14. Jahrgang | Nummer 25 | 12. Dezember 2011

Ungegelt

von Erhard Crome

Der Stern hat wieder zu Guttenberg auf dem Titelblatt. Drinnen der Verweis, dass dies bereits der dritte Titel mit dem Konterfei dieses Mannes ist, von dem es einst hieß, der sei der kommende Stern des deutschen Politik-Himmels, der künftige Kanzler, der ultimativ beliebteste Politiker dieser Bundesrepublik Deutschland – Angela Merkel, Annette Schavan, Guido Westerwelle… alles graue Mäuse, neben diesem Ausnahme-Politiker. Ob sich auch dieses Heft wieder besser verkaufte als die Durchschnittsauflage, konnte bisher nicht ermittelt werden.
Als Ausnahme erwies sich dann seine abgeschriebene Doktorarbeit, über die er schließlich stolperte und fiel. Er bestreitet nach wie vor das Plagiat, den bewussten Betrug. Vielleicht hat er ja Recht und hatte die Ausarbeitung in Auftrag gegeben; sicherlich nicht bei einer Doktorarbeits-Schreib-Agentur, wo sogenannte „Ghostwriter“ im Stillen werkeln und sich dafür gut bezahlen lassen. Die haben auch ein Berufsethos und liefern für gutes Geld gute Arbeit, das heißt hieb- und stichfeste Texte ab, die an der Universität auch verteidigungsfähig sind. Wahrscheinlich wollte zu Guttenberg dieses Geld gerade nicht aufwenden: Man wird ja am Ende nicht reich, wenn man das Geld mit vollen Händen ausgibt; und daran haben die zu Guttenbergs schließlich 800 Jahre gearbeitet. Und so hat er sein Büro, die Mitarbeiter des Deutschen Bundestages oder wen auch immer beauftragt, und irgendwer hat die einkommenden Texte dann irgendwie kompiliert. Guttenberg spricht von dieser Arbeit in seinen Äußerungen in der unpersönlichen Form, sagt nicht „meine Arbeit“, sondern „die Arbeit“. Das wird schon seinen Grund haben.
Zwischenzeitlich hatten seine Anwälte gegen Zahlung eines Bußbetrages von 20.000 Euro eine Einstellung des Plagiatsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft erhandelt, so dass der Freiherr nun vorstrafenfrei und wieder verwendungsfähig ist. Das nutzte er, um ein Buch über seine Irrungen und Wirrungen in die Welt zu setzen, das zwar bußfertig daherkommt, in dem er tatsächlich aber keine Gelegenheit auslässt, alle anderen Politiker als blass, intrigant und unfähig zu charakterisieren. Die Botschaft ist klar: Der deutsche Politikhimmel ermangelt seines hellsten Sterns – Karl-Theodor zu Guttenberg. Auch dieses Buch hatte er nicht selbst geschrieben. Der Freiherr ließ schreiben, sprich: der Chefredakteur der Hamburger Die Zeit, die mit Altkanzler Helmut Schmidt gerade wieder ihre Weihnachtswerbung betreibt, Giovanni di Lorenzo, begab sich mit zu Guttenberg für ein paar Tage in die Abgeschiedenheit eines feinen Hotelzimmers, um schließlich mit stundenlangen Interviewäußerungen nach Hamburg zurück zu kommen, aus denen sich ein Buch für den weihnachtlichen Gabentisch verfertigen ließ.
Die Zeit publizierte einen mehrseitigen Vorabdruck. Diesen wiederum bezeichnete di Lorenzo im Nachgang zur Verteidigung seines Tuns als sein wichtigstes Motiv, weshalb er sich auf diese Schreiberei für zu Guttenberg eingelassen hatte. Ein Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung namens Jürgen Kaube hatte dies moniert: Nicht dass in dem Interview über zu Guttenbergs Rückkehrabsichten in die große Politik geredet wurde, sondern dass der Vorabdruck in der Zeit „eine Art Vorab-Reklame für diesen Gesprächsband“ sei, wäre das Problem. Ist das eine Äußerung in der Sache oder Futterneid der Konkurrenz? Jedenfalls haben alle, die das Buch, den Vorabdruck, die Wiederkehr bejubelt oder beschimpft hatten, darauf gerechnet, dass sich mit dem Freiherrn Geld verdienen lässt, der Verlag und er selbst gewiss ebenfalls.
Der Stern hatte in seinem bereits zitierten Heft gemeint, Guttenbergs Comeback sei bereits gescheitert, bevor es richtig begonnen hätte. Die Journalistin Ulrike Posche klaubt unter der Überschrift: „Mission missglückt“ alle pejorativen Sätze zusammen, die ihr irgendwann untergekommen sind, um Guttenbergs Bestreben zu verunmöglichen. Der talkschau-bekannte Zwischenrufer Hans-Ulrich Jörges attestiert ihm ein paar Seiten weiter, mit dem Buch habe er seine Hoffnungen auf einen Wiederaufstieg „zerstört“. Die FAZ dagegen meint, Guttenbergs Rückkehr sei „perfekt inszeniert“, während die konservative Die Welt darauf hinweist, dass zwei „renommierte Jura-Professoren“, nämlich Ingolf Pernice aus Berlin und Bodo Pieroth von der Universität Münster, bereits seit längerem von den Plagiatsvorwürfen wussten, aber nichts taten – und damit zu vertuschen beitrugen – und es am Ende dem „linken“ Jura-Professor Andreas Fischer-Lescano überlassen blieb, den Stein der Enthüllung ins Rollen zu bringen. Seither erhält er Hass-Mails.
Wer sich je mit den Logiken des Vorurteils befasst hat, weiß, dass die Aufforderung: „Wir denken jetzt nicht an Hass auf Muslime!“ zur Folge hat, genau diesen Hass zu denken. So sind sie alle, die Anbeter, Lobpreiser und Verdammer, die Guttenberg-Versteher und die tatsächlichen oder vorgeblichen Guttenberg-Verurteiler Teil einer gleichzeitigen Kampagne zu seiner Wiederkehr. Die Titelblätter – mit verurteilendem Titel oder verstehendem – bei Zeit, BILD, Stern und so weiter tragen alle dazu bei, dass er wieder präsent ist. Und die Mode-Erklärerinnen und -Erklärer weisen darauf hin, dass sein Haar nun nicht mehr gegelt ist, er keine Brille mehr trägt. Plagiat hin oder her: Er wirke reifer, weniger eitel, aber sei nach wie vor der am besten gekleidete Politiker. Es wird Zeit zu neuen Taten für Karl-Theodor zu Guttenberg, eine neue Rolle – dies ist die eigentliche Botschaft, was immer die beigefügten Worte sind.
Aber welche? Hinterbänkler in der CSU wohl kaum. Âuch in eingangs erwähnten Stern-Nummer findet sich ein kurzes Interview mit dem früheren BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel. Der erzählt, er arbeite an einer neuen Partei „der Mitte“; unter Angela Merkel sei die CDU „weit nach links“ gerückt (von Henkel aus gesehen), und deshalb bedürfe es einer neuen bürgerlichen Partei. Dazu wird dann auch bei Anne Will in der ARD diskutiert. Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz meint dort ebenfalls, es brauche eine neue Partei, die eine „neue konservative Partei“ sein solle. Mitte ist etwas anderes. Der bereits zitierte Jörges präzisiert, dass dies eine „konservative, rechtspopulistische Partei“ sein würde. Schließlich habe Henkel, so Jörges, in dem Stern-Interview Männer wie Friedrich Merz, Wolfgang Clement und Thilo Sarrazin genannt, mit denen er die neue Partei machen wolle. Guttenberg aber sei mit seinen Plagiaten dem konservativen Bürgertum nicht mehr zu vermitteln.
Aber für eine breitere Wählerschaft, für die braucht es einen wie den zu Guttenberg. Bereits im Februar hatte er im Hessischen Kelkheim in einer Rede den Saal mit populistischen Sprüchen zum Kochen gebracht und seine populistische Strahlkraft ausprobiert. Dass Merz und Sarrazin als Volksredner nicht so recht taugen, weiß eigentlich jeder, der eine neue Partei stricken will. In der Runde bei Anne Will meinte der Journalist und Politikberater Michael Spreng, auf der „Linken“ gäbe es inzwischen vier Parteien – hierzu zählt er neben SPD, Grünen und DIE LINKE auch die Piraten. Wenn die FDP verschwindet, brauche es eine „zweite bürgerliche Partei“, weil die CDU allein nicht regieren kann. Bis zur nächsten Bundestagswahl sind ja noch fast zwei Jahre Zeit, Zeit genug, um die entsprechenden Strukturen zu schaffen und die Wählerschaft auf diese neue Bürgerlichkeit à la Sarrazin vorzubereiten. Das Verschwinden der FDP gilt in diesem Kreisen bereits als gesetzt. Von hier aus bekommt das Guttenberg-Kalkül seinen politischen Sinn. Es zielt auf die Schaffung einer rechtspopulistischen Partei nun auch in Deutschland.