14. Jahrgang | Sonderausgabe | 17. März 2011

Ein tolles Leben

von Heinz W. Konrad

Pavel Kohout geht der Ruf nach „schwierig“ zu sein, auch hochfahrend elitär und eitel sowieso. Das schlüssig zu beurteilen ist kaum möglich, wenn man einen Menschen nicht persönlich kennt. Ist dieser Mensch aber ein Literat, lässt sich viel über ihn aus seinen Büchern erfahren. Und kennt man gar seine Biografie, dann fügt sich doch ein – zumindest weitgehend stimmiges Bild. Wer Kohouts Theaterstücke, seine Romane, seine Essayistik und seine autobiografischen Bücher gut kennt, der dürfte – eventuelle geschmackliche Animositäten ausgenommen – kaum einen Zweifel haben: der 83jährige ist ein Dramatiker und Schriftsteller von europäischem Rang. Und – er ist eine Persönlichkeit mit einer Integrität, die eher zum Solitären neigt.
Integrität meint hier nicht eherne Fehllosigkeit, eine solche nimmt Kohout für sich nicht in Anspruch. Der Begriff beinhaltet vielmehr Lauterkeit, charakterliche Kenntlichkeit, und die auch und gerade dann, wenn es im Konflikt mit der gesellschaftlichen Umgebung zum Schwure kommt, man sich zum Beispiel zwischen ideologisch geerdeten Versuchungen der Politik und seinem Gewissen entscheiden muss – und dies dann zugunsten des Gewissens tut. Eben das hat Kohout in einem Leben, das mit der Ära Hitler und Stalins ebenso verbunden war wie mit der sehr viel späteren und sehr anderen eines Václav Havel immer wieder getan.
Im Gefolge der deutschen Besetzung seiner tschechischen Heimat angetreten mit dem ehrlichen Selbstverständnis, als Kommunist den ihm gemäßen Platz in der Gesellschaft zu finden und einnehmen zu wollen, ist Pavel Kohout lange dieser Überzeugung treu geblieben. Auch dann noch, als das sozialistische Ideal in praxi die ersten Risse bekam, die in Fällen wie 1952 den der Hinrichtung des KP-Chefs Slansky wegen einer erlogenen „Agententätigkeit“ bereits Erdrutsche in den eigenen Denkbeharrungen auslösten. Kohout, zunächst ausschließlich Dramatiker, der mit seinen Stücken der Wahrheit dienen wollte und mit ihr einer sozialistischen Zukunft, legte dieses Ziel unbeirrt auch noch der Reformbewegung des „Prager Frühlings“, von desen Wortführern er einer war und in deren Gefolge er 1969 aus der KPĆ ausgeschlossen wurde, und selbst noch jener weitgehend von Vaclav Havel und ihm verfassten Charta 77 zugrunde, deren beider Kriminalisierung und Unterdrückung ihm dann bescherte, zu einem der Lieblingsfeinde der Mächtigen in KPĆ und der Regenten auf der Prager Burg zu werden Nach vielerlei üblen Schikanen, Werk- und Arbeitsverboten sowie handfesten Bedrohungen blieb Kohout nur, was er zuvor so lange zu vermeiden suchte: „Der Dramatiker“, wie er sich in seiner Autobiografie nennt, ging ins Österreichische Exil; beziehungsweise er „wurde gegangen“, handelte es sich 1979 doch um eine veritable Ausbürgerung. Er blieb außer Landes und wurde in der Heimat totgeschwiegen, bis er nach der Implosion auch des tschechoslowakischen Realsozialismus im Spätherbst 1989 zurückkehren konnte, um seither sowohl in Wien, Prag und seinem langjährigen böhmisch-ländlichen Refugium Sazava zu leben und zu arbeiten.
Kohouts Autobiografie platzt förmlich von der Unmenge der darin enthaltenen und erlebten Geschichten über all diese dramatischen Jahre. Von erlebtem Leben also. Nichts davon erzählt er, um sich zu spreizen oder Polit-Voyeristen gefällig zu sein. Triumphe, Niederlagen und Enttäuschungen wiederholen sich mit schöner Stetigkeit – der allgegenwärtige Rhythmus eines lebendigen Lebens eben. In ausgesprochen literarischer Qualität, nicht zuletzt immer auch Hintersinn und sympathischer Selbstironie legt „der Dramatiker“ über bewegte Zeiten, die er in Kunst und Politik aktiv und maßgeblich mitgestaltet hat, ein Zeugnis ab, das als eines der tschechischen und auch europäischen Geschichte von Bestand sein wird.
„War es mein Leben??“ fragt Kohout im Epilog dieses Buches. „Dieses tolle Leben, in dem ich Hitler und Stalin überleben konnte – und das ich mit Havel weiter genießen kann? Mich verblüfft, dass es wohl tatsächlich so war, doch vor allem staune ich darüber, dass es immer noch ist. Das Ende der geschilderten Geschichte liegt schon wieder lange hinter mir, und der Hauptdarsteller darf weiter das Leben in vollen Zügen auskosten, häufig mit nicht weniger dramatischen Höhen und Tiefen, bis mich ein ähnliches Hochgefühl ergreift, als wäre ich nicht um achtzehn Jahre älter. Betäubend geht das schwindelerregende Spiel auf Unsterblichkeit weiter, das es erlaubt, sich mit der Hoffnung zu verabschieden: Fortsetzung folgt!“
Möge dies gelingen, wer Kohout schätzt, kann ihm das nur wünschen. In einer Zweitauflage dieser Autobiografie und einer also möglichen Fortsetzung wäre dem Autor allerdings auch zu wünschen, dass nicht wieder vier verschiedene Übersetzer mit der Übertragung ins Deutsche befasst werden, das Buch ist sprachlich nicht aus einem Guss, und das macht sich eher unangenehm bemerkbar. Ebenso wie ein Lektorat, das leider gar hanebüchene Fehler hat in den Druck gehen lassen. Was aber die Empfehlung, zu diesem Buch zu greifen, nicht wirklich schmälert. Denn zumindest den ihm vorangestellte Widmungen für Zeitgenossen und Nachgeborenen wird es gerecht:
„Meinen Lebensgefährten, die es nicht schafften, ihre Erlebnisse und Erkenntnisse aufzuzeichnen.“
„Unseren Enkelinnen und Enkeln, damit sie verstehen können, was wir nicht verstanden haben.“

Pavel Kohout: Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel. Autobiografie, OsburgVerlag, Berlin 2010, 564 S., 26,90 Euro