15. Jahrgang | Nummer 11 | 28. Mai 2012

Der vergessene Widerstand

von Thomas Behlert

Gerade weil jetzt ein Kommunistenhasser, rechtskonservativer Gernegroß und Sohn zweier NSDAP-Mitglieder der Bundesrepublik vorsteht, sind Bücher über die Geschichte des Kommunismus besonders wichtig und sollten von Menschen mit links pochendem Herzen unbedingt gelesen werden. Der Karl Dietz Verlag aus Berlin bringt in dieser Richtung seit langem Hervorragendes und Ungewöhnliches auf dem Markt. In der Reihe „Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus“ steht der sechzehnte Band für alle Interessierten bereit. Hier haben sich die Herausgeber Hans Coppi und Stefan Heinz mit dem Thema „Der vergessene Widerstand“ beschäftigt. Gemeinsam mit Historikern und Politologen berichten sie über Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, Trotzkisten, Anarchisten und Zwangsarbeiter, die auf ihre Weise gegen den Faschismus kämpften, die nationalsozialistischen Schergen hassten und nie freiwillig der „Partei des Führers“ beigetreten wären.
Wichtig ist dieses Buch auch deshalb, weil am 20. Juli bestimmt wieder die Widerstandskämpfer dieses besagten Tages (1944) gewürdigt und all die anderen Antifaschisten fein säuberlich vergessen werden. Man nennt die Hitlergegner Rudolf-Christoph Freiherr von Gerstorff, Claus Graf Schenk von Stauffenberg und Henning von Tresckow und ignoriert die Mitglieder der „Weißen Rose“, weiß nicht die Namen des „Kreisauer Kreises“ und vergisst die „Rote Kapelle“, wie auch die Bekennende Kirche und den allgemeinen Arbeiterwiderstand. Es gab nämlich noch viele Menschen mehr, die ihre humane Gesinnung behielten, antifaschistisch wirkten und Verfolgten zur Seite standen. Man ließ sich nicht von der braunen Propaganda mitreißen, sondern hinterfragte diese, warnte vor dem Krieg und wollte, trotz der riesigen Übermacht, ein besseres, sozialistisch geprägtes Leben statt des Dritten Reiches.
Da die Nazis mit Terror das Land überrollten und den Versuch starteten, alle Kommunisten zu vernichten, gingen diese in den Untergrund. Kein Andersdenkender wurde verschont, ob Mitglied der Gewerkschaft, von unterschiedlichen Jugendorganisationen und Sportvereinen. Auch die Sozialdemokraten, die zunächst hofften legal weiter arbeiten zu können, standen auf so genannten „Gegner-Listen“ und entgingen der Verhaftung nicht.
Im vorliegenden Buch berichten die Autoren nun, wie der Widerstand in der Illegalität zum Tragen kam, wie man trotzdem Flugblätter, Zeitungen und Zeitschriften verbreiten konnte und wie unter Einsatz des Lebens an Mauern und Brücken Botschaften gegen Faschismus und Krieg gepinselt wurden. So schildert zum Beispiel die Politologin Marion Goers sehr genau und interessant die Arbeit im Verborgenen des freigewerkschaftlichen Deutschen Metallarbeiter-Verbandes von Berlin. Trotzdem der Gewerkschaftsfunktionär Max Ulrich im Rahmen einer „Terroroffensive gegen die Gewerkschafter“ 1935 eine Irrfahrt durch Gefängnisse und Konzentrationslager erleben musste, pflegten die anderen Genossen und Kollegen auch weiterhin untereinander engen Kontakt, schickten illegale Schriften ins Ausland und kümmerten sich um die Familie des Verhafteten.
Endlich werden in einem Beitrag (von Stephan Stracke) die in manch Forschung als „selbstmörderisch und illusionär“ beschriebenen Leistungen der KPD gewürdigt und als richtig und unabdingbar eingestuft.
Die bisher immer vergessene Widerstandsarbeit der Frauen wird durch Gisela Notz erwähnt – in einer biographischen Skizze über die Freidenkerin Hilde Schimschok. Faktenreich und spannend schildern schließlich Annette Neumann und Bärbel Schindler-Saefkow den Aufbau der größten deutschen Widerstandsorganisation in den Kriegsjahren 1943/44. Der KPD-Funktionär Anton Saefkow, der bis 1939 im Zuchthaus saß, gründete diese gemeinsam mit Kommunisten, Gewerkschaftern und Sozialdemokraten und mit anderen in Deutschland in die Illegalität gegangenen Widerstandskämpfern. Wer wusste schon, dass sich der Kommunist Saefkow mit Vertretern der SPD und mit den Verschwörern um Claus Graf von Stauffenberg traf, um gemeinsam gegen Hitler & Co vorzugehen. Im Text „Die Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation“ steht dann ein Satz, der auf alle Widerstandskämpfer angewendet werden muß: Sie alle ließen sich durch die Erfahrungen mit Gestapo und Nazijustiz nicht demoralisieren oder entmutigen; sie blieben ihrer Überzeugung treu und stellten sich aufs Neue gegen das verhasste Regime.
In einem großen und sauber verfassten Beitrag erhält der Anarchist Otto Weidt ein Denkmal, da er ganz selbstverständlich bei der der Gestapo vorsprach, um die bei ihm arbeitenden jüdischen Häftlinge zu schützen. Der KPD-Funktionär Ernst Wollenberg steht bei Sven Schneider im Mittelpunkt. Wollenberg musste nicht nur vor den Nazijägern fliehen, sondern auch vor den Mitgliedern der KPD, die ihn aus unerfindlichen Gründen aus der Partei ausschlossen. Man hielt ihn wohl für einen Gestapospitzel. Schließlich gibt es noch wertvolle Texte über den Kampf der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, über die Handlungen der in Deutschland lebenden Polen zur Überwindung des NS-Regimes und darüber, wie sich Eisenbahner an Sabotageaktionen beteiligten.
Mit diesem Buch kann leider nur ein kleines Stück Arbeiterwiderstand dargestellt werden. In der Erforschung gibt es noch große Defizite, an deren Behebung nicht gerade viele Universitäten und andere Forschungseinrichtungen arbeiten.Wer mehr über den Widerstand jenseits der Männer des 20. Juli wissen möchte: Auf 380 Seiten erhalten bisher sonst kaum beachtete Widerständler wenigstens eine späte, aber nicht zu späte, Würdigung.

Hans Coppi, Stefan Heinz (Hrsg.): Der vergessene Widerstand der Arbeiter. Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, Trotzkisten, Anarchisten und Zwangsarbeiter, Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus, Band XVI, Karl Dietz Verlag, Berlin 2012, 384 Seiten, 29,90 Euro