14. Jahrgang | Nummer 24 | 28. November 2011

Querbeet (III)

von Reinhard Wengierek

Meine Fundstücke im Kunstgestrüpp: Diesmal Adventskerzen, Frauenpower, Erbsentheater und Sachsen-Stars.
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Alle Jahre wieder: Eibe oder Blaufichte? Wurscht; Hauptsache, vier dicke rote Kerzen für den Kranz. Neuerdings aber mit „banztsch“! Bitte, mit was? „Kerze mit banztsch“, wiederholt meine schicke Floristin aus Saigon, sie sagt immer Saigon, in ihrem Laden gegenüber vom Berliner Friedrichstadt Palast. Und zeigt auf das Scheibchen Blech unter der Adventskerze: „Bantzsch.“ ‑ Ach, Brandschutz!!! „Jaaa, mit Brandsuts.“ Und das erste Lichtlein brennt.
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Lady Saigon war schon im Friedrichstadt Palast, aber noch nie – vom „Shop“ zwei Straßenecken weiter – im Deutschen Theater (DT). „Mein Deuts!“ Ihr Kirschmund zieht einen Flunsch. Dabei wedelt so mancher aus der Künstler-Kundschaft mit Freikarten. Für gewisse DT-Sachen; etwa solche mit Musik: Etwa Nicolas Stemanns Singeabend „Letzte Lieder“. Klingt nach bittersüßer Schokolade. Aber nein, bloß saure Dekonstruktion und Kälte. Ein arrogantes Hohelied gegen Sinn und Sinnlichkeit. Für verbissene Anti-Romantiker; nix für blumige Gemüter. Bleibt das Action-Musical „Fahr zur Hölle“ vom vermeintlich total kultigen Hamburger Blödel-Singsang-Trio Studio Braun. Es geht um den Hollywood-Thriller „Ein Mann sieht rot“. Um Selbstjustiz, Charles Bronson, Michael Kohlhaas, Meikel Coolhaze, Martin Luther, Politik, Sex, Kunst, Pop, Trash und Trallala sowie eine Bigband, die das tobende Gelaber bedröhnt. Ein Bespaßungs-Event für Freaks der niederen Sinnlosigkeit.
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Was am DT gut ist – abgesehen von wenigen Wunderkerzen im edlen Grau der feinen Mittelmäßigkeit ‑, das spielt sich eher in Details und am Rande ab: Beispielsweise Barbara Schnitzlers Solo in der DT-Besenkammer, dem echt coolen Studio namens „Box“; Titel „Das Jahr magischen Denkens“. Es ist die Adaption der Memoiren von Joan Didion, einer bedeutenden amerikanischen Autorin, deren Tochter und Ehemann kurz hintereinander starben. Ihr Text beschreibt die verzweifelte Suche nach Strategien fürs Weiterleben nach der Katastrophe. Wie kann man zurande kommen mit den Seelenqualen? Die Schnitzler bringt Antworten wie Unbeantwortbares unglaublich beklemmend rüber, mit knappster Gestik und Mimik und großer Sprechkunst. Das erschüttert – und erhellt.
Die Schnitzler kann aber auch ganz anders – als komische Tragödin. In Dea Lohers Figuren-Reigen „Unschuld“ gibt sie eine arg lädierte Zuckerkranke, die aus schwerem Unglück wütende Lebensgier saugt. Die absurde Wiederholung von „Wenn ich Tankwart wäre und ein Streichholz hätte…“, allein mit diesem immer wieder in zahllosen Miniauftritten hin gerotzten Satzfetzen rückt sie als unvergessliches Rumms, als sarkastische Souveränin allen Daseinselends in den Mittelpunkt dieser starken Thalheimer-Inszenierung.
Damit passt die eigentlich ladylike Schnitzler frappant auf ihre Kollegin Margit Bendokat, vom Typ her eher durchtriebene Domestikin. Im neuen, von Regisseur Dimiter Gotscheff arrangierten Heiner-Müller-Programm (DT-Kammerspiele) setzt allein diese tolldreiste Bendokat im biederen Hausfrauen-Habit mit „Mommsens Block“ den kalten Befreiungsschlag von dampfender Müller-Anhimmelei. Ein Bendokat-Block feinster Ironie kracht uns da vor die Füße als Schluss-Kommentar zu der von Almut Zilcher und Wolfram Koch pathetisch betriebenen Monolog-Müllerei über Argonauten und Medea.
Das „Mommsen“-Langgedicht handelt davon, wie dem Poeten Müller nach 1989 das „Material“ abhanden kam: nämlich die Masse Mensch als Spielball ewiger Gewaltherrschaft auf dem Blutacker der Geschichte. Die Bendokat entlarvt in köstlichster Komik demonstrativ naiv des Autors olympische Entrücktheit als zynische Wirklichkeitsverachtung. Widerstand „von unten“ gegen den mythisch-apokalyptischen Hohepriester da oben. Die denkbar amüsanteste, zudem menschenfreundlichste Stürmerei eines rissig gewordenen Denkmals. 20 herrliche Minuten großes Theater im zwar unerhört fleißigen und angestrengten, aber dennoch ziemlich kleinkarierten DT – für das seit zwei Spielzeiten das neue Logo steht: Zwei Kleinbuchstaben „dt“ gefasst in einem Klecks, gleichend einer Erbse mit Monogramm.
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Zwei taffe Sachsen liefern demnächst zwei Jubiläen von Weltbedeutung (in Sachsen geht’s ungern kleiner). Zum einen Richard Wagners 200. Geburtstag am 22. Mai 2013 in Leipzig. In der Berliner Philharmonie feiert man schon mal vor: Das Rundfunk-Sinfonieorchester bringt die zehn Bayreuth-tauglich Opern; jetzt war „Lohengrin“ dran. Also Hören, nicht Gucken; „ohne Regiegedöns“, so Dirigent Marek Janowski. Theatralisch korrekt müsste ich sauer sein. Aber ehrlich – es gibt Momente im Schauspiel-Sessel, da lästert eine stockkonservative innere Stimme: Wäre schön, wenn die auf der Bühne mal aufhörten, unter Gedöns zu quasseln, und einfach ein Liedlein trällerten (Frank Castorf lässt das zuweilen gnädig zu). Also „Lohengrin“, mit einem 90-Personen-Chor – allein das kriegt kein Opernhaus hin, das war unerhört unter Chorchef Eberhard Friedrich. Mein Gott, nun lasst mich doch mal voll romantisch glotzen! Oder lauschen.
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Das andere Jubiläum: Martin Luthers Wittenberger Wutschrift wider den Papst von 1517. Auch hier das Vorabstück in Berlin: Die zentralstaatliche Ausrufung der, wie es heißt, Dachmarkenkampagne „Am Anfang war das Wort“. Die Vorbereitung aufs „weltgeschichtliche Ereignis Reformation“, so die PR. Die Rede ist vom neuen Gottes- und Menschenbild; Stichworte: Zweifel des Einzelnen, individuelles Gewissen, öffentlicher Diskurs. Dazu fällt mir, Mohammed zum Trotz (der Luthereien noch vor sich hat), ein neuerlicher islamischer Aufruhr ein. Er umwabert zwei abendländische Zeitungs-Karikaturen: Die eine zeigt Allah, wie ihn Klein-Christenfritzchen sich vorstellt, mit keck gezücktem Stöckchen. Unterschrift: „Wer nicht lacht, zehn Stockschläge!“ Die andere zeigt den Bartmann süffisant lächelnd: „Islam und Humor sind vereinbar!“ Viel Spaß in den Moscheen. Und viel Freude im Advent – bis zum nächsten Querbeet.