14. Jahrgang | Nummer 18 | 5. September 2011

Rilke, mißbraucht

von Thomas Behlert

Wenn die üblichen Hoch-Zeiten des Konsumterrors im Anflug sind, veröffentlichen Musiker aller Art Tonträger gefüllt mit noch komischerer Musik aller Art. Da greifen sie auch immer gerne in die Kiste der Literatur, denn da weiß jeder etwas und hat gar schon einmal ein Buch gelesen. Ist der Kopf von Musikern aber vollkommen leer, der Geldbeutel ebenso, und die Ideen bleiben aus, kommt besondere Freude auf, wenn musikalische Produzenten sich erinnern und zu einem Projekt einladen. Zum vierten Mal tut dieses das Musikerpaar Richard Schönherz und Angelica Fleer mit ihrem Rilke-Projekt. Hier versammeln sie unter der Überschrift: Wir machen schleimige Musik zu Texten eines Dichters, den wir eigentlich nicht verstehen. Im Laufe der vergangenen Zeit ließ sich schon allerlei Künstlerpack einfangen und mit Rilke missbrauchen. Da sangen, sprachen und ranzten bereits Jürgen Prochnow, die bayrische Schuhplattlerrapperin Zabine, Nina Hagen und, taram taram, Xavier Naidoo.
Auf dem jetzigen Album „Weltenweiter Wandrer“ ist es noch ein Grad schlimmer geworden. Diesmal treffen Schauspieler aus der zweiten Reihe auf Musiker, die sich dort ebenfalls befinden. Eine kleine Ausnahme ist Hardy Krüger, ein Mann, der auf der Leinwand schon fast alles war und besonders wegen seiner rauen, warmen Stimme gern gehört wird. Das machten sich Schönherz und Fleer gleich zu Eigen und ließen den Schauspieler das Gedicht „Der Fremde“ aufsagen. Ganz routiniert und clever hat Krüger diesen Fall gelöst: Er nahm sich wohl einfach das Blatt, las den Schnodder vor und verließ das Paar der Literaturmugge wieder, nach wenigen Minuten. So klingt sein Vortrag kein bisschen gekünstelt, ziemlich spontan und sehr nach Altersweisheit. Aber bei den anderen Mitstreitern hängen einem die wunderbaren Rilke-Texte schon nach wenigen Minuten zum Halse heraus. Wie kann es der Schlagermufti Maffay überhaupt wagen, solch erhabenes Zeugs in den Mund zu nehmen. Er spricht hinter schwülstiger Synthi-Musik sogar das Titelstück. Vermutlich dachte er bei den Zeilen: „Tausend Tränen reden / ewig ungestillt, / und in einer jeden / spiegelt sich dein Bild!“ an seine eigenen verkorksten Texte, die bis heute die Regionalsender zumüllen und leider viele Bürger hinter den Öfen vorlocken. Sein Nachfolger in Sachen Schwülstigkeit ist ebenfalls dabei: Clueso aus Erfurt. Dieser darf sich an eines der schönsten Rilke-Gedichte vergreifen, nämlich an: „Mach mich zum Wächter deiner Weiten“, das 1903 im italienischen Viareggio entstand. Und so geht es immer weiter mit fettigen Synthesizerklängen und Leichenfledderei. David Kross versucht sich zum Beispiel vergeblich an die viele Menschen zu Tränen rührenden Gedichte „Manchmal“ und „Das Kind“, und das alte Weib der langweiligen Fernsehkrimis, Hannelore Elsner, versenkte gar prächtig „Da neigt sich die Stunde“ mit anrüchiger Trinkerstimme in der blauen Adria. Man möchte vor Schmerzen weinen. Schließlich und endlich kommt noch Ben Becker zu Wort, der sich wohl als die Fortsetzung von Klaus Kinski hält. Vor Jahren las er schon aus der Bibel und jetzt eben Rilkes „Schwindende“. Es klingt einfach nicht nach Liebe, nach Tod und Vergehen und schon gar nicht nach Eindringlichkeit, Ewigkeit und Sehnsucht. Kinski hätte die Peitsche genommen und ihn von der Bühne gejagt.
Nicht viel wird im Musikgeschäft abgesprochen, denn sonst hätte der „Musikverein“ mit dem eigenartigen Namen „Club der toten Dichter“ nicht auch noch ein Album mit Rilke-Texten auf den übersättigten Markt geworfen. Der Erfinder und ehemalige Gitarrist der einzigen DDR-Boygroup Rockhaus, Reinhardt Repke, gab seiner Truppe wohl diesen eigenwilligen Namen, um so noch lange und ungestraft in der Literatur wildern zu können. Nach Heinrich Heine nahm er sich im vergangenen Jahr gemeinsam mit Norbert Leisegang Wilhelm Busch vor, und nun eben Rainer Maria Rilke. Wie der Waschzettel verrät, sind außerdem Musiker von der Berliner One-Hit-Wonder-Band Rainbirds, der letzten Rio-Reiser-Band und von der wohl schlechtesten Nach-DDR-Rock-Combo aller Zeiten, Osten.de, dabei. Osten.de, schon der Name ist bekloppt, coverten vor einigen Jahren alte DDR-Beattitel mit mäßigem, bis gar keinem, Erfolg. Repke behält bestimmt die ganze eingenommen Kohle für sich, da er die Parts Komposition, Produktion, Gesang, Gitarre, Management, Booking und Promotion ebenfalls übernommen hat. Außerdem bearbeitete er die Texte von Rainer Maria Rilke (Sic!) nach eigenem Gutdünken.
Da mit den Rainbirds nichts mehr los ist und die Solokarriere kein Stück voran kommt, ließ sich Sängerin Katharina Franck gerne zu diesen Untaten einladen. Rilke würde einfach nur kotzen. „Gar grauslich wächst die Melodie“ könnte er außerdem beim abhören von Blues („Lösch mir die Augen aus“), Schleimbeutelschlager („Gesehn Gehofft Gefunden“) und poppigen Songs (Rest) wohl in sein Notizbüchlein kritzeln. Insgesamt ist Kathrina Francks Stimme zu eindringlich, zu schrill, nach dem vierten Song absolut nervend. Die Kompositionen kommen ganz ohne Höhepunkt aus, sie wirken wie aus der Angebotskiste für Schlagerkomponisten.
Hätte Rainer Maria Rilke gewollt, daß man seine Worte mit Musik totmacht, dann hätte er sich mehr auf Couplets, Operettentexte und Schlager konzentriert. Musiker ohne Ideen sollten lieber die Finger von seinen melancholischen, einfühlsamen und manchmal verwirrenden Zeilen voller Liebe, Freude, Einsamkeit und Trauer lassen. Gedichte, wie „Herbsttag“, „Der Panther“ (Club der toten Dichter), „Denn ich denke“ und „Wir lächeln leis“ (Rilke Projekt) müssen einfach nur für sich stehen.

Schönherz & Fleer: Rilke Projekt. „Weltenweiter Wandrer“, Sony Music , München 2010, 15,99 Euro

Reinhard Repke: Club der toten Dichter. „Eines Wunders Melodie“, ZuG-Records/edel, Berlin 2010, 15 Euro