15. Jahrgang | Nummer 7 | 2. April 2012

Christa Wolf in Essays, Reden und Gesprächen

von Kai Agthe

Was bleibt? Von Christa Wolf (1929-2011) neben einem stattlichen Prosa-Gesamtwerk nun auch noch ein Band mit Essays, Reden und Gesprächen, der den von dem Philosophen Johann Georg Hamann geliehenen und sokratisch inspirierten Titel trägt „Rede, daß ich dich sehe“. Mit zwei Reden wird das Buch auch eröffnet. Es sind Dankesworte, die Christa Wolf bei der Auszeichnung mit dem Thomas-Mann- und dem Uwe-Johnson-Preis sprach, die sie beide 2010 erhielt. In Lübeck erinnerte sie an ihre erneute Lektüre des Romans „Doktor Faustus“ in Los Angeles 1992/93. Während Christa Wolf dort als Getty-Stipendiatin weilte, brach in den westdeutschen Medien der feuilletonistische Sturm der Entrüstung über die angebliche „Staatsdichterin“ der untergegangenen DDR los. In Neubrandenburg porträtierte sie 2010 Uwe Johnson, den sie 1974 kennen lernte. Die Skizze bestätigt das Bild, das man von diesem überaus spröden Mecklenburger hat, ebenso wie es ihm einige neue Facetten hinzufügt.
Große Zuneigung spricht aus den Texten, die sie Egon Bahr zum 80. (2002) und Adolf Muschg zum 75. Geburtstag (2009) zueignete. Spannend sind auch ihre Betrachtungen über das 11. Plenum der SED, das 1965 mit kritischer DDR-Kunst hart ins Gericht ging. Es wurde unter anderem ein Auszug aus Werner Bräunigs Roman „Rummelplatz“ scharf attackiert, so dass an eine Publikation des Buches nicht mehr zu denken war. 2007 war es an Wolf, für das Buch des früh verstorbenen Kollegen, das ein großer Erfolg wurde, ein Vorwort zu verfassen. Sie selbst reagierte auf den Furor des 11. Plenums, in dem sie „Nachdenken über Christa T.“ schrieb.
Die Begeisterung, mit der sich die Autorin hier über bildende Künstler äußert, überträgt sich auch auf den Leser. Es sind ausschließlich Texte über Zeitgenossen, deren Werke ihr nahe waren. Carlfriedrich Claus und Nuria Quevedo werden ebenso vorgestellt wie Angela Hampel und Ruth Tesmar. Sie stellt auch Günther Ueckers Aschebilder vor, die dieser im Nachgang der mehr als ein Vierteljahrhundert zurück liegenden Katastrophe von Tschernobyl fertigte, deren Schrecken uns mit der Explosion des AKW Fukushima vor einem Jahr jäh einholte.
Am Ende stehen Interviews, die die Schriftstellerin für den Spiegel und Die Zeit gegeben hat. Auffällig, ja ärgerlich in ihrer Naivität und im Grunde ohne tiefere Kenntnis des Werkes der Autorin sind jene Fragen, die die Zeit-Redakteure Hanns-Bruno Kammertöns und Stephan Lebert Christa Wolf 2005 in einem Gespräch für die Hamburger Wochenzeitung stellten. „Frau Wolf“, heißt es da, „was war im Rückblick an Ihrer Zeit in der DDR richtig gut?“ Wolf leitet ihre Entgegnung zu Recht mit den Worten ein: „Das kann ich so nicht beantworten …“
Eine ganz andere Frage bleibt in dem Buch leider unbeantwortet: Hat die Autorin die Texte für den Band noch selbst ausgewählt und für eine Veröffentlichung autorisiert? Denn es ist hier weder ein Hinweis auf einen Herausgeber noch ein erklärender Begleittext enthalten.
Im Text „Kuckucksrufe“ (2009) notierte Christa Wolf altersweise: „So alt geworden zu sein – für alles, was ich in jedem Jahrzehnt erleben durfte, dafür bin ich dankbar.“ Dies bekräftigte Christa Wolf 2010 im Spiegel-Gespräch bei Erscheinen des Buches „Stadt der Engel“: „Aber ich bin dankbar, daß ich überhaupt auf der Welt sein konnte und auch dafür, wie mein Leben gelaufen ist.“
Und was bleibt? Das Wissen, dass Christa Wolf eine bedeutende Schriftstellerin ist und eine moralische Instanz mit menschlichem Maß war. Das bleibt.

Christa Wolf: Rede, daß ich dich sehe, Suhrkamp-Verlag, Berlin 2012, 207 Seiten, 19,95 Euro