15. Jahrgang | Nummer 7 | 2. April 2012

Brisante Story für fette Profite

von Michael Schulze von Glaßer

Am 25. Oktober 2011 erschien in Deutschland das Videospiel Battlefield 3 – nicht irgendein Spiel. Der First-Person-Shooter* des US-Softwareunternehmens Electronic Arts ist eines der aufwändigsten und imposantesten Videospiele der letzten Jahre. Battlefield 3 wurde in den ersten beiden Wochen nach Veröffentlichung allein in der Bundesrepublik über 500.000 Mal verkauft. Bis Ende November 2011 gingen weltweit acht Millionen Exemplare des Spiels über die Ladentheken oder wurden legal, aber auch illegal aus dem Internet heruntergeladen. Allein die weite Verbreitung des Spiels ist ein Grund, sich einmal näher mit dem überwiegend von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gespielten Videospiel zu befassen – allerdings nicht auf die sonst beim Thema „Videospiele“ verbreitete Art. Wenn in deutschen – aber auch internationalen – Medien heute über virtuelle Spiele berichtet wird, dann kreist die Debatte oft nur um die Frage der dargestellten Gewalt. Was die Spiele aber für politische Aussagen verbreiten, spielt in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle. Es wird über äußere Formen, nicht aber über den Inhalt der Videospiele diskutiert. Gerade in Zeiten von Battlefield 3 (und ähnlich thematisch brisanten Spielen) ist dies unzureichend, denn in Battlefield 3 wird ein möglicher Krieg gegen den Iran vorweg genommen – die politische Brisanz die das Szenario birgt scheint den Spiel-Hersteller nicht zu stören.
Battlefield 3 versetzt den Spieler in die Rolle von US-Staff Sergeant Henry „Black“ Blackburn, der im Jahr 2014 an einer US-Militärintervention gegen den Iran teilnimmt. Voraus geht der Haupthandlung ein Angriff iranischer Truppen – der so genannten „People’s Liberation and Resistance“ (PLR) – auf den Irak. Der Spieler nimmt an einer groß angelegten Sturmoperation gegen die iranische Hauptstadt Teheran teil. Ziel ist die Ergreifung des iranischen Machthabers Faruk Al-Bashir. Die Mission schlägt fehl, die US-Soldaten um Blackburn entdecken in einer Bank aber eine Kiste für drei tragbare Atombomben russischer Bauart – zwei der Bomben fehlen allerdings. Kurz darauf können die Soldaten Al-Bashir fassen, der aber wenig später stirbt.
Auf dem Handy des iranischen Machthabers finden sich Hinweise auf einen russischen Waffenhändler. Die Suche führt die US-Truppen bis nach Aserbaidschan. Dabei müssen die Soldaten nicht nur die Söldner des Waffenhändlers bekämpfen sondern auch russische Truppen, die den Waffenhändler ihrerseits finden wollen, um ihre tragbaren Atomwaffen wiederzubekommen. Der Waffenhändler hat die Atombomben jedoch nicht mehr. Solomon, der PLR-Mann hinter Faruk Al-Bashir und eigentliche Strippenzieher soll sie gestohlen und damit Anschläge auf Paris und New York geplant haben. Da es russische Atomwaffen sind, sollen die Anschläge so aussehen, als seien sie auch von Russland verübt worden – Terror unter falscher Flagge. So will Solomon den Westen zu einem Angriff auf Russland bewegen. Zu einer entscheidenden Szene kommt es in der Villa des nach dem Geständnis getöteten Waffenhändlers: Nur der Spieler als Sergeant Blackburn und ein Speznaz-Soldat des russischen militärischen Nachrichtendienstes GRU stehen sich in der Villa gegenüber. Sie vereinbaren – an dieser Stelle ist die Story des Spiels sehr dünn – die drohenden Anschläge auf eigene Faust zu verhindern: „Wir können den Krieg zwischen unseren Nationen verhindern. Nur wir Zwei. Keine Politiker. Kein Geld, das die Taschen wechselt. Nur zwei Soldaten, die die Wahrheit sprechen“, so der GRU-Soldat. Blackburn willigt ein und erschießt daraufhin seinen – schon vorher negativ aufgefallenen – Captain, der den GRU-Soldat bedroht.
Der Spieler schlüpft nun in die Rolle des GRU-Soldaten, der mit einem kleinen Trupp versucht den Anschlag in Paris zu verhindern. Bei der Jagd durch die Pariser-Straßen muss der Spieler auch französische Polizisten erschießen. Jedoch kann Solomons-Plan nicht vereitelt werden – die Atombombe explodiert in der Pariser-Börse, es soll 80.000 Tote gegeben haben.
Blackburn will den Anschlag in New York verhindern, wird aber erst einmal vom CIA verhört, da er ja seinen Captain erschossen hat und die US-Geheimdienstler ihm die ganze Geschichte rund um die Atombomben und den verbündeten GRU-Soldaten nicht abnehmen wollen. Allerdings kann sich der Spieler bei einem Verhör befreien und Solomon durch die New Yorker U-Bahn hinterherjagen. Zum letzten Schlagabtausch – einem Faustkampf zwischen Blackburn und dem Iraner – kommt es auf dem Times Square. Letztlich kann der Spieler Solomon überwinden und die Atombombe sicherstellen.
Doch ist die politische Dimension der in Battlefield 3 erzählten Geschichte nicht eigentlich nur eine konstruierte oder allenfalls unwichtige Nebensache? Immerhin handelt es sich bei dem First-Person-Shooter bloß um ein der Unterhaltung dienendes Videospiel. Zur Beantwortung dieser Frage muss man eine möglichst unvoreingenommene Sicht auf die Weltpolitik einnehmen und sich zwei Gegenfragen stellen: Was würde in den westlichen Ländern und vor allem in den USA passieren, wenn ein iranisches Videospiel-Unternehmen einen aufwendigen und nach dem neuesten Stand der Technik entwickelten First-Person-Shooter veröffentlichte, in dem die iranische Armee mit Kampfpanzern vor Washington steht und iranische Revolutionsgarden durch die Gassen der US-Hauptstadt stürmen? Was wäre, wenn dieses Videospiel auch noch vom iranischen Militär unterstützt und mit einer weltweiten Werbekampagne rund um den Globus vermarktet würde? Der Aufschrei in der westlichen Welt wäre enorm, die USA würden protestieren, und das Spiel würde zum Politikum.** Dass sich der Iran heute vor den Kopf gestoßen fühlt, wenn weltweit Millionen Battlefield 3-Spieler täglich eine in die nahe Zukunft versetzte Panzerschlacht vor den Toren ihrer Hauptstadt Teheran spielen, wundert da nicht. Im Iran wurde der Verkauf des Spiels kurz nach Veröffentlichung aufgrund des Inhalts verboten.
Eine Gruppe namens „Iranische Jugend“ hat mittlerweile eine Online-Petition gegen das Videospiel gestartet, in der es heißt: „Wir wissen, dass die Geschichte in einem Videospiel hypothetischer Natur ist […aber wir] glauben auch, dass das Spiel absichtlich zu einer Zeit veröffentlicht wurde, in der die USA der internationalen Gemeinschaft Angst vor dem Iran machen wollen.“ Über 5.000 Personen sollen die Petition schon unterzeichnet haben. Zudem planen iranische Programmierer eine Art „Gegenspiel“, das den Namen „Attack on Tel Aviv“ tragen und somit offenbar Israel zum Schauplatz der Geschichte haben soll. Dies passt zur aktuellen Politik des Irans, der Israel droht (und dem seinerseits massiv von Israel und dessen Verbündeten gedroht wird), verwundert aber zugleich, da Israel oder israelische Firmen an der Entwicklung von Battlefield 3 (soweit bekannt) nicht beteiligt waren, wohl aber das schwedische Militär und ehemalige britische Soldaten.
Electronic Arts hat sich bisher nicht zur politischen Auseinandersetzung um sein Spiel geäußert – dies war und ist auch nicht zu erwarten. Gerade in Zeiten politischer Spannungen jedoch sollten die Entwickler von Kriegs-Videospielen wie auch anderer Medien mehr Sensibilität an den Tag legen und besser weniger brisante Szenarien für ihre virtuellen Schlachten suchen. Dem scheinen allerdings Profitinteressen entgegen zu stehen: Der Konzern mit einem Umsatz von über 3,5 Milliarden US-Dollar im Geschäftsjahr 2010 verdient mit Battlefield 3 prächtig und macht Marktanteile gegenüber der Konkurrenz gut – die brisante Story trägt einen guten Teil dazu bei.

* – Laut Wikipedia eine Kategorie von Computerspielen, bei der der Spieler aus der Egoperspektive in einer frei begehbaren, dreidimensionalen Spielwelt agiert und mit Schusswaffen andere Spieler oder computergesteuerte Gegner bekämpft.

** – Genau so war es, wie sich mancher erinnern wird, als vor einigen Jahren der türkische Film „Tal der Wölfe“ in die Kinos kam, in dem der türkische Filmheld einen tödlichen Kreuzzug gegen verbrecherische US-Militärs führte.