14. Jahrgang | Nummer 8 | 18. April 2011

Bemerkungen

Frühling

Nun ist er endlich kommen doch
In grünem Knospenschuh;
„Er kam, er kam ja immer noch“,
Die Bäume nicken sich’s zu.

Sie konnten ihn all erwarten kaum,
Nun treiben sie Schuß auf Schuß;
Im Garten der alte Apfelbaum,
Er sträubt sich, aber er muß.

Wohl zögert auch das alte Herz
Und atmet noch nicht frei,
Es bangt und sorgt: „Es ist erst März,
Und März ist noch nicht Mai.“

O schüttle ab den schweren Traum
Und die lange Winterruh’:
Es wagt es der alte Apfelbaum,
Herze, wag’s auch du

Theodor Fontane
(1851)

Paradies für Lobbyisten
Linkspartei und Grüne haben dieser Tage im Bundestag einen Antrag zur Schaffung eines verbindlichen Lobbyistenregisters und die Verschärfung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung eingebracht. Ihre Chancen, damit Gehör – oder besser Zustimmung – zu finden haben sich als das erwiesen, was vermutet werden durfte: Null. Vertreter von CDU/CSU und FDP fanden den Vorstoß einen „untauglichen Versuch“, welcher lediglich ein „bürokratisches Monstrum“ schaffe. Der CDU reicht das seit 1972 betriebene Lobbyistenregister vollkommen aus. Es ist auch sehr praktisch, denn eine Eintragung in diese Liste ist erstens nicht verpflichtend und weist zweitens nur sehr begrenzte Informationen aus, über finanzielle Aufwendungen gar keine; ein Phantomregister. Für Deutschland sehr einnehmend ist auch das Regierungsverhalten gegenüber der 2003 von der UNO verabschiedeten Konvention, auf deren Grundlage  Lobbyismus und Korruption schärfer bekämpft werden sollen. Die Bundesrepublik gehört zu den weltweit lediglich 15 Staaten, die dieses Dokument zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert haben …

Monika Strehl

Belüftungsfragen
Sportstiefel von Puma sind ja vielleicht wirklich komfortabel. Auf jeden Fall sind sie teuer, und sie können dies auch schon deshalb sein, weil sie über die Jahre Kultstatus erlangt haben. Dass, wer als Unternehmer dies für seine Produkte erreicht, damit ein gutes Geld verdient, ist – jedenfalls in der Marktwirtschaft – unbenommen. Noch typischer für die Marktwirtschaft ist indes, dass Profit gierig macht; des Geldverdienens ist kein Ende, wenn Kapitaleigner nur alle erdenklichen Quellen anzapfen. Die Arbeit in Billiglohnländern erledigen zu lassen, ist eines der probatesten Mittel dafür. Unter welchen Umständen also jene kambodschanischen „Schumacher“ jenes Einkommen erarbeiten, das hierzulande nicht mal als Hungerlohn durchgehen würde (der Monatslohn der Arbeiter in vielen Zulieferfabriken liegt laut spiegel-online bei rund 42 Euro), ist da zweit- oder drittrangig. Und so ist man bei Puma halt überrascht und – natürlich – schonungslos aufklärungsbereit, wenn man vernimmt, dass 800 Arbeiter in zwei ihrer kambodschanischen Zulieferfabriken einen Masse-Schwächeanfall erlitten haben. Übermüdung wie schlechte Belüftung hält der Polizeichef von Phnom Penh für die wahrscheinlichsten Ursachen. Deutsche und anderweitig verortete Fußballkicker oder Jogger muss dies allerdings nicht anfechten. Puma-Schuhe selbst zeichnen sich unter anderem durch ihre gute Belüftung aus.

Hella Jülich

Ein Prosit der Gefährlichkeit
Der Internationalen Währungsfond (IWF) steht Zeit seiner Existenz in einem zwiespältigen Ruf. Was immer man dieser Institution anlastet – Hellsichtige hat sie jedenfalls auch hervorgebracht. Einer davon hat sich soeben zu Wort gemeldet, und dies denn doch ziemlich furios. Hat der ehemalige Chefökonom des IWF, Simon Johnson, den Deutsche-Bank-Chef Ackermann doch als nichts weniger bezeichnet denn als „einen der gefährlichsten Bankmanager der Welt“. Die von Ackermann angepeilte Rendite von 25 Prozent sei nur möglich, so Johnson, „weil er genau weiß, dass die Deutsche Bank ein Systemrisiko darstellt und daher von den Steuerzahlern gerettet würde, falls ein Konkurs droht“. Das sollte an dieser Stelle doch weitergetragen sein, wenn sie es schon selbst sagen.

Gerd Paul

Der Jugend Vertrauen und Verantwortung
Wenn Politiker zurückgetreten werden, dann ist ihr maroder Gesundheitszustand die beliebteste Legende – das galt sogar systemübergreifend. Im Sozialismus deutlich weniger in Anspruch genommen wurde die erforderliche Verjüngung der Großkopferten-Galerie. Wer ins Politbüro wollte/sollte/durfte, musste allemal mindestens 50 Jahre auf dem Buckel vorweisen, um wenigstens als Kandidat akzeptiert zu werden. Die eigentliche Karriere begann auf dem roten Olymp selten vor 60plus.
Das ist in der trauten und demokratisch vollendeten Gesellschaft unserer Tage freilich anders. Hier ist Trend, was ein Honecker für den Realsozialismus doch mehr als Parole gehandelt hat denn als Praxis politischer Führung: Der Jugend Vertrauen und Verantwortung!
Die FDP macht bei der Wahrwerdung dieses Prinzips derzeit regelrechte Quantensprünge. Durften ein Guido Westerwelle mit seinen 49 oder eine Cornelia Pieper mit ihren 52 bislang ja durchaus und berechtigt als Politiker in den besten Jahren – sowohl bereits erfahren als auch physisch wie nerval noch weitgehend unverbraucht – gelten, so treten sie derzeit erklärtermaßen zurück, um einen Generationenwechsel vorzunehmen. Ihre Nachfolger: Philipp Rösler, 39, FDP-General Christian („Bambi“) Lindner, 32, oder Daniel Bahr, 35.
Soweit so gut oder schlecht. Es ist nur eben so: Scheitern auch die Rösler, Lindner und Bahr bei ihrem nicht beneidenswerten Versuch, die FDP in der politischen Bundesliga zu halten, was passiert dann? Doch sicher ein weiterer Generationenwechsel. Der müsste dann folgerichtig die Julis an die Macht bringen, die ihrerseits den Achtziger und Neunziger Jahrgängen entstammen. Oder wird dann besser gleich auf deren noch sculpflichtige Kinder zurückgegriffen?
Wenn man bedenkt, dass heute 12-jährige Mütter werden und ihre Unterwäsche längst genauso gekonnt auf die Bühnen ihrer Popstars werfen wie weiland ihre Mütter und Großmütter oder dass sie die geschriebenen oder schon gedruckten Liebeserklärungen an ihre Helden genauso fröhlich in die Kamera zu halten wissen wie FDP- (und andere) Parteitagsdelegierte, dann kann an ihrer Qualifikation eigentlich kein wirklicher Zweifel entstehen – oder?

Heinz W. Konrad

Hast Du Haschisch in den Taschen …
Beamte des Hauptzollamtes Oldenburg haben an der deutsch-niederländischen Grenze einen litauischen Fußballprofi erwischt, der stramme 162 Kilogramm Haschisch im Gepäck hatte. Noch ungeklärt ist die Frage, ob dieser „größte Haschisch-Fund der vergangenen Jahrzehnte“ in Niedersachsen dem Kicker als Eigenbedarf für das nächste Spiel, die restliche Saison oder zur Weitergabe an Schiedsrichter gedacht war. Darüber schweigt der Inhaftierte hartnäckig, und dazu noch auf Litauisch.

Helge Jürgs

Eine gute Nachricht
Diese Nachricht ist in der Tat ebenso gut, wie überraschend. Denn obwohl im Vergleich zum 11. April die Berliner Tages-Temperaturen am 12. um nicht weniger als zehn Grad abgestürzt sind (von rund 23 auf 12 Grad!!!), ist die S-Bahn – jedenfalls mit dem derzeitig verfügbaren Wagenpark – gefahren, als sei nichts passiert. Wenn das keine Hoffnung macht: Die leitenden Betriebswirtschaftler des Unternehmens bekommen nun also augenscheinlich auch dramatischste Wetterkapriolen in den Griff. Das ist nicht wenig viel!

HWK

Ach, Niebel …

… da machen Sie sich mal wieder wahrnehmbar – wodurch wir dankenswerter Weise wissen, dass es Sie noch gibt und dass Sie offenbar auch noch Bundesminister sind – und dann das: Sie werfen der in Libyen waltenden Militärallianz ein falsches Spiel vor. Es sei, so werden Sie zitiert, bemerkenswert, dass gerade die Nationen munter in Libyen bomben, „die noch Öl von Libyen beziehen“. Nicht, dass unsereins mit Ihnen in dieser Frage besonders über Kreuz liegen würde, nur  – Libyen war bis dato auch Deutschlands fünftgrößter Erdöllieferant (2010: 7,3 Millionen Tonnen). Also in all der Zeit, in der jener finstere Gaddafi mit den Öl- und Gas-Einnahmen nicht nur seine unumschränkte Macht finanziert hat, sondern auch internationalen Terror à la Lockerbie, kam das Geld dafür nicht zuletzt aus der Bundesrepublik. Vielleicht haben Sie das einfach vergessen, lieber Ministerdarsteller, das kann jedem passieren. Sorgen macht uns allerdings, dass Ihnen offenbar auch die Bilder entgleiten – wie jenes Foto, das Ihren Parteichef beim staatstragenden Shakehands mit olle Muammar zeigt und das nicht direkt, nicht einmal indirekt den Eindruck macht, als habe es Guido Westerwelle dem Diktator gerade mächtig gegeben
Apropos Westerwelle: Der hat in einer Rede auf dem 3. EU-Afrika-Gipfel vor erst vier Monaten geäußert, dass „wir Europäer gleichberechtigte Partner (Afrikas – Anm. d.Red.) sein wollen, uns politisch und wirtschaftlich auf Augenhöhe begegnen“. Mit Gaddafi hatte das doch wunderbar geklappt, doch nun hat das blöde Volk die schöne Harmonie versaut.

HWK

Medien-Mosaik

Der Dichter und Philosoph Giwi Margwelaschwili – man würde nicht auf Anhieb darauf kommen – ist ein echter Berliner. Er wurde 1927 in der deutschen Hauptstadt geboren und verbrachte hier die ersten zwei Jahrzehnte seines Lebens, bis er nach dem zweiten Weltkrieg in die Heimat seiner Eltern, nach Georgien verbracht wurde. Mit 60 ließ man ihn mit zahlreichen auf Deutsch geschriebenen Manuskripten in die Bundesrepublik ausreisen. Große Teile seines Gesamtwerkes sind inzwischen im Berliner Verbrecherverlag erschienen, darunter auch der essayistische Roman „Der Kantakt“, der Tucholskysche Figuren in einen gegenwärtigen Kontext rückt.
Margwelaschwili wohnte 1995 als Stadtschreiber für einige Monate im Rheinsberger Cavalierhaus. Die Beschäftigung mit „Rheinsberg“ in Rheinsberg zeitigte letztlich diesen langen Essay. Der Autor imaginiert sich selbst als Leser in die Geschichte um Claire und Wolf und versucht, mit den Protagonisten in Kontakt zu kommen. („Kantakt“ ist die russische Aussprache der in der Sowjetunion so lebensnotwendigen Kontakte, bei Margwelaschwili aber auch eine Anspielung auf Immanuel Kant.)
Neben dem Umkreisen von Tucholskys Figuren erlaubt sich Margwelaschwili umfangreiche Abschweifungen, gibt zahlreiche autobiografische Details preis, umrundet die Zeit des Kalten Krieges, zieht dann wieder Fontane und alte Reiseführer zu Rate. Man ist geneigt, von einer elliptischen Erzählweise zu sprechen, kommt doch der Autor immer wieder auf die schon gehabten Themen zurück und entdeckt sie aus einem anderen Blickwinkel. Doch macht er es dem Leser schwer, denn Margwelaschwili schafft sich eine eigene Begriffswelt, in der er verharrt. Das gibt dem voluminösen Text einen ganz unverwechselbaren Charakter, wirkt aber geschraubt und schwer nachvollziehbar. Da entwickelt er die „Ontotextologie“, es gibt die „Verlesestofflichung“, die „existenzthematische Augenblicklichkeit“ oder die „Buchweltbezirksbiosphäre“.  Wer mit der speziellen Ironie der Georgier vertraut ist, wird gelegentlich schmunzeln. Und doch sind Spannungsbögen nur für den Leser auszumachen, der einen sehr langen Atem hat.
Giwi Margwelaschwili, Der Kantakt, Verbrecher Verlag, Berlin 2009, 796 S., 36,- Euro

Schon zum zehnten Mal jährt sich im Sommer der Todestag von Adolf Dresen. Er war ein begnadeter Schauspiel- und Opernregisseur, und als Bindeglied dazwischen inszenierte er am Deutschen Theater große Kleinkunst: deutsche Volkslieder in „Astel-Paul und die anderen“. Einige seiner Lieblingsschauspieler – allesamt auch Publikumslieblinge – wirkten mit: Elsa Grube-Deister, Margit Bendokat, Bärbel Bolle, Günter Sonnenberg, Alexander Lang, der auch Mundharmonika spielte und trommelte, Musiker Uwe Hilprecht und vor allem Dresen selbst, der auch auf dem Akkordeon ein As war. Der unvergessliche Dieter Franke erwies sich als herausragender Conférencier. Die durchaus doppelbödig aufzufassenden Lieder kann man sich in einer Aufnahme von 1976 noch einmal auf einer CD anhören, der auch ein gut gemachtes Booklet beigegeben ist.
Astel-Paul und die anderen – Deutsche Volkslieder im Deutschen Theater, CD, Eulenspiegel Verlag, Berlin 2010, 14,95 Euro

Zum bevorstehenden 75. Geburtstag hat der Verlag Das Neue Berlin dem Schauspieler Carl Heinz Choynski, dessen größte Filmrolle die eines Altertumsforschers in „Unterwegs nach Atlantis“ (1977) war, ein Geschenk gemacht, das sich als Danaergeschenk erweist: Man ließ ihn seine Erinnerungen aufschreiben. Das könnte aufschlussreich sein, war Choynski doch über ein Vierteljahrhundert vielfältig einsetzbarer Chargenspieler des Berliner Ensembles. Doch darüber berichtet er nur recht beiläufig. Erfährt man etwas über die spezielle Spielweise der  Weigel, über die May, die Kraus, darüber, wie sich die Thalbach in die erste Reihe spielte, wie der Flörchinger war oder der Schwabe? Kein Wort darüber. Nicht mal über die Schwänke, die Choynski in der Moritzburg spielte, finden Erwähnung. Nach Ansicht vieler Kritiker spielte der Charakterkomiker seine schönste Filmrolle in dem Lustspiel „Liebesfallen“ (1976) an der Seite von Nina Hagen. Der Film wird nicht erwähnt, und auch in dem schmalen Fototeil sucht man ihn vergebens. Stattdessen berichtet der Autor launig von Kindheit, Lehr- und Studentenjahren, vergisst keine seiner Reisen und die Erwähnung aller nicht prominenten Reisebekanntschaften. Den meisten Anekdoten fehlt die Pointe. Immerhin ist das Kapitel über Vietnam recht aufschlussreich geraten, wo Choynski 1987 den DEFA-Film „Dschungelzeit“ drehte. Ansonsten: viel geschrieben und wenig gesagt.
Carl Heinz Choynski, Det is nich allet Kunst!, Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2011, 208 S., 16,95 Euro

Der kirgisische Szenenbildner Aktan Abdikalikow hat in den neunziger Jahren begonnen, eigene Filme zu drehen, und dafür zahlreiche internationale Preise erhalten. Sein jüngster Film „Der Dieb des Lichts“ gewann im vergangenen Herbst in Cottbus den Publikumspreis (und ist für den Auslands-Oscar nominiert). Abdikalikow, der inzwischen seinen Namen in Aktan Arym Kubat geändert hat, spielt selbst die Hauptrolle in dem bewegenden Alltagsfilm. Er ist der liebenswerte und manchmal ungestüme Elektriker Svet-Ake, der sich für seine Nachbarn einsetzt, die neuen Ausbeutern in die Hände zu fallen drohen. Ohne zu politisieren, erzählt er viel von der Situation in Kirgisistan in der Nach-Sowjet-Ära, aber auch der Nach-Bakijew-Zeit. Der humorvoll und poetisch erzählende Kubat porträtiert seine Landsleute teils liebevoll, teils bissig, und verbreitet Hoffnung.
Der Dieb des Lichts, seit 14.4. im Kino

Bebe