14. Jahrgang | Nummer 11 | 31. Mai 2011

Vor 90 Jahren

Ihr „Blättchen“ haben Weltbühnen-Begründer Siegfried Jacobsohn und sein produktivster und prägendster Autor, Kurt Tucholsky, die ziegelrote Wochenschrift liebevoll genannt, wenn sie sich mündlich oder schriftlich über sie verständigten. Das Blättchen heißt nicht zuletzt deshalb jene Publikation, die – wenn auch als Zweiwochenschrift – seit nunmehr 14 Jahren darum bemüht ist, sich in die Tradition jenes großen Vorbildes zu stellen. Dass es dabei vornehmlich darum geht, den linksliberalen Geist der Weltbühne von Jacobsohn, Tucholsky sowie Carl von Ossietzky weiterzutragen, versteht sich.
Dass die Erinnerung an die Weltbühne aber auch durch den Nachdruck einzelner Texte einen festen Platz bei uns hat, wissen zumindest jene Leser, die dem Blättchen schon länger verbunden sind. Dabei geht es mitnichten um Nostalgie, sind uns Nachgeborenen doch viele Beiträge der Weltbühne schon deshalb nahe, weil sie, obwohl ihr Ursprung nun zum Teil bis über 100 Jahre zurückliegt, Vertrautes widerspiegeln: den geistigen Kampf gegen Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung ebenso wie gegen Faschismus, Rassismus und Nationalismus, für Geistesfreiheit und Geisteskultur. Bei aller Entwicklung unserer Welt in der seither verflossenen Zeit liest sich vieles davon fast so, als wäre es für uns Heutige geschrieben.
Beginnend mit der vorliegenden Ausgabe will das Blättchen dieses produktive Gedenken an die große Vorgängerin über den bisherigen sporadischen Nachdruck einzelner Texte hinaus zu einer permanenten Rubrik erweitern und künftig in jeder Nummer einen Beitrag der historischen Weltbühne publizieren. Dabei wollen wir zwar Gewichtiges und Typisches aus der gesamten Bandbreite der Weltbühne ans Tageslicht holen, die Auswahl durch das Redaktionsteam wird dabei jedoch keinem festen Kriterienkanon sondern durchaus subjetiv erfolgen.
Obwohl es dabei durchaus reizvoll gewesen wäre, die Schätze der Weltbühne aus der Distanz von 100 Jahren zu heben, haben wir uns für den Titel „Vor 90 Jahren“ entschieden – weil die Zeit der Weimarer Republik bis zum Verbot der Wochenschrift Anfang 1933 und der Verfolgung ihrer Autoren jene von besonderer Relevanz für uns Heutige ist.
Die Lesbarkeit der gescannten Beiträge könnte für manches Auge „suboptimal“ sein, trotzdem möchten wir auf die auch von der Typografie und vom Layout her originale Präsentation der Texte – unter anderem aus Gründen der Authentizität – nicht verzichten.
Nicht in jedem Fall ist es der Redaktion gelungen, zweifelsfrei zu klären, ob an den Texten noch Urheberrechte bestehen, und die Inhaber gegebenenfalls zu kontaktieren. Wo sich ein solches Defizit offenbaren sollte, bitten wir darum, sich direkt an uns zu wenden.

Die Redaktion

P.S.: Die Wiedergabe des ersten Textes der neuen Blättchen-Rubrik schließt allerdings gleich einen Bruch der selbst gestellten Regel ein, denn er entstammt dem Jahre 1918. Das hat seinen Grund: Ab Heft 14 des 1918er Jahrgangs firmierte die von Siegfried Jacobsohn im Jahre 1905 begründete Zeitschrift Die Schaubühne unter dem neuen Titel Die Weltbühne, und der nachfolgende Text war der erste Beitrag in eben dieser ersten Weltbühnen-Ausgabe.