13. Jahrgang | Nummer 19 | 27. September 2010

Zur Frage der „Westalgieshows“

von A.Z.

In der letzten Zeit haben uns zahlreiche Genossen um Rat und Hilfe in einer Angelegenheit gebeten, der gegenüber sie sich ein wenig hilflos wähnen. Die Rede ist von sogenannten Westalgieshows, die in den neuen Bezirken veranstaltet werden und jüngst sogar in der einen oder anderen Bezirkszeitung unserer Partei Erwähnung gefunden haben.

Kann man dulden, so fragen die Genossen besorgt, daß 40 Jahre Knechtung durch Profithaie und ihre politischen Handlanger heute Gegenstand billiger Amüsements sind? Soll man es hinnehmen, wenn über Not und Elend, Unfreiheit und Entrechtung schlüpfrige Witzchen gerissen werden? Müssen wir zulassen, daß zwielichtige „Prominente“ einer historisch überwundenen Epoche öffentlich Beifall einheimsen, wenn sie durch ihre Person eine „gute alte Zeit“ beschwören, die es – außer vielleicht für sie selbst als willfährige Werkzeuge der Reaktion – nie gegeben hat? Feiert also, so fragen die Genossen beunruhigt, die Restauration unter unseren Augen und gar unter unserer Duldung fröhliche Urständ´? Gilt es nicht, den Anfängen zu wehren und solch Umtrieben die eherne Faust unserer Toleranz zu zeigen?

Nun, Genossinnen und Genossen, zunächst einmal können wir einschätzen, daß aus solchen Fragen eine vorbildhafte revolutionäre Wachsamkeit spricht. Indes: Die Klassiker, Erich Honecker und seine Frau, haben uns gelehrt, diese Klassenwachsamkeit stets auch mit höchstmöglicher Subtilität zu praktizieren. Das schließt das Verständnis dafür ein, daß der Weg zur entwickelten sozialistischen Persönlichkeit für den einen oder anderen ungefestigten Menschen in den neuen Bezirken nicht schon nach 20 Jahren abgeschlossen sein kann, wenn man 40 Jahre lang dem Druck und der raffinierten großbürgerlichen Manipulation ausgesetzt war. Kommunismus, Genossen, das ist nicht nur Sowjetmacht plus Elektrifizierung, sondern immer auch plus permanente Umerziehung, vergessen wir das nicht!

In diesem Sinne ist auch gegenüber der Frage der „Westalgieshows“ nicht von vorn herein mit verständnisloser Ablehnung zu reagieren. Vielmehr meinen wir: Ja, man kann Erinnerungsmanifestationen durchführen, aber von einem festen Klassenstandpunkt aus. Daß es dabei vor allem um die Vertiefung des Verständnisses vom Klassencharakter der seinerzeitigen Ausbeutung und Unterdrückung gehen muß, versteht sich von selbst. Aber: an die eine oder andere harmlose Gegebenheit des Alltags dieser Zeit darf durchaus auch mal mit einem Schmunzeln erinnert werden, na warum denn nicht. Ob es nun um das rosa Bändchen an der Autoantenne ging, mit der man scheinbar harmlos seine eigentliche Gesinnung sowie den Willen andeutete, in die DDR auszureisen, um das zerlesene Exemplar eines eingeschmuggelten und mit viel Ideenreichtum von Hand zu Hand weitergereichten Original-ND oder den „Gelben Köstlichen“ aus Werder, der der Konfiszierung entgangen war und nun auf einer großen Familienfeier liebevoll unter Angehörige mehrerer Generationen verteilt wurde – auch das war werktätiges Leben…

Reagieren wir also nicht über, Genossen. Machen wir die „Westalgieshows“ vielmehr zur Sache der Parteikollektive und setzen nach Arbeiterart Maßstäbe. Aufzuarbeiten gibt es westlich der Elbe noch immer so mancherlei. Das Bedürfnis danach ist legitim und verdient unsere verständnisvolle Begleitung. Wer dies allerdings als Freibrief zur ideologischen Diversion mißversteht, den begleiten unsere zuständigen Organe, aber hallo!

Anm. d. Red.: Wäre vor 20 Jahren das, was bei Uwe Steimle DIE KEHRE heißt, andersherum verlaufen, dann hätte dieser Kommentar wahrscheinlich dem NEUEN DEUTSCHLAND entnommen sein können.