemaschine E 800 und der neueren, trotzdem immer noch sehr anfälligen, Kohlerntemaschine E 804 A.
Als es dann ans Mieten bauen ging, war viel Handarbeit nötig. Diese wurde zumeist von einfachen russischen Soldaten gemeistert, die die LPG im Tausch gegen Wagenladungen Weißkohl gerne nahm. Die Soldaten kamen ohne Zigaretten, Brot und warme Getränke, aber mit dem aufgezwungenen Willen bis spät in die Nacht für Nachschub zu sorgen, denn Bortsch, Soljanka und Sauerkraut wollten gekocht sein. Die Leckereien bekamen sie von den Bauern überreicht. Da konnte es schon sein, dass am Ende der Erntesaison nach vielen Zigaretten plötzlich eine Kalaschnikow mit 100 Schuss Munition in seinem Fahrzeug lag oder der Tankwart neben der Zapfsäule einige große Fässer voller Diesel mit russischer Aufschrift fand. Die schließlich entdeckte Handgranate entpuppte sich als Übungsteil. Sie hatte auf dem weiten Feld nur eine geringe Sprengkraft.
Als dann die Winter wärmer waren, als erhofft, musste der eingelagerte Kohl aus den Scheunen verschwinden, denn es matschte, nässte und stank schon gewaltig. Die Gemüseläden boten Rot- und Weißkohl für wenige Pfennig an und alle Betriebe der näheren Umgebung wurden zu Kohlroulade, Krautsuppe und riesige Portionen Sättigungsbeilage verpflichtet.
Man freute sich bald schon auf Abwechslung, auf die ersten Bohnen, doch das war eine andere Geschichte.

* – Teil 1 dieses Beitrages wurde in der Ausgabe 18/2012 publiziert.