15. Jahrgang | Nummer 20 | 1. Oktober 2012

Antworten

Angela Merkel, Optimistin – Vor wenigen Tagen erklärten Sie auf Ihrer Jahrespressekonferenz, dass Sie nach der nächsten Bundestagswahl gern mit der FDP fortregieren wollten. Sie gehen also davon aus, dass die dann immer noch da sind – und 63 Jahre Geschichte der Bundesrepublik mit FDP geben Ihnen leider Gottes Recht. Was das Fortregieren mit dieser Partei, die sich als Farbe offenbar mit Vorsatz jene gewählt hat, mit der in der christlichen Seefahrt vormals angezeigt wurde, dass man die Pest und vergleichbare Plagen an Bord hatte, anbetrifft, so gibt es zwar selbst in Ihrer eigenen Partei kaum jemanden, der sich öffentlich dazu bekennt, aber Sie selbst haben ein durchaus nachvollziehbares Motiv: „In der großen Koalition gibt es immer eine Partei, die auch den Kanzler stellen will.“ Das nun hat die FDP nicht einmal in ihren größenwahnsinnigsten Tagen (18-Prozent-Partei) getan, und Philipp Rösler tut das schon gar nicht. Auch da wissen Sie, warum: „Herr Rösler ist gerne Vize-Kanzler, und das kann ich auch verstehen.“ Sie haben diesen Satz mit drei Punkten ausklingen lassen und die auf der Hand liegenden Fragen mit nonchalanter Zurückhaltung offen gelassen: „Weil Kanzler eine Nummer zu groß ist für ihn? Weil Rösler froh über jeden Job ist? Weil es toll ist, mit Angela Merkel zusammenzuarbeiten?“ (Fragestellerin: Daniela Vates, Berliner Zeitung) Dürfen wir das süße Geheimnis lüften? Der kleine Rösler ist einfach ein Leckermäulchen, und Ihr selbst gebackener Blechkuchen zu den Kabinettsitzungen ist nun mal unschlagbar – genau wie bei Mutti!

Helmut Schmidt, Elder Statesman – Sie haben den Preises des Westfälischen Friedens erhalten und sich dabei dem politisch und medial produzierten Mainstream entgegengestellt. „Die Europäische Union“, konstatierten Sie, „könnte auch an den Deutschen scheitern.“ Deutschland lasse die anderen Mitgliedsstaaten zu sehr spüren, dass es die ökonomisch stärkste Macht des Kontinents sei. Und Sie haben in diesem Kontext  darauf hingewiesen, dass ein Teil der öffentlichen Meinung in Deutschland heute „leider Gottes von national-egoistischer Sichtweise“ geprägt sei. Ein schöner Fall von Altersweisheit.

Johannes Remmel, grüner Verbraucherschutzminister in NRW – Sie sind stinksauer, weil der Vorstoß der SPD-geführten Länder abgeschmettert worden ist, den Dispo-Zinssatz der Banken zu begrenzen, um eine weitere Abzocke der Kunden wenigstens einzudämmen. Laut einer Erhebung der Stiftung Warentest verlangen die deutschen Banken durchschnittlich 12,4 Prozent Zins für Dispokredite. Spitzenreiter bei der letzten Erhebung der Stiftung im Herbst 2011 war eine Bank mit 18,25 Prozent. Nach dem Willen von Schwarz-Gelb soll statt einer gesetzlichen Verordnung vielmehr ein hochbewährtes Instrument zur Begrenzung von Profitgier zum Einsatz kommen: die freiwillige Selbstbeschränkung, in diesem Fall der Banken. Wir haben sehr herzlich gelacht.

Peter Scholl-Latour, Durchblickender – Man muss Sie nicht mögen, aber wenn es (vornehmlich) um den Orient geht, Sind Ihre Tiefenkenntnisse unschlagbar, womit Sie sich rühmlich zumindest von denen der politischen Lautsprecher unterscheiden. Bei Maischberger haben Sie – aus eben jener Kenntnis der Materie heraus, eine einfache Frage gestellt und die Antwort gleich mitgeliefert: „Wo kommt denn der Salafismus her? Das ist der Wahhabismus, und der kommt aus Saudi-Arabien, wohin wir 400 Leopard-Panzer liefern, damit die Saudis in Bahrain den Protest unterdrücken können. Darüber sprechen wir nie. Wir sind Teil dieser Probleme, wir sind doch mittendrin.” Chapeau!

Christian Becker, geschasster Bursche – Sie hatten in den Reiher Ihrer eigenen Burschenschaft, der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn, rechtsextremistische Tendenzen aus- und dies öffentlich gemacht. Wegen dieses „bundschädigenden Verhaltens“ sind Sie nun aus dieser studentischen Verbindung „mit großer Mehrheit“ ausgeschlossen worden. Norbert Weidner hingegen, der den antifaschistischen Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer als Landesverräter bezeichnet und das Todesurteil gegen diesen „rein juristisch“ für „gerechtfertigt“ erklärt hat, ist in seiner Mitgliedschaft bestätigt worden. Malt man sich aus, in welche führenden Positionen die jetzigen Verbindungsstudenten einmal aufrücken werden, gerät einem jedweder „Gaudeamus-igitur“-Gesang antiperestaltisch zum Kotzen.

Nils Heinrich, sehenswerter Kabarettist – Ostdeutsch sozialisiert sind Sie sich sicher, dass ein Desaster wie das des Berliner Flughafenbaus in der DDR nicht passiert wäre. Walter Ulbricht hätte lediglich verkünden müssen: „Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu errichten“ – und schon hätte das Ding am nächsten Tag gestanden.

Mitt Romney, Möchtegern-US-Präsident – Nachdem ihre Umfragewerte nach Veröffentlichung Ihres ganz privaten Schmähvideos einen signifikanten Einbruch erlitten – und es war ja auch nicht Ihre erste Pleite in Ihrem Wahlkampf –, bleiben Sie uns als 45. Chef im Weißen Haus womöglich doch erspart. Trotz eines Amtsinhabers, der außer dem Friedensnobelpreis außenpolitisch (aber auch auf anderen Feldern) nicht viel zustande gebracht hat, halten wir das für eine gute Nachricht. Wir sind sehr bescheiden geworden.
Zurück zu Ihnen: Ist aber auch dumm gelaufen, dass da jemand auf einem Bankett für betuchte Wahlkampfspender – alle mampfen, klappern mit Bestecks und Geschirr, und Sie müssen den Lärm übertönen: eine Zumutung! – mit dem Handy Ihre Suada aufzeichnete, in der sie 47 Prozent Ihrer Mitbürger zu lebensuntüchtigen Sozialschmarotzern stempelten, die „für den Präsidenten stimmen [werden], was immer auch passiert“, weil sie „von der Regierung abhängig sind, […] sich für Opfer halten, […] glauben, die Regierung habe die Verantwortung, sich um sie zu kümmern, die glauben, sie hät­ten ein Anrecht auf Krankenversi­cherung, Essen, Unterkunft, überhaupt alles“.
„Präsident aller Amerikaner“, der man nach so einer Wahl dann nun mal zu sein hat, das geht mit so einer Einstellung natürlich nicht. Gottseidank aber brauchen Sie den Job – rein einkommensmäßig ist das sowieso eher ein Zuschussgeschäft – nicht wirklich. Also seien Sie ein typischer Amerikaner! Über die sagte Kurt Tucholsky bekanntlich: „Die Amerikaner kommen bestimmt alle in die Hölle, besonders die frommen – aber eines wird ihnen hoch angerechnet werden: das ist ihr Humor.“ Vielleicht verabschieden Sie sich also von der Öffentlichkeit einfach mit einem launigen Spruch. „Shit happens“, würde hier gut passen.

Daniela Vates, Berliner Zeitung – Sie schrieben dieser Tage vor dem Hintergrund der Verzwergung Helmut Kohls auf eine Winzigkeit von zwei Quadratzentimeter (in Gestalt einer 55-Cent-Briefmarke), dies sei eine besondere Form der Huldigung, die sich die Junge Union ausgedacht habe, weil der Altkanzler wegen seiner Verfehlungen in der CDU-Spendenaffäre nicht mehr Ehrenvorsitzender der Partei sein könne. Zum Besonderen an dieser Huldigung vermerkten Sie: „Lebende Personen haben es bisher kaum auf deutsche Briefmarken geschafft. Nur Papst Benedikt und Jean Monnet ist das gelungen.” Heißt das, es gibt deutsche Briefmarken für Sie erst nach 1945 und dann auch nur im Westen? Anderenfalls wäre ihre Aufzählung nämlich mindestens um Adolf Hitler, Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht zu ergänzen gewesen. Zum (nicht unbedingt von uns) rasch und gern erhobenen Vorwurf selektiver Geschichtswahrnehmung wollen wir diese Antwort nun allerdings nicht aufpumpen. Nur – etwas gründlichere Recherche könnte bisweilen nicht von Schaden sein.