von Michaela Klingberg
Die Diskussionen um die Zukunft der Berliner Opern und die 2004 gegründete Stiftung „Oper in Berlin“ sind seit der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2011 trotz der noch immer ungelösten Probleme abgeebbt. Doch die Ruhe ist trügerisch und dürfte nur bis zur nächsten großen Finanzdebatte anhalten. Bei genauer Betrachtung scheint offensichtlich, dass wichtige Strukturentscheidungen der Vergangenheit ohne Kenntnis der Operngeschichte getroffen wurden und auch keine Auseinandersetzung mit den offenen Fragen gewünscht ist. Der ehemalige Generaldirektor der Opernstiftung Stefan Rosinski forderte bereits vor einiger Zeit vergeblich die Umkehr der Diskussion von „Was sind uns unsere Opern wert?“ in die Fragestellung „Wert für was und wozu?“ Das würde bedeuten, die Debatte aus dem „finanzpolitischen Duktus heraus in einen ästhetischen und bildungspolitischen Zusammenhang“ zu stellen. Doch daran sind weder die Vertreter der Politik noch jene der einzelnen Häuser oder gar des Feuilletons interessiert. Im Ernstfall wird lieber die Schließung eines Hauses mit den üblichen reflexartigen Verhaltensweisen aller Beteiligten diskutiert, anstatt über Inhalte, Definition und Gestaltung des Kulturauftrages.
Anregungen zur Verbesserung der jetzigen Situation sowie Hinweise zur Fehlervermeidung bietet die Geschichte einige. Die einzig ständig in Erinnerung gerufenen Ereignisse aus vergangenen Tagen sind jedoch die Schließungen des Schillertheaters (1993) und der Krolloper (1931), die als Gespenst über allen Debatten um die Zukunft der Berliner Opernhäuser geistern, ohne dass den meisten der Diskutanten die Einzelheiten der Geschichte der Krolloper bekannt wären. Stattdessen wird die Krolloper auf die vier Jahre von 1927 bis 1931 unter der Leitung von Otto Klemperer reduziert und inzwischen zum „legendären Prototyp eines Avantgardetheaters hochstilisiert“, was ebenso überhöht ist, wie die Diffamierung Ende der zwanziger Jahre zur „Hochburg des Kulturbolschewismus“.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Berlin Bestrebungen für den Neubau eines Königlichen Opernhauses. Stand Anfang des 20. Jahrhunderts noch der Abriss der Königlichen Hofoper (der heutigen Staatsoper) für diesen Neubau zur Debatte, kam es nach einigen gescheiterten Wettbewerben zur Auftragsvergabe an Stadtbaurat Ludwig Hoffmann. Zwar erschien diesem „ein erfolgreiches Arbeiten mit der Generalintendantur der Theater als Bauherrn recht zweifelhaft“, dennoch begeisterte sich Kaiser Wilhelm II. für das Projekt. 1913 begannen erste Abrissarbeiten des Krollschen Etablissements – einem 1844 eröffneter Gaststätten- und Vergnügungssaalkomplexes auf dem Gelände des heutigen Platzes der Republik –, dem inzwischen festgelegten Standort des neuen Hauses, die mit Beginn des Ersten Weltkrieges aber eingestellt wurden. Nach Beendigung des Krieges war der Neubau mangels Finanzen alsbald vom Tisch. Stattdessen verpflichtete sich die Besucherorganisation Freie Volksbühne Berlin e.V., die Ruine wieder aufzubauen, da sie ihren Mitgliedern auch Opernveranstaltungen bieten wollte. Sie schloss mit dem Staat einen Pachtvertrag über 25 Jahre für die Nutzung des Gebäudes. Nachdem auch die Volksbühne mit dem ambitionierten Projekt in Zahlungsschwierigkeiten geriet, musste der Staat für die Fertigstellung aufkommen. Die Volksbühne verpflichtete sich, jeweils die Hälfte des Kartenkontingents pro Vorstellung abzunehmen. So eröffnete das Haus am 1. Januar 1924 nun als Oper am Königsplatz als Zweitspielstätte der Staatsoper. Schnell zeigte sich, dass alle Beteiligten mit der Doppelbespielung überfordert waren. Das Kultusministerium entschied sich für die Verselbständigung der Krolloper, allerdings mit zwei „Konstruktionsfehlern“: Die Krolloper musste, trotz vermeintlicher Eigenständigkeit, weiter aus dem Etat der Staatsoper finanziert werden und man hatte die Volksbühne nicht auf den künstlerischen Wechsel vorbereitet.
Am 19. November 1927 eröffnete die Krolloper unter der Leitung Otto Klemperers mit Beethovens „Fidelio“. Die folgenden vier Jahre sollten in die Musiktheatergeschichte eingehen, gelten sie doch heute als wegweisend für die Erneuerung der Oper. Die Unfähigkeit zur Konfliktlösung aller Beteiligten aufgrund von politischen und persönlichen Ambitionen sollte nach einer Reihe von politischen Intrigen aber bald zur Schließung des Hauses führen.
Nachdem die Oberrechnungskammer im September 1929 darauf verwiesen hatte, dass sich das Defizit der preußischen Staatstheater seit 1924 vervierfacht habe, standen zunächst die beiden anderen Berliner Opernhäuser aufgrund ihrer Ähnlichkeiten im Profil in der Kritik. Auch genoss die Krolloper noch Schutz durch Kultusminister Carl Heinrich Becker (parteilos). Als im Januar 1930 die Rechtsparteien im Landtag einen Antrag auf Schließung der Krolloper einbrachten, hatten sich die politischen Verhältnisse durch die Weltwirtschaftskrise zugespitzt, was auch zur Gefährdung zahlreicher Theater im Reichsgebiet führte. Durch eine Kabinettsumbildung war inzwischen Adolf Grimme (SPD) zum Kultusminister avanciert. Nur wenige Tage nach seiner Ernennung votierte er für die Schließung der Krolloper. Die katholisch geprägte Zentrumspartei, die die Krolloper zunächst in ihrer Funktion als Institut der „sozialen Kunstpflege“ noch befürwortet hatte, brachte nun durch den Abgeordneten Albert Lauscher einen Antrag ein, nach dem die Städtische Oper (die heutige Deutsche Oper) zukünftig diese Funktion übernehmen solle und setzte lieber auf die Erhaltung der gefährdeten Theater in den Ost- und Westgebieten. Die Volksbühne erklärte zunächst, dass aufgrund des auf fünfundzwanzig Jahre angelegten Vertrages mit dem Staat aus dem Jahre 1923 eine Schließung ohne ihre Zustimmung nicht möglich sei, schwenkte aber erstaunlich schnell um. Bereits zwei Wochen nach dem Vorschlag Lauschers signalisierte sie Zustimmung. Der Besucherorganisation war das Publikum abhanden gekommen, da es mit den „avantgardistischen Tendenzen“ überfordert war und so votierte auch die sozialdemokratisch geprägte Leitung der Volksbühne intern für die Schließung der Krolloper.
1930 sanken die Zuschüsse für die Opernbetriebe um knapp die Hälfte. Im Oktober hatten sich Ministerpräsident Otto Braun (SPD), zunächst noch ein Befürworter des Hauses, Finanzminister Hermann Höpker-Aschoff (DDP) und Grimme auf die Schließung der Krolloper verständigt. Man musste sich aber noch mit der Volksbühne einigen. Im Dezember 1930 wurde ein Vergleich zur Auflösung der Rechte der Volksbühne zwischen Vertretern der Regierung und der Volksbühne besprochen. Die Volksbühne kassierte knapp zwei Millionen Mark und war ihr Hauptproblem los. Allerdings bestand zunächst die Schwierigkeit, den Vertrag mit der Volksbühne auch durch den Landtag zu bringen, die preußische Regierung scheiterte dabei zweimal. Das Spektrum der Rettungsversuche reichte von Solidaritätsbekundungen anderer Künstler, über die Verteidigung in der Presse bis hin zu Vorschlägen, die Oper als Wandertheater oder privates Studiotheater weiterzuführen.
Am 25. März 1931 stellte das Zentrum einen erneuten Antrag auf Schließung der Krolloper. Die Rechtsparteien schlossen sich an, die SPD enthielt sich der Stimme. Die künstlerische Bedeutung des Hauses war der Partei nicht annährend so wichtig, wie ihr Entgegenkommen gegenüber der Volksbühne. So blieb plötzlich nur die KPD als Fürsprecher der Krolloper – jene Partei, die Zuschüsse für alle Staatstheater als „Sprachrohre einer bürgerlichen Regierung“ bis dato stets abgelehnt hatte.
Auch der Generalintendant der preußischen Staatstheater Heinz Tietjen spielte eine Rolle in der Schließungsdebatte. Hatte der mächtige Intendant, der ab März 1930 zusätzlich zu seinem Amt auch die Funktion eines Ministerialbeamten im Kultusministerium ausübte, in den zwanziger Jahren vergeblich die Fusion zwischen Städtischer Oper und Staatsoper favorisiert, setzte er spätestens bei der Generalprobe der Oper „Der Barbier von Sevilla“ am 19. September 1930 ein öffentliches Zeichen zugunsten der Schließungsbefürworter, als er sich von der Inszenierung distanzierte und für eine Verschiebung der Premiere sorgte. Folgt man dem Historiker Hannes Heer, gab es gar Behauptungen „Tietjen sei es gelungen, das Ministerium von der Unhaltbarkeit der Krolloper in der damaligen Form zu überzeugen und ihre Schließung mit Ende der Spielzeit 1930/31 zu erwirken“. Tietjen hatte damit bereits einen wichtigen Schritt in Richtung seines persönlichen Machterhalts während der Zeit des Nationalsozialismus gesetzt. Und so hob sich am 3. Juli 1931 zum letzten Mal der Vorhang in der Krolloper. Die Schließung traf das profilierteste der drei Berliner Opernhäuser – auch weil man es Mitte der Zwanziger Jahre versäumt hatte, langfristig tragfähige Strukturentscheidungen zu treffen.
Schlagwörter: Krolloper, Kulturpolitik, Michaela Klingberg, Opernstiftung, preußische Staatstheater