15. Jahrgang | Nummer 3 | 6. Februar 2012

Dauerhafter Frieden 2012 …

von Helge Jürgs

Groß war die Mehrheit, als der Bundestag am 22. Dezember 2001 die Beteiligung der Bundeswehr an der Isaf-Friedensmission der Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan beschlossen hatte (siehe nachfolgend Auszüge aus der Debatte). Damit billigte das Parlament die Teilnahme deutscher Streitkräfte an dem von den USA ausgerufenen Krieg gegen den Terror, befristete aber den Einsatz auf zunächst sechs Monate und limitierte ihn personell auf 1.200 Soldaten. Elf Jahre und 52 deutsche, rund 2.800 alliierte und über 10.000 afghanische Tote –darunter auch viele Zivilisten – später, geht das halbe Jahr nun endlich vorbei, vernehmen wir nun aus gewohnt zuverlässigem Volksvertretermunde.
Bis 2014 soll (soll!) der Abzug der Bundeswehr, jener derzeit eingesetzten 5.350 Soldaten also, abgeschlossen sein, zu deren Zahl sich die 2001festgelegte Personalstärke – vermutlich auf  biologischem Wege – vermehrt hatte. Gekostet haben wird die Deutschen ihre Kriegsbeteiligung nach Berechnungen des das Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) dann gut 36 Milliarden Euro; „Peanuts“ allerdings gegen jene 100 Milliarden Dollar, die von den USA Jahr für Jahr in Afghanistan aus „humanitären Gründen“ vernichtet worden sind, von der somit erzielten Vernichtung von Menschenleben, Sachwerten und Natur ganz abgesehen.
Kleiner Kollateralschaden bei alledem: „Dauerhafter Frieden“, programmatischer Name der Kriegführung am Hindukusch, ist nicht erreicht worden. Die Taliban, die man bisher – erfolglos – zu vernichten suchte, werden nun zum amerikanischen Verhandlungspartner erkoren, Karzai selbst empfindet die Alliierten selbst dann inzwischen als lästig, wenn er ihnen auch vermutlich sein fortgesetztes Dasein verdankt; Beglücktheit sieht anders aus. Zumindest für eine alliierte Kraft hat sich der Tod so vieler Menschen indes gelohnt: die Rüstungsindustrie ist auf den Verbrauch ihrer Produkte schließlich angewiesen, sichert jeder Krieg doch viele Arbeitsplätze. Inwieweit Halliburton in den USA oder Krauss-Maffei und Co. vom Bundestag vor der Beschlussfassung über den Abzug konsultiert worden sind, ist nicht überliefert. Wenn nicht, wird das der Regierung noch mal sehr auf die Füße fallen. Denn so aggressiv wie die Gotteskrieger sind Rüstungslobbyisten allemal; nur sind ihre Methoden unblutiger – jedenfalls im Herstellerland.
Ach, Erich Kästner, wie hatten Sie doch recht:
Was auch immer geschieht: / Nie dürft ihr so tief sinken, / von dem Kakao, durch den man euch zieht / auch noch zu trinken!
Vergebliche Liebesmüh von Kästner ebenso wie von der zumindest in dieser Frage seit Jahr und Tag erfreulich standhaften Linken, die als einige Partei den Afghanistankrieg von Anfang an abgelehnt und stetig den Anzug der Bundeswehr gefordert hat und sich dafür stets hat schmähen lassen müssen: Die Ausschenker von politischem Kakao sind ebenso wenig geringer an Zahl geworden wie jene, die ihn trinken …

Auszüge aus der Bundestagdebatte zum ersten Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr vom 16.11.2001:

Gerhard Schröder (SPD): Die heutige Entscheidung über die Bereitstellung von Bundeswehreinheiten im Kampf gegen den Terrorismus stellt sicher eine Zäsur dar. Erstmals zwingt uns die internationale Situation, zwingt uns die Kriegserklärung durch den Terrorismus dazu, Bundeswehreinheiten für einen Kampfeinsatz außerhalb des NATO-Vertragsgebietes bereitzustellen. Für eine Entscheidung von solcher Tragweite, auch für daraus vielleicht noch folgende Beschlussfassungen des Deutschen Bundestages ist es nach meiner festen Überzeugung unabdingbar, dass sich der Bundeskanzler und die Bundesregierung auf eine Mehrheit in der sie tragenden Koalition stützen können. […]
Wo es nötig und für uns objektiv möglich und vertretbar war, haben wir uns auch mit militärischen Mitteln an Einsätzen der Staatengemeinschaft beteiligt, wie wir das zum Beispiel auf dem Balkan tun. Wir werden dies auch in Zukunft fortsetzen. Niemals haben wir dabei den Einsatz der Bundeswehr ohne begleitendes, nachhaltiges Engagement auf politischem, ökonomischem und humanitärem Gebiet beschlossen.
Nach diesem Selbstverständnis handeln wir auch heute im Kampf gegen den Terrorismus. Auch in der Auseinandersetzung um Afghanistan hat unsere Hilfe für die Menschen in der Krisenregion hohe Priorität.

Peter Struck (SPD): Ich bin fast sicher, dass die Bundeswehr dort nur noch gebraucht wird, um mitzuhelfen, die humanitäre Versorgung zu organisieren. Wenn das von uns erbeten wird, ist sie in einem guten Einsatz.

Kerstin Müller (Bündnis 90/Die Grünen): Die aktuelle Entwicklung in Afghanistan stimmt vorsichtig optimistisch. Das Talibanregime wird möglicherweise bald überwunden sein. Endlich, nach Jahren des Hungers und des Elends, haben wieder Hilfsorganisationen Zugang zum Land. Sie versuchen, vor dem Winter die Versorgung der Bevölkerung und der Flüchtlinge sicherzustellen. Wichtig ist jetzt die Sicherung der humanitären Hilfe und des Wiederaufbaus sowie die Aufrechterhaltung der Ordnung in Afghanistan. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Darüber hinaus stehen verstärkte direkte Antiterrormaßnahmen gegen das terroristische Netzwerk Bin Ladens im Vordergrund. Genau darum wird es auch bei dem deutschen Beitrag gehen. Er dient überwiegend humanitären Zwecken.
(Wolfgang Gehrcke (PDS): Das ist ja unglaublich!)
Die Spezialkräfte haben quasi polizeilich-militärische Aufgaben. Deshalb war es wichtig, dass die Bundesregierung das Mandat präzisiert hat, präzisiert im Hinblick auf Einsatzort, Auftrag und die Zusammensetzung der deutschen Streitkräfte. Der Bundeskanzler hat außerdem klar gestellt, dass sich deutsche Soldaten weder an Luftangriffen noch an Kampftruppen am Boden beteiligen werden. Durch diese wichtigen Klarstellungen und Präzisierungen ist die große Mehrheit der Abgeordneten meiner Fraktion überzeugt, dass sie den Einsatz vor ihrem Gewissen verantworten können.

Roland Claus (PDS): Wir bleiben dabei: Die PDS-Fraktion sagt Nein zu diesem Krieg, Nein zur deutschen Beteiligung und auch Nein zur Vertrauensfrage. (Beifall bei der PDS).
(Lothar Mark (SPD): Deutschland beteiligt sich nicht am Krieg!)

Michael Glos (CSU): Wir halten den militärischen Einsatz für unverzichtbar. Wir wollen, dass al-Qaida bekämpft wird. Überall da, wo es möglich ist, sollen die Wurzeln des Terrors ausgerottet werden.

Gregor Gysi (PDS): Die PDS-Fraktion bleibt bei ihrem Nein zur Beteiligung Deutschlands an diesem Krieg, weil wir diesen Krieg nach wie vor für falsch halten und weil wir ebenfalls davon überzeugt sind, dass er jetzt in eine andere Phase tritt, die nicht etwa leichter, sondern zum Teil sehr viel komplizierter wird. Es muss in dieser Gesellschaft immer noch möglich sein, wenn man sich darüber einig ist, dass der Terrorismus zu bekämpfen ist, über den Weg der Bekämpfung demokratisch zu streiten.

Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen): Der Krieg in Afghanistan mag manche der militärischen Ziele erreicht haben. Durch die Siege der Nordallianz ist er politisch aber nicht sinnvoller geworden. Noch immer fehlt dem Krieg ein realistisches Konzept und es fehlt eine tragfähige politische Lösung für die Zeit nach den Taliban. Es gilt, erst mühsam die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Genau das konnte und kann der Krieg nicht. Er droht die ethnische Spaltung des Landes noch zu vertiefen. Wir lehnen diesen Krieg und die Beteiligung der Bundeswehr  nicht allein deshalb ab, weil das aus unserer Sicht  falsch ist, sondern auch, weil dies einen weiteren entscheidenden Schritt zur Enttabuisierung militärischer Mittel darstellt.