15. Jahrgang | Nummer 6 | 19. März 2012

Ein repräsentatives Bauwerk

von Bernhard Mankwald

In diesen Tagen kommt eine neue Zwei-Euro-Münze in den Umlauf. Sie soll daran erinnern, dass nunmehr der bayrische Ministerpräsident an der Reihe ist, den Vorsitz im Bundesrat zu übernehmen. Ungewöhnlich ist an diesem Vorgang lediglich, dass eben dieser neue Bundesratspräsident vorübergehend auch den jäh abhanden gekommenen Bundespräsidenten vertritt.
Gewagt erscheint auf den ersten Blick jedoch das Motiv der Münze. Andere Länder wählten Kirchen, Rathäuser, Stadttore – repräsentativ für Bayern soll das Schloss Neuschwanstein sein, in dem den Bauherrn die Kunde von seiner Entmündigung ereilte. Das vielstöckige Gemäuer hatte, gemeinsam mit Herrenchiemsee und Linderhof, einfach zu viel Geld gekostet. Der abgesetzte König versank alsbald zusammen mit dem behandelnden Arzt Dr. von Gudden unweit von Berg in den Fluten des Starnberger Sees. Ein gutes Omen wird man darin wohl nicht sehen wollen.
Ein gutes Geschäft war es aber doch. Neuschwanstein ist ja im Grunde als Kulisse zur Wagner-Oper Tannhäuser konzipiert. Diese Opern leisteten einen erheblichen Beitrag zum finanziellen Ruin König Ludwigs – heute sind sie ebenso wie die Schlösser eine Goldgrube. Ob das ohne das tragische Schicksal des Märchenkönigs so funktioniert hätte? Bayern inszeniert sich mit der neuen Münze also im Grunde sehr treffend als Wagner-Opern-Staat – das ist ein Operettenstaat in Zeitlupe, begleitet von einer Frühform der Schwermetallmusik.
Als vorbildlich hat sich auch der entspannte Umgang mit geistigem Eigentum erwiesen. Neuschwanstein ist der Wartburg nachempfunden und hat seinerseits als Vorbild für Prunkbauten in den diversen Disneyländern gedient. Herrenchiemsee orientiert sich an Versailles, und auch die einzelnen Einrichtungsstücke sind sehr konkreten Vorbildern nachempfunden. Diese Kunstwerke deshalb als Plagiate zu bezeichnen, wäre falsch; es sind Repliken.
Unwillkürlich fragt man sich: warum dann nicht gleich Bayreuth? Bayreuth besitzt ja nicht nur ein Festspielhaus, sondern auch eine technologisch sehr fortschrittliche Universität: mit Hilfe der revolutionären Paste-and-Copy-Funktion kann man dort mit einem Minimum an Aufwand einen Doktortitel erwerben – und mit Hilfe der ebenfalls sehr mächtigen Suchfunktionen im Internet kann man ihn sogar noch flotter wieder loswerden. Der Vorgang zeigt beispielhaft die für Bayern typische Verbindung zwischen Tradition und Modernität: handelt es sich doch um die Übertragung des uralten ius primae noctis auf das Gebiet des geistigen Eigentums.
Die Universität Bayreuth würde wohl niemand erkennen; das Festspielhaus aber wäre ebenfalls ein passendes Motiv gewesen – bestünde nicht die Gefahr, dass es allgemein mit einer Bahnhofshalle verwechselt wird.
Bei Schloss Neuschwanstein kann das nicht passieren. Und welches Symbol passt auch genau besehen besser in eine Zeit, in der die Finanzindustrie ihren Kunden Luftschlösser verkauft – und die Staatskassen bereitwillig Bürgschaften für die Reklamationen übernehmen?