14. Jahrgang | Nummer 13 | 27. Juni 2011

Konflikte stachelten ihn an

von Ulrike Krenzlin

Wenn der Maler Bernhard Heisig bei Atelierbesuchen mit Gästen redete, klang seine Stimme unprätentiös. Langsam und leise sprach er mit dem schönen Timbre einer Baritonstimme. Argumente trug er nicht nachdrücklich vor. Nur ganz knapp ohne  rhetorischen Aufwand. Seine Rede wirkte daher nicht autoritär, was ich gern hingenommen hätte, weil man von einem Künstler diesen Ranges Erklärungen zu allen Lebensdingen stolz als Zitate mit nach Hause nehmen würde. Heisig hat seine Gedanken stringent entwickelt. Er führte sie bündig, schnitt dabei alle Nebenwege ab, um auf den scharfen Punkt einer unerbittlichen Feststellung hin zu steuern. Hoffnung auf etwas, das andere ins Spiel brachten, geriet schnell ins Lächerliche. Glaube an Besserung der Menschen, gar ihrer gesellschaftlichen Belange in naher oder ferne Zukunft, wies er knapp zurück. Skepsis drang immer durch. Dieser Redeweise wohnte dennoch etwas Nobles, mithin Tröstliches inne. Es erschien mir so, als ob der Maler dem Furor seiner Farbeffekte, dem stets an die Nerven rüttelnden ästhetischen Reiz ihrer Durchdringungen und Überlagerungen, die er wütend mit seinen Katastrophenbildern vermischte, keine zweite Ebene, die der Sprache, öffnen wollte.
Anders gesagt, er vermied eine zweite Kampffront. Es war als ob er nur einmal wild sein konnte, eben als Maler und nicht als Redner. Er stopft und schichtet Menschenmassen im „Turmbau zu Babel“, in seinen Kriegs- und Epochen Panoramen in zu enge Schachtelräume, die keine Auswege bieten. Heisigs Prinzip hat sich bis ins Regietheater durchgesetzt. Michael Thalheimer könnte es von Heisig abgeguckt haben, wenn er in seinen Inszenierungen von Gerhart Hauptmanns „Ratten“ und Leo Tolstois „Macht der Finsternis“ mit allergrößtem Erfolg Bühnenkästen und -schlünde konstruiert, in denen die Menschen in kostbaren Kostümen ihr Elend mit aufgerissenen Mäulern nur gebückt verhandeln können. Geschrei, Würgen und Drängen, alle Qualen der Personage in metaphorisch engen Räumen zeigen sich bei Heisig schon ganz früh. In „1848 in Leipzig“ (1954/58), den „Gerarer Arbeitern am 15. März 1920“ (1960/1984) und in der „Pariser Commune“ (1971/72) zeigt sich zunehmend klarer, dass diese künstlerische Strategie keine Klarheit mehr für die Darstellung von Siegern und Besiegten zulässt. In der Darstellung von Revolutionen, Kriegen und Aufständen kann es bei Heisig keine Helden geben. Diese künstlerische Methode perfektioniert der Maler immer mehr. So in den Varianten vom „Weihnachtstraum des unbelehrbaren Soldaten“, im Panorama-Bild „Zeit und Leben“ (Cafeteria im Reichstag), zuletzt in „Menschen, Kriege, alter Maler“ (2004 vollendet).
Um seine Bilder vor Ort, in Ausstellungen oder bei Galeristen, jeder Zeit unauffällig ändern zu können, trägt er Pinsel und Ölfarbe stets in Hosentaschen bei sich.
Mit seiner Haltung des unklar definierten Feindbildes musste der Maler in Konflikt zu den Theorien des Sozialistischen Realismus geraten. Daraus resultieren in der DDR im folgenden Aufstieg und Brüche seiner Karriere an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig als zweimal neu- und wieder abberufener Rektor sowie die Einrichtung einer Malklasse, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur  „Leipziger Schule“ entwickeln wird, die Verleihung zweier Nationalpreise, die er 1989 zurückgeben wird.
Doch wieso ist Heisig so unverrückbar gebunden an Konfliktdenken? Als Jugendlicher wird er mit dem Krieg konfrontiert. Bekannt ist, dass sich Bernhard Heisig freiwillig zur Waffen-SS, 1943 sogar für eine Panzerdivision, entschieden hat. Diese Tatsache verschwieg er nicht wie andere Künstler und Schriftsteller, sondern er stellt schuldhafte Mittäterschaft lebenslang in seiner Kunst dar. Das Thema bleibt Agens seiner künstlerischen Reflexion. Bis zum Kriegsende war der Jungendliche in das  brutale Kriegsgeschehen einbezogen. Seine ersten Erlebnisse sind also nicht die erotischen Nöte, die Frank Wedekind von Pubertierenden in „Frühlingserwachen“ geschildert hat. Das Lebensmotto, das Heisig prägt, sind das Ausgeliefertsein des Individuums im Krieg, der Kampf um Leben und Tod. Nach dem Krieg, in der DDR, wird ihm diese harte Ausgangsbasis als Künstler zugute kommen. Politische Konflikte können ihm kaum etwas anhaben. Der Konfliktbewältiger gestaltet immer umfassendere Epochenbilder. Eduard Beaucamp hat Heisig den Schöpfer einer „Katastrophen-Ikonographie“ genannt.
Bei allem Sinn für Geschichte und Politik, die an Heisigs Werk herausgestellt worden ist, sollte nicht übersehen werden, dass der Maler einen überragenden Sinn für andere Künste, die Musik und Literatur hatte. Vaclav Neumann ist von Heisig so feinnervig porträtiert worden, als ob der Künstler selber nichts anderes liebe als die Musik. Das Porträt des Dirigenten vom Leipziger Gewandhaus Dirigenten Kurt Masur zeigt vergleichbare Stärken in der Darstellung eines Musikers. Die Vorliebe für Literatur älterer Epochen, die Heisig zu einem der eindringlichsten lithographischen Interpreten unserer Zeit reifen ließ, ist längst nicht ausreichend dargestellt.
Bernhard Heisig war verheiratet mit Gudrun Brüne, die an seiner Seite eine große Künstlerin geworden ist. Mit ihren zerbrochenen Puppenspielen hat sie uns in ihren Arbeiten das Wesen des Marionettentheaters in der Deutung Heinrichs von Kleist nähergebracht. Bernhard Heisig, selber Sohn eines Malers, hat seine beiden Söhne zu bedeutenden Künstlern herangezogen. Er überflügelte die DDR, die Wende, das 20. Jahrhundert. Nun gehört er zu den wichtigsten Künstlern unserer Zeit. Wie unergiebig erscheint dann die Frage, ob Heisig ein Staatskünstler war oder nicht.

Am 10. Juni ist Berhard Heisig im havelländischen Strodehne, wo er seit 1992 lebte, 86-jährig gestorben.