15. Jahrgang | Nummer 19 | 17. September 2012

Vision einer postkapitalistischen Lösung

von Gerhard Burow

„Die Systemfrage zum Kapitalismus ist also zwingend zu stellen und kulminiert in der Änderung der Distributionsverhältnisse. Das fängt mit der Rolle des Geldes an! Als Ziel wird eine gemeinwohlbasierte Gesellschaft postuliert.“ Diese Zeilen zum Abschluss meines Beitrages „Die ‚Systemfrage’ heute“ (Das Blättchen 16/2012) sind eine Aufforderung, nicht nur systemimmanente Probleme zu analysieren, sondern auch einen Alternativvorschlag eines Verteilungsmodell nach dem Kapitalismus zu entwerfen. Das Hauptproblem ist dabei unsere Sicht des Geldes. Jeder sieht Geld als Zahlungsmittel und so soll es auch bleiben. Dass es aber auch Kapital wird, ist in seiner Bedeutungsschwere nicht sofort einsichtig, obwohl sich daraus  alle Konsequenzen und Probleme der Verteilung und Umverteilung von Einkommen (also auch Gewinnen) in der kapitalistischen Marktwirtschaft ableiten. Jede Form menschlicher Tätigkeit wird „durchkapitalisiert“ und soll also Gewinn abwerfen. Vor allem aber haben Finanzprozesse in der Zirkulationssphäre die Bedeutung der Realwirtschaft verdrängt. Inzwischen hat sich unter dem Begriff der „Finanzindustrie“ eine neue Qualität internationaler Finanzbeziehungen herausgebildet, die eine realwirtschaftlich basierte kapitalistische Marktwirtschaft modifiziert haben. Mit diesem Prozess eskalieren aber auch die „Implosionstendenzen“ eines solchen Systems, und das weltweit.
Was kann man also anbieten, wenn global die Finanzplätze und Insti­tutionen der Finanzindustrie kollabieren? Natürlich wird es immer mehr als eine Option geben. Will man sich aber aus der apokalyptischen Umklammerung des Finanzkapitals befreien, will man gewährleisten, dass jedem Bürger dieser Erde Einkommen aus Arbeit zusteht und seine intelligente Kreativität die elementaren Überlebensprobleme löst, dann kann der Denkansatz nicht systemimmanent sein. Dem würde die kapitalistische Marktphilosophie entgegenstehen!
Eine gemeinwohlbasierte Folgegesellschaft muss die Verwandlung von Geld in Kapital verhindern. Trotzdem sollen alle marktwirtschaftlichen Aspekte des Produzierens, Austauschens beziehungsweise Konsumierens und Investierens weiter funktionieren. Um eine solche Transformation überhaupt zu „stemmen“, haben sich die Regierungen aller Staaten der Erde einfach nur stark zu machen, also ihre legitimierte Macht zu gebrauchen, indem sie sich besinnen, dass sie von ihrem Volk gewählt und für sein Wohlergehen verantwortlich sind. Es bedarf weder irgendwelcher Revolutionen noch einer Veränderung der Eigentumsverhältnisse in der Gesellschaft! Die Regierungen der Staaten der Erde können aus eigenem Recht heraus eine Finanzverfassung konstituieren, die den Umgang mit dem Geld regelt, weltweite Geltung besitzt und gleiche Verteilungsbedingungen schafft.
Kommt es zum Crash, stehen sofort alle Schulden auf dem Plan, die die Finanzinstitute, Regierungen aber auch einzelne Personen verantworten. Damit unterliegen sie automatisch sogenannten „planmäßigen“ Insolvenzverfahren, in denen zwingend festzustellen ist, inwieweit die Schulden realwirtschaftlich oder aus Konsumprozessen bedingt sind oder aber aus Operationen der Finanzindustrie resultieren. Erstere werden staatlich verbürgt und in Tilgungsprogramme eingebettet. Alle Schulden der spekulativen Ebene werden ausgegliedert und abgeschrieben.
Für das weitere Funktionieren der Gesellschaften nach dem Crash sind Einkommensbildung der Bevölkerung und Arbeit elementare Bedingungen. Ab hier muss es anders sein als in der kapitalistischen Marktwirtschaft. Geld zu Zahlungszwecken ist sofort nur noch eine „Information“ im PC einer Bank, Bargeld gibt es überhaupt nicht mehr. Den Menschen wird in ihren Ländern eine Kontokorrentbeziehung mit staatlich legitimierten Banken eingerichtet (nicht unbedingt Staatsbanken). Indem Menschen gesellschaftlich nützliche, von bevollmächtigten Stellen eintaxierte Arbeit nachweisen (zum Beispiel über Jobkarten), egal in welchen Ländern oder Erdteilen, steht ihnen monatlich ein Einkommensbetrag auf ihrem Kontokorrentkonto zu. Also: Einkommen entstehen wegen der nachgefragten und geleisteten Arbeit, die sich direkt aus der Realwirtschaft ableitet!
Die Kontokorrentguthaben können kumulieren, werden aber nicht verzinst. Einkommensbeschränkungen gibt es formal nicht und Einkommenshöhen hängen vom Engagement und qualitativen Niveau der Arbeit ab. Menschen mit altersbedingten oder gesundheitlichen Einschränkungen beziehen Grundeinkommen im nicht-prekären Bereich. Wenn also gesellschaftlich nützliche Arbeit generell zu Einkommen führt, ist praktisch jede menschliche Tätigkeit potenziell einkommensfähig. Alle sozialen Netze in den Staaten sind sofort hinfällig. Menschliche Arbeit ist keine Ware mehr. Einkommen entsteht mit gesellschaftlich nützlicher Arbeit, nicht aber aus ihr über Tauschprozesse am Markt!
Im Umkehrschluss muss natürlich die materiell-technische Basis für das arbeitsteilig organisierte Wirken der Menschen gegeben sein, um überhaupt tätig zu werden und damit Einkommen erzielen zu können. Das Einkommenskonto in den Banken dient dabei keinen Investitionszwecken über Kredite mehr! Unternehmen, der Staat und alle sonstigen Institutionen regeln ihre Investitionen gleichfalls über staatlich legitimierte Kontokorrentbeziehungen mit Geschäftsbanken. Der volkswirtschaftliche Finanzbedarf leitet sich ausschließlich aus realwirtschaftlichen Prozessen ab und ergibt sich unmittelbar aus den Signalen des Marktes, den Forschungs- und Entwicklungsansprüchen beziehungsweise allen gesellschaftlichen und kommunalen Aufgaben eines Staatswesens. Alle wirtschaftlichen Einrichtungen funktionieren ohne Eigen- oder Fremdkapital, da Geld zur Deckung des realwirtschaftlichen Bedarfes generell als Kontokorrentguthaben zur Verfügung gestellt wird. Die Banken haben eine wesentlich neue Ausrichtung ihrer Geschäftstätigkeit, indem sie nach ökologischen Effizienzkriterien über die Geldbereitstellung in geforderter Höhe befinden. Gewohnte Bonitätsprüfungen bei Investitionsfinanzierungen entfallen, da Finanzierungszusagen nur noch ökologischen Kriterien genügen müssen. Diese sind heute bereits weitgehend bekannt und damit sofort in die Vergaberichtlinien der Banken integrierbar. Somit gelten für Investitionen keine Rentabilitätskriterien mehr, sondern ökologische Verträglichkeit und nachhaltiger Bedarf. Praktisch kann in jede technisch-technologische Variante zugleich investiert werden, unabhängig von den Kapitalrenditen!
Es wird auch weiterhin einen Marktpreis geben, der aber lediglich den materiellen und logistischen Aufwand widerspiegelt, jedoch keine Finanzierungs-, Einkommens- und Gewinnkomponenten mehr enthält! Inflation und Deflation sind praktisch ausgeschlossen.
Geld als Zahl im Computer steht grundsätzlich unbegrenzt zur Verfügung. Es wird aber erst und nur zum Zahlungsmittel, wenn ein realwirtschaftlicher Konsum- oder Investitionsakt passiert. Da es nicht mehr zu Kapital wird, entsteht die Frage nach dem Verbleib der Billionen Geldanlagen in Kapitalbriefen, Betriebsbeteiligungen beziehungsweise sonstigen Guthaben in Instituten der Finanzindustrie. Diese Branche löst sich komplett auf, indem alles Geldkapital auf die Kontokorrentkonten der Eigentümer aufgebucht wird.
Um ein solches Verteilungsgebilde lässt sich eine gemeinwohlbasierte Gesellschaftsformation aufbauen, die ich „Vitasoziale Marktwirtschaft“ genannt habe und das entscheidend Neue daran ist: Sie basiert auf einem bargeldlosen und einheitlichen „Weltgeld“!

Wird fortgesetzt.