15. Jahrgang | Nummer 10 | 14. Mai 2012

Friederisiko

von Ulrike Krenzlin

Das Kunstwort Friederisiko hat keinen Sprachreiz. Dennoch bringt es den Sinn der Ausstellung zu Ehren des 300. Geburtstags Friedrich des Großen auf den Punkt. Museumsleute und Forscher der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, mehrjährige Vorbereiter der Präsentation, haben in der Fähigkeit des Preußen Königs, konsequent auf waghalsiges Risiko als politisches Mittel zu setzen, die Ursache erkannt, dass er ein Großreich schaffen konnte. Nach 60 Jahren Bestand vermochte es sich neben den Altmächten Frankreich, Russland und Österreich zu behaupten. Anders als Könige, Kaiser und Zaren der Altmächte, die sich ihrer Tradition im Hinblick auf Zuverlässigkeit und Bündnistreue verpflichtet fühlten. Risiko und Wagnis galten dort Jahrhunderte lang als Untugenden schlechter Herrschaft. Nur mit seinem absolut unkonventionellen Konzept ist es Friedrich II. gelungen ist, die im Jahr 1701 erfolgte Standeserhöhung seiner Vorgänger, der Kurfürsten von Brandenburg und in Personalunion Herzöge von Preußen, zu Königen in ein Erfolgsmodell zu verwandeln.
Unter seinen Gegenspielern blieb dieses Modell umstritten. Zunächst erkannte niemand die Königswürde an. Der Weg, dies zu ändern, gestaltete sich steinig. Kaiserin Maria Theresia in Wien erkannte den Titel erst nach dem verlorenen Zweiten Schlesischen Krieg 1745 an. Stanislaus II. August bestätigte nach seinem Machtantritt als König von Polen die Hohenzollern als Könige von Preußen. Der Vatikan versagte deren Anerkennung generell.
Unmittelbar nach dem Siebenjährigen Krieg, als sein Land vollständig verarmt und ausgeplündert war, hatte Friedrich II. ein Großreich geschaffen. Fortan bot er den Altmächten Paroli.
Nach der neuesten Forschung legte Friedrich II. als Ergebnis seiner Politik die Grundfeste für das Europa von heute. Davon sollten wir in der Bewertung seiner Person künftig ausgehen.
Als Zeichen seines Erfolgs errichtete er von 1763 bis 1769 das Neue Palais in Potsdam. Mit diesem künstlerischen Ensemble stellt er sich selbst aller Welt als eine komplexe Persönlichkeit zur Schau. Vielleicht weil dieses „Siegesdenkmal“ später anders interpretiert wurde, musste das Neue Palais, von Friedrich ursprünglich Friedrichs-Ruhe genannt, ein Schattendasein führen gegenüber Schloss Sanssouci, dem die Liebe der Königs in jüngeren Jahren galt.
Doch mit dem Jubiläum 2012 ist das Neue Palais aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Als eines der modernsten Schlösser Europas löste es das Rokoko ab und öffnete dem Klassizismus Tür und Tor. In Architektur, Raumkonzeption, Innenausstattung, Wanddekorationen und Emblematik wirft das Bauwerk ein neues Schlaglicht auf den König. Wir sind aufgefordert, uns gründlich von den schönen alten Legenden zu verabschieden, die frühere Generationen, insbesondere Franz Kugler und Adolph Menzel aus Archivalien und Literatur gehoben haben.
Die zwölf Kapitel der Ausstellung entfächern das Bild von einem König, der sich mit übersteigerter Raffinesse wie ein neuzeitlicher Souverän selbst inszenierte. Die erklärte Absicht war es, von der Nachwelt als „Friedrich der Große“ erkannt zu werden und in ihr so ewig zu gelten.
Im Kapitel „Königsbilder“ zeigt sich eine ungewohnte Haltung des Souveräns zum eigenen Bildnis. Er ließ sich selbst kein Denkmal errichten, saß anfangs widerwillig, später gar nicht mehr Modell. Dennoch wird er zu demjenigen König, von dem es die meisten zeitgenössischen Bildnisse gibt. In „Risiko und Ruhm“ laufen Zusammenhänge von militärischen Zielen und Risikokonzepten des Königs ineinander. Deutlich gemacht werden kann im Kapitel „Europa und die Welt“, wie Friedrich die Bühne Europa für seine Zwecke nutzte. Seine Interessen an der französischen und englischen Kunst blieben stabil. In der Politik jedoch stand er, je nach Fall, im schroffen Wechsel für oder gegen Frankreich, Großbritannien, Russland, Polen und die Kaiserin in Wien. Auf dieser Bühne entschied er klar und scharf nach Vorteil – ohne Rücksicht auf Konventionen.
Die Themen „Tagesgeschäfte“, „Körper und Seele“, „Verhältnisse“ rücken dem König regelrecht auf den Leib. Sein normaler Tagesablauf, inszeniert in Friedrichs authentischer Wohnung, gibt hervorragend Aufschluss über Arbeitsweise und -intensität. Der König folgte strengen Tagesgewohnheiten bei seinen Staatsgeschäften, dem Wechsel mit Musizieren, den langen Mahlzeiten und Lesestunden, intensiviert von seinem Vorleser. Die 4.000 Bände umfassende Bibliothek ist eine der bedeutendsten Gelehrtenbibliotheken ihrer Zeit. Sie war in jedem seiner Schlösser in fast gleicher Qualität vorhanden.
Seitens der Ausstellungsmacher wurde zugleich versucht, die Persönlichkeit des Königs als literarischer Schöngeist mit seinem bisher unbekannten Theaterstück „Der Modeaffe“ neu zu sehen. Friedrich liebte die deutsche Sprache, lehnte sie keinesfalls ab gegenüber dem Französischen, das er von Kindesbeinen beherrschte. Insgesamt sind in der Ausstellung der Philosoph, Komponist und Musiker differenziert ergründet.
Viel Aufwand steckt in den Versuchen, die gespaltene Persönlichkeit des Königs aus dem Blickwinkel Freudscher Psychologie zu sehen: die schwierige Jugend in ständiger Auseinandersetzung mit dem Vater, die causa Katte, die vom Kriegsgericht in Köpenick vom Vater entschieden worden ist und zur Hinrichtung des Freundes geführt hat. Die Neigung zur Homosexualität nimmt mehr Raum denn je ein. Modernen Deutungen setzten die Wissenschaftler deutliche Grenzen, indem sie fast nur aus Dokumenten der Zeit lesen, wozu die ausgefeilte Emblematik in Bild und Wort gehört, die Friedrich als Kunstkenner selbst initiiert hat. Er war beim Erschaffen seines Palais’ bei jedem Problem Gesprächspartner der Künstler. Das ist in der Zeit einmalig.
Kaum genutzt werden spätere Theorien zur Deutung der Persönlichkeit. Das trifft auch auf die Probleme zu, die unter Zeitgenossen Skandale ausgelöst haben. Hier werden sie vorwiegend über Metaebenen abgehandelt, das heißt aus dem Kunstwerk und dem kunsttheoretischen Hintergrund selbst. Das betrifft auch den Freundschaftszirkel in Rheinsberg.
Seiner Zeit voraus war Friedrich als Gastgeber im großen Stil. Im Erdgeschoss sind die „Unteren Fürstenquartiere“ eingerichtet, das heißt Suiten nach Art moderner Hotels, in denen Gäste mit Musik-, Schreib- und Empfangszimmer sowie Nebengelass luxuriös gastieren konnten. Die teilweise originale, der Öffentlichkeit bisher unbekannte Innenausstattung hat in Qualität und Besonderheit internationales Niveau.
Umdenken muss man auch in der bisherigen Sicht auf einen sparsamen, bescheidenen König, der in Preußen geradlinig der Aufklärung zum Durchbruch verhalf. Weder war der König bescheiden, noch sparsam. Er ließ die teuersten Stoffe für seine Garderobe verarbeiten. Er bevorzugte eine Tafel wie ein Gourmet, die mit allen Speisenfolgen dokumentiert ist. Die Erstveröffentlichung seiner Schatullenbücher zeigt den verschwenderischen König, der täglich viele Stunden im Speisezimmer mit Gästen oder allein verbrachte. Als Resümee war bei der Pressekonferenz zu hören: Friedrich der Große war ein König und ein Mensch, nichts darüber. Wir sollten uns mit diesem Bild des Königs aussöhnen, das auf der Grundlage umfassender Forschungsergebnisse für die nächsten Jahrzehnte bestehen bleiben wird.

Bis 28.10. 2012 täglich (außer Dienstag) 10-19 Uhr, Freitag / Samstag 10-20 Uhr; Tickets 14,- Euro, ermäßigt 10,- Euro (inklusive Audioguide und Booklet). Online-Vorverkauf über Zeitfenster (www.friederisiko.de). Begrenzter Einlass. Kataloge (Hirmer Verlag): „Friederisiko – Friedrich der Große. Die Ausstellung“, 29,90 Euro; „Friederisiko – Friedrich der Große. Die Essays“, 34,50 Euro