14. Jahrgang | Nummer 7 | 4. April 2011

Die Bank und ihre Bahnen

von Matthias Perske

Das bedingungslose Primat des finanzökonomischen Ansatzes führte in Großbritannien dazu, dass der Anteil des Vermögens der Banken am Bruttoinlandsprodukt, der von den 1880ern bis in die 1970er Jahre bei rund 70 Prozent gelegen hatte, bis 2005 auf 500 Prozent schnellte. Wie wurmstichig die so genannten Wertpapiere waren, stellte sich wenige Jahre später heraus; nicht nur hinter dem Ärmelkanal, sondern weltweit. In Deutschland wurde anlässlich der jüngsten Weltfinanzkrise zumindest offiziell auf die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn verzichtet und diese so dem spekulativen Zugriff entzogen – so weit, so gut.
Die Personenverkehrsleistungen des Regionalverkehrs werden überwiegend durch öffentliche Mittel finanziert, die des Kommunalverkehrs sowieso. Die S-Bahn Berlin, einst Zugpferd des öffentlichen Bahnverkehrs der deutschen Metropole und dann in den Marstall des DB-Konzerns einsortiert, wurde zu einem gewinnbringenden Unternehmen durchrationalisiert. Das führte zwar erhebliche Gewinne an ebendiesen bundeseigenen Konzern ab, war und ist aber zunehmend nicht mehr in der Lage, die gewohnten und wertgeschätzten Beförderungsleistungen zu erbringen. Die Einnahmeverluste, Rabattaktionen und Kürzungen der kommunalen Zuweisungen belasten fein säuberlich die Buchhaltung der S-Bahn und verschaffen der Bank schöne Aktivposten, denn die aufgelaufenen Schulden sind selbstverständlich zu bedienen. Den Bürgern werden neben regelmäßigen Fahrpreiserhöhungen auf den Bahnsteigen bunte Reklameplakate präsentiert, die statt des Kaufs der teuren Tickets den eines günstigen, abwrackprämierten Personenkraftwagens empfehlen; gerne auch auf Kredit natürlich. Als Lösungsansatz für das S-Bahnproblem fällt den Verkehrsexperten des Eigentümers, was ja immerhin unser Staat ist, zuvörderst die Ausschreibung zu einer noch weitergehenden Privatisierung ein. Im Personenfernverkehr herrscht eine ähnliche witterungsabhängige Zuverlässigkeit wie auf den öffentlichen Gehwegen. Überhitzung der Klimaanlagen im Sommer und einfrierende Züge und Strecken im Winter. Bei Streckeninstandhaltungsarbeiten heißt es nicht mehr Fahren und Bauen sondern zunehmend Fahren oder Bauen; keine Umleitungsstrecken, sondern Schienenersatzverkehr bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Bunte Reklameplakate für Fernreisebusse sind hier nicht vonnöten, der Absatz, gerne auch kreditfinanziert, lässt sich anders organisieren. Die Bahn kann ja auch selbst Busse fahren lassen.
Im Güterverkehr dominieren stets und ständig Wachstumsprognosen, die Delle von 2008 scheint so gut wie vergessen. Die Lastkraftwagenhersteller, ebenfalls nicht auf bunte Reklameplakate angewiesen, höchstens mal, um das ökologische Potenzial ihrer Produkte herauszustellen, konnten bereits 2010 wieder enorme Zuwächse beim Absatz verbuchen. Allein bei Daimler waren es, wenn auch exportgetrieben, 33 Prozent bis August im Vergleich zum Vorjahr. Zudem werden zwar die vierspurigen Bundesstraßen 2011 ebenso mautpflichtig wie die Bundesautobahnen und die Städte errichten sich wieder in Erinnerung an die mittelalterlichen Stadttore Kreisverkehre, um sich den schweren Durchgangsverkehr vom Leibe zu halten, doch dafür bekommen die Langlastkraftwagen trotz erheblicher Bedenken freie Fahrt in vielen Bundesländern. Nur zur Erprobung, versteht sich. Das Parkplatzproblem für die Transporter an den Bundesautobahnen wird durch Ausbau ebenso beherzt angegangen wie das Kreuzungs- und Überholungsproblem der Züge auf den Bahnhöfen der Bundeseisenbahnstrecken durch Einsparung dieser und jener Weichenverbindung. Die Güterwagen der Bahn, noch etwas eingerostet von der Krise, müssen großen Teils noch repariert werden. Ersatzteile sind teuer, vor allem die normhaltigen aus inländischer Produktion, und zweifellos ist im Wagenmaterial zu viel Kapital gebunden. Eisenbahngüterwagen laufen eben viel zu lange und sind deshalb nicht innovationsfähig genug. Überhaupt kann die Bahn ja selbst richtige Landverkehre auf der Straße organisieren und durchführen. Am besten natürlich weltweit, auch in der Luft und auf hoher See. Gerne auch auf Kredit. Die jüngst erworbenen Betriebsteile in Großbritannien werden nicht durch den Fahrkartenverkauf lukrativ, in London ebenso wenig wie der an den Fahrkartenschaltern und -automaten in Berlin. Doch die im Milliardenbereich realisierte Kreditausweitung ist ein enormes Geschäft für die Bank. Dafür können ruhig noch ein paar Eimer unter die (zuge)hörigen Eisenbahnunternehmen gestellt und (öffentliche) Gelder abgelassen werden, wenn dabei ein wenig daneben kleckert, nicht so schlimm.
1924, als die Bahn noch eine Deutsche Reichsbahn war, waren ihr Betriebsrechte zugestanden worden, die nicht nur mit der Berechtigung, sondern auch mit der Verpflichtung verbunden waren, die Eisenbahnen des Bundes, oder „des Reiches“, wie das damals hieß, zu betreiben. Der Reichsverkehrsminister hatte nichts dagegen. Ob der heutige Bundesverkehrsminister eine weitergehende handelsrechtliche Verwertung der Betriebsrechte oder einen weiteren Abfluss von Bundesmitteln ins Ausland gestattet, darf – hoffentlich – bezweifelt werden. Und überhaupt gab es früher nur eine Branche, in der es üblich war, Eimer unterzustellen: Kühe wurden so abgemolken.