14. Jahrgang | Sonderausgabe | 5. Dezember 2011

Stefan Zweig und Joseph Roth – die ungleichen Brüder

von Helge Jürgs

Es ist ein Buch, das einem nahezu Pein verursacht: Was Joseph Roth Zeit seiner Freundschaft mit Stefan Zweig diesem brieflich über sein dramatisches Leben offenbart hat, liest sich wie die fiebrige Beichte eines Menschen, der am Leben verzweifelt, und reflektiert schmerzlich, wie es um Roth stand. Zweig hat das offenkundig zutiefst berührt, anders ist seine Bereitschaft, dem früh Gebrochenen und tief Deprimierten für einen brieflichen und – sehr viel seltener – leibhaftigen Austausch verfügbar zu sein und dessen permanente moralische Nötigung verzeihend, nicht zu erklären. Überhaupt muss es neben dem gegenseitigen literarischen Respekt die Gegensätzlichkeit beider Vitae gewesen sein, die jene merkwürdig magnetisch erscheinende Symbiose beider österreichischen Prosaisten in den dreißiger Jahren des vorherigen Katastrophenjahrhunderts herbeigeführt hat: Stefan Zweig, dem gutbürgerlich jüdischen Milieu entstammend und diesem verhaftet auf der einen, und Joseph Roth, der Aschkenasi aus Galizien, der dem Elend seiner Herkunft durch rast- und ruheloses Arbeiten zu trotzen versucht und dem ungeachtet literarischer Erfolge nie gelingt, dass Butter im Fass jener Milch wird, in der er um sein Leben strampelt.
Es ist eine wohl einzigartige, sich dem Verständnis der Nachgeborenen nur schwer erschließbare Freundschaft, die die beiden großen Prosaisten verbindet, bis beider Tod sie dann scheidet. Zuerst jener von Joseph Roth, der – nicht zuletzt im Gefolge alkoholischer Auszehrung – 1939 einer Lungenentzündung erliegt, und dem Stefan Zweig drei Jahre später im selbstgewählten brasilianischen Exil per Freitod folgt. Aber obwohl beide als Persönlichkeiten immer sehr verschieden bleiben, eint sie doch das gemeinsame Schicksal, das die Dreißiger Jahre unter der Ägide der braunen Kulturbarbaren ihnen auferlegte wie so vielen anderen humanistischen Geistern jener Zeit, die an eben jener Zeit irre werden.
Es mutet merkwürdig an: Roth, Phänotyp mentaler Unrast mit Neigung zu hysterischer Wut, Selbstmitleid und/oder Resignation, bewundert Mal um Mal den um 13 Jahre älteren Zweig. Nicht nur dessen literarischen Ruhmes wegen, der Zweig bereits umgibt, sondern wegen dessen Weisheit; vieles liest sich, als wenn ein Zögling seinen Mentor anspricht. Ein „Zögling“, der von sich weiß und sagt, dass er zwischen zwei Stühlen sitzt: „…die Reaktionäre halten mich für einen linken Juden und die Linken für einen ‚Renegaten‛.“
Dann aber ist es nicht Zweig, sondern Roth, der früher erkennt, was mit den Nazis – auch schon vor deren Herrschaftsantritt – für den Geist und die deutsche Kultur am deutschen Himmel heraufzieht. Und Roth ist es, der dem – wie vielen anderen Künstlern dieser Zeit gleich – zögernden Zweig Konsequenz abverlangt. „Alles kommt von Ihrer schwankenden Haltung. Alles Böse, alles Mißverständliche. Alle dummen Zeitungsnotizen über Sie“, appelliert er an Zweig im November 33 in einem Brief obsessiver Verzweiflung an seinen Freund, der – ähnlich wie Thomas Mann – seinerzeit noch immer hoffte, sich seine deutsche Leserschaft per politischer Zurückhaltung bewahren zu können. „Sie sind in Gefahr, den moralischen Kredit der Welt zu verlieren und im Dritten Reich nichts zu gewinnen“, schrieb Roth ihm, und es war ihm, dem in so vieler Hinsicht selbst schon Gebrochenen bitterernst: „Sie müssen entweder mit dem III. Reich Schluß machen, oder mit mir.“
Denn das ist Roths bereits im März 1933ausgemachte Haltung, als Zweig noch um sie rang: „Man hat … eine Verpflichtung gegen Voltaire, Herder, Goethe, Nietzsche, wie gegen Moses und seine jüdischen Väter.
Es ergibt sich daraus die Verpflichtung:
Das Leben zu retten, wenn es durch Bestien gefährdet ist und sein Schreiben.
Kein Sich-Ergeben in Das, was man voreilig Schicksal nennt.
Und ‚eingreifen‛, kämpfen, sobald der richtige Augenblick da ist.“
Wiewohl durch Roth in mancherlei zusätzliche Bedrängnis geraten, hat Stefan Zweig diesen „merkwürdigen“ Freund nie preisgegeben; dem weitgehend Bindungslosen dürfte er selbst wohl der nahezu einzige Freund gewesen sein. Nicht, als ihm Roth dergestalt offen ins Gewissen redete wie erwähnt, und schon gar nicht, wenn es darum ging, dem elend Bestallten materiell zu helfen – mit Geldbeträgen etwa oder mit Kontakten zu Verlagen, bei denen Roth sich nahezu geknechtet jene Mittel zu verdienen hatte, die ihm grade mal zum Leben reichten, und die er nicht nur seiner alkoholischen Ausschweifungen sondern auch seiner Verpflichtungen wegen für seine schwerkranke und betreuungspflichtige Frau auch benötigte. Und Zweig hielt das aufrecht erhielt, auch wenn ihm bereits 1930 klar war: „Roth kann man nicht helfen; seine Narrheit ist ein Faß ohne Boden.“ Und was trotz der zunehmenden Spannungen zwischen beiden blieb bis zu Roths traurigem Ende. das Stefan Zweig nach der erhaltenen Todesnachricht in einem Brief an Romain Rolland vom 27. Mai 1939 so kommentiert: „Mein Freund, in diesem Augenblick erhalte ich ein Telegramm, daß mein alter und lieber Freund Joseph Roth in Paris gestorben ist! In einer Woche Toller und er (der wirklich der große Schriftsteller war, aber physisch zerstört durch das Hitlertum). Wir werden nicht alt, wir Exilierten! Ich habe ihn wie einen Bruder geliebt …“
Dieses Buch ist zu rühmen, nicht nur weil es uns diesen Austausch zweier bedeutender deutschsprachiger Literaten und mit ihm ihre Persönlichkeiten und auch „ihre Zeit“ näherbringt, um uns das eine wie das andere verständlicher zu machen. Der Wallstein-Verlag hat diesen Band auch vorbildlich editiert. Dass dieser Briefwechsel vorrangig aus Briefen Roths besteht, kann den Herausgebern nicht angelastet werden; Joseph Roth, der unstet und ewig in Hotels Lebende, hat Zweigs Briefe leider nicht ebenso bewahrt wie dies umgekehrt der Fall war. So gut das geht, kompensiert Wallstein das durch einen ausführlichen und vorzüglichen ausführlichen Kommentar jedes der Briefe ebenso wie mit einem Anhang, dem Aussagen zu Joseph Roth in Stefan Zweigs Korrespondenz mit Dritten ebenso angehören wie weitere ausgewählte Schriften Stefan Zweigs.
Ein Fehler per verhobener Seiten im Anhang und ein in Anbetracht des zwingenden Pendelns zwischen Briefen und Kommentaren fehlendes, weil hilfreiches Lesebändchen ändern an einem „Chapeau“ für diese Edition nichts.

„Jede Freundschaft mit mir ist verderblich“, Joseph Roth, Stefan Zweig, Briefwechsel 1927 -1938. Herausgegeben von Madeleine Rietra und Rainer Joachim Siegel. Mit einem Nachwort von Heinz Lunzer, Wallstein Verlag, Göttingen 2011, 624 Seiten, 33,90 Euro