14. Jahrgang | Nummer 11 | 31. Mai 2011

Treitschkes Nachfolger

von Wolfgang Brauer

Patrick Bahners hat ein Buch gegen die sogenannte „Islamkritik“ geschrieben. Um es vorwegzunehmen: Bahners weist nach, dass es sich bei deren Protagonisten nicht um über Zahlenkolonnen durchgeknallte Buchhalterhirne handelt, wie es manche Kritiker einem gewissen Thilo Sarrazin vorwerfen. Diese Leute kommen aus der Mitte der Gesellschaft. Sie sind die Meinungsmacher dieser Republik, sie sitzen an politischen Schalthebeln – und sie stiften Hass und Unfrieden. Dagegen schreibt Patrick Bahners an und es scheint ein Kampf von Lilliput gegen Goliath zu sein, den er da führt. Als „Islamkritiker“ – man wird doch wohl noch ein kritisches Wort sagen dürfen! – gerieren sich zum Beispiel publizistische Leitfiguren wie Henryk M. Broder, Alice Schwarzer, Necla Kelek, Ralph Giordano zusammen mit Spitzenpolitikern wie Wolfgang Bosbach (CDU) und Alexander Dobrindt (CSU). Bahners zitiert aber auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP): „Der Islam ist Teil der gesellschaftlichen Realität Deutschlands. Unsere kulturelle Wurzel ist die christlich-jüdische Tradition.“ Westerwelle sagte dies am 14. Oktober 2010 in einem Interview mit der FAZ – Bahners ist Feuilletonchef des Blattes und bezeichnet diese These als „monströse Geschmacklosigkeit“, noch dazu aus deutschem Munde. Teil der gesellschaftlichen Realität Deutschlands sind übrigens auch Kindesmissbrauch und Steuerhinterziehung. Die Unterschiede im geistigen Weltbild der aufgelisteten Herrschaften zu dem des Provokateurs Sarrazin sind minimal. Bahners weist dies detailliert nach. Das ist notwendig und man sollte seiner mitunter anstrengenden Analysearbeit folgen. Sonst ist sein Abschlussbefund nicht zu verstehen. Henryk M. Broder: „So wie jeder Dammbruch mit winzigen Haarrissen anfängt, so rücken pathologische Ideen von den Rändern der Gesellschaft in ihr Zentrum vor.“ Meinungsmacher Broder hat nicht nur Haarrisse zu verantworten und eine Randfigur ist er auch nicht.
Sarrazins obskure Weltsicht ist kein Solitär und nicht aus dem Nichts erwachsen. Sein unsäglicher Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ wurde sorgsam in der deutschen Medienöffentlichkeit platziert: Im Herbst 2009 gab der damalige sozialdemokratische Bundesbanker – die Partei hat Frieden mit ihrem enfant terrible geschlossen – der Zeitschrift Lettre International ein Interview, in dem er die große Mehrheit der in Deutschland lebenden Türken als wirtschaftlich nutzlosen Fremdkörper beschrieb, der nicht anderes täte, als laufend „kleine Kopftuchmädchen“ in die Welt zu setzen. Die Empörung war groß. Der Beifall für Sarrazins Pöbeleien nicht minder. Nur nicht so laut, noch nicht. Das änderte sich mit seinem Buch. Es fiel heftiger Ablehnung anheim, erreichte beinahe Auflagenzahlen wie Harry Potters Berichte vom Krieg gegen das Böse und übt nachhaltige Wirkung aus. Es sind weniger seine „messerscharfen Analysen“ die trotz ihrer Peinlichkeit gerade aufgrund einer kaum zu unterbietenden Schlichtheit bejubelt werden. Sarrazin und seine Jünger haben etwas fertig gebracht, was sich als verheerende Sprengladung an den Fundamenten der demokratisch verfassten deutschen Gesellschaft erweisen kann: „Im letzten halben Jahr ist eine soziale Debatte ethnifiziert worden.“ So brachte es Jens Hillje im Januar-Heft von Theater der Zeit auf den Punkt. Ein Rassist ist Thilo Sarrazin nicht, manche meiner linken Freunde machen es sich da zu einfach. Er ist Schlimmeres. Gegen den gut verdienenden und brav seine Steuern abdrückenden türkischen Unternehmer hat er nichts. Er hat viel, sehr viel, gegen die in seiner Nase übel riechenden Unterschichten. Seitdem er ihnen aber die „islamischen“ Nachbarn als Feindbild präsentierte, klatschen die ihm zu. Das gab es schon einmal in Deutschland. Dazu später.
Patrick Bahners weist nach, dass auch die „Kopftuchmädchen“-These nichts Neues ist. Am Beispiel des publizistischen Wirkens des hessischen CDU-Mannes Hans-Jürgen Irmer, der gibt im Lahn-Dill-Kreis die Gratis-Postille „Wetzlar Kurier“ heraus, schildert der Autor, wie dieses scheinbar nur aus aufklärerisch-christlichen Werten erwachsene ideologische Mycel aus den Hinterzimmern von Vereinslokalen die Lufthoheit bis hin zur Landesregierung errang. Der „Wetzlar Kurier“ bot übrigens auch dem „moslemischen“ Islamkritiker Bassam Tibi ein Podium, als dieser im Mai 2005 vor einer Islamisierung Europas auf demographischem Wege warnte. Das ist ganz nahe bei Sarrazin… Ach ja, das Kopftuch! Bahners widmet ihm, genauer dem Rechtsstreit zwischen der Lehrerin Fereshta Ludin und dem Land Baden-Württemberg und seinen rechtspolitischen Folgen ein ganzes Kapitel. Zu Recht. Mit dem am 24. September 2003 auf höchstrichterlicher Ebene erfolgten Zurückweisen der Anmaßung der Lehrerin Ludin, einer von ihr als verpflichtend empfundenen Bekleidungsregel – dem Kopftuch – Folge leisten zu wollen, wurde gleichsam der Funke zu einem Flächenbrand einer gesetzgeberischen Berufsverbotspraxis aus ideologischen Gründen gelegt, wie sie wohl letztmalig im Zusammenhang mit dem berüchtigten „Radikalenerlass“ praktiziert wurde. Das Tragen des Kopftuches ist inzwischen in vielen Bundesländern muslimischen Lehrerinnen verboten – de facto bedeutet dies den Ausschluss dieser Frauen von einer gehobenen Tätigkeit im öffentlichen Dienst. Bahners Wertung kann hier nur gefolgt werden: Diese Frauen unterliegen einem staatlichen Emanzipationsverbot. Toiletten putzen dürfen sie. Der Autor spricht von einer „Kleiderordnung, deren Hüter aus Sicherheitsgründen jede Kopftuchträgerin als Islamistin einstufen wollen.“ Das von Annette Schavan verantwortete Schulgesetz Baden-Württembergs verbietet einer Lehrerin ein „äußeres Verhalten“, das den „Eindruck“ erwecken könnte, die Kollegin gehe auf irgendeine Weise nicht mit der „westlichen Werteordnung“ konform. Hier wird selbst der F.A.Z.-Redakteur beinahe sprachlos. Er meint, diese Pervertierung des Rechtsstaates folge dem „Muster der Hexenverfolgung.“ Die neue baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) wird das nicht ändern. Sie ist Verfechterin des Kopftuchverbotes. Das gilt in Berlin übrigens auch – in der neutralen Formel des Verbotes „sichtbarer religiöser Symbole“. Erteilte die muslimische Mathematiklehrerin jedoch nach der Mathe-Stunde islamischen Religionsunterricht, dürfte sie im Klassenzimmer das Kopftuch wieder anlegen. Für Referendarinnen gibt es eine Ausnahmeregelung. Später müssen sie sich entscheiden: Schuldienst oder Kopftuch.
Vom Kopftuch-Verbot zum „Muslim-Test“ für Einwanderungswillige ist es nur ein kleiner Schritt. Auch wenn letzterer sich nicht durchsetzen konnte: Die Zeichen für deutsche Muslima und Muslime – nichts anderes sind Menschen islamischen Glaubens, die sich zum Leben in Deutschland aus welchen Gründen auch immer entschieden, den Staat geht das nichts an! – stehen auf Sturm. „Die Islamkritik ist die ins Apokalyptische gesteigerte Neuauflage der Magnettheorie des Kalten Krieges“, meint Bahners. Einmal Muslim, immer Muslim – und die sind uns halt wesensfremd. Das ordnet sich durchaus in die Überlegungen der Planer „heißer Kriege“ ein. Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr erklärte am 27. März im Berliner Tagesspiegel: „Man muss berücksichtigen, dass Nordafrika als strategische Gegenküste Europas große Bedeutung für unsere eigene Sicherheit hat.“ Kujat meint nicht nur die tunesischen Bootsflüchtlinge. Zum Abschotten des christlichen Abendlandes gehört auch die Abwehr „des fremden Elementes, das zu unserem Leben einen allzu breiten Raum eingenommen hat.“ Hier zitiert Bahners Heinrich von Treitschke. Sie erinnern sich richtig: „… die Juden sind unser Unglück!“ Und er beendet sein Buch mit dem Schluss, den Theodor Mommsen seinerzeit aus dem Berliner Antisemitismus-Streit 1879 zog: „Das heißt den Bürgerkrieg predigen.“ Um nichts anderes geht es. Patrick Bahners Buch ist ein längst überfälliger Aufschrei.

Patrick Bahners: Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift, C.H. Beck, München 2011, 320 S., 19,95 Euro