14. Jahrgang | Nummer 10 | 16. Mai 2011

Die Ofenbauer von Auschwitz

von Kai Agthe

Verlässt man mit dem Zug den Bahnhof Erfurt in Richtung Osten oder fährt man mit dem Auto auf der Weimarischen Straße stadtauswärts, zeigt sich rechter Hand ein unscheinbares graubraunes Verwaltungsgebäude, das sich durch nichts von der Industriearchitektur in dem Gewerbegebiet unterscheidet. Auf der Fassade ist freilich ein Schriftzug zu lesen, der auch aus größerer Entfernung zu erkennen ist und, da er ungute Ahnungen aufkommen lässt, zum Nachdenken anregt: „Stets gern für Sie beschäftigt …“ – Nicht nur im fernen Auschwitz, auch hier, am heutigen Sorbenweg 7, wurde von 1940 bis 1945 an der technischen Umsetzung des Holocaust und dessen technologischer Optimierung gearbeitet. Denn hier hatte die Firma Topf & Söhne ihren Sitz. Das 1878 gegründete Unternehmen stellte anfangs Brauerei- und Mälzereieinrichtungen (in dem Segment war man um 1910 internationaler Marktführer) sowie Speicher und Feuerungsanlagen her. Ab 1912 gehörte auch der Bau von Krematoriumsöfen und entsprechender Belüftungstechnik zum Produktionsprofil. In den zwanziger Jahren stieg Topf & Söhne sogar zum führenden deutschen Hersteller von Feuerbestattungsöfen auf.
„In Topf & Söhne begegnet uns das gewöhnliche Gesicht der Vernichtungsmaschinerie von Auschwitz mitten im Alltag der deutschen Gesellschaft“, heißt es am Beginn von Annegret Schüles umfangreicher Studie über die dunkle Geschichte des Erfurter Unternehmens, das im Auftrag der SS für Konzentrationslager wie etwa Buchenwald und Vernichtungslager wie Auschwitz und Mauthausen Krematoriumsöfen fertigte. In der historischen Forschung werden als Holocaust-Täter jene Personen bezeichnet, die „Mordaktionen vorbereiteten, durchführten und unterstützten“. Damit gehören also sowohl die Geschäftsführung des Familienbetriebs als auch die leitenden Ingenieure und Monteure von Topf & Söhne zu den Mittätern und -wissern der industriellen Vernichtung von Menschenleben im Hitler-Reich.
Die von Annegret Schüler erstmals vollständig ausgewerteten Unterlagen der Erfurter Firma und der SS bilden eine erdrückende Beweiskette, die nicht daran zweifeln lässt, dass sich Topf & Söhne wissentlich zum willfährigen Instrument bei der technischen Umsetzung des industriellen Massenmordes in den KZ machen ließ. Das zeigt die Autorin nicht nur anhand der Führungsetage des Familienunternehmens – das zur Zeit des Dritten Reiches die Brüder Ludwig (1903-1945) und Ernst Wolfgang Topf (1904-1979) leiteten –, sondern auch am Beispiel der Mitarbeiter und Ingenieure, die Anteil hatten an der (Weiter-)Entwicklung und dem Bau hocheffektiver Krematoriumstechnik. Um die von der SS gewünschte Effizienz zu erreichen, verstieß die Firma gegen alle gesetzlichen und ethischen Bestimmungen für pietätvolle Feuerbestattungen. In Zahlen heißt das: Die Leichen von einer Million Menschen, die allein von März 1943 bis November 1944 in Auschwitz durch Gas ermordet wurden, hat man daselbst in Topf-Öfen und, wo diese nicht ausreichten, unter freiem Himmel verbrannt.
Bei der Lektüre kann man die Autorin verstehen, die betont, dass nicht nur die Arbeit an dem Thema eine Herausforderung war, sondern auch eine große emotionale Belastung bedeutete. Annegret Schüles Buch wird, so viel ist gewiss, lange das Standardwerk zum Thema bleiben.
Dringend geboten wäre es nun, eine vergleichbar detaillierte Studie über das Unternehmen Heinrich Kori aus Berlin vorzulegen, dem direkten Konkurrenten von Topf & Söhne im Kampf um die Gunst und Aufträge der SS für Krematorienöfen und Belüftungstechnik. So weit sich sehen lässt, existiert keine einzige wissenschaftliche Arbeit über die Berliner Firma, die ihrerseits zahlreiche Konzentrationslager mit Verbrennungsöfen ausstattete. Auch sollte die Aufmerksamkeit der Historiker jetzt der „Dessauer Zuckerfabrik“ gelten, wo seinerzeit der Giftstoff „Zyklon B“ für die Gaskammern der Vernichtungslager hergestellt wurde.
Das ehemalige Verwaltungsgebäude von Topf & Söhne ist seit dem 27. Januar 2011 ein musealer Erinnerungsort. Er kann dienstags bis sonntags in der Zeit von 10 bis 18 Uhr besucht werden. Der am einstigen Firmensitz zu lesende Schriftzug „Stets gern für Sie beschäftigt“ ist übrigens eine Floskel, die Topf & Söhne stets an das Ende von Briefen an die SS-Bauleitung setzte.

Annegret Schüle: Industrie und Holocaust. Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz. Wallstein-Verlag, Göttingen 2010. 464 S., 29,90 Euro