13. Jahrgang | Nummer 9 | 10. Mai 2010

Investigativer Journalismus

von Ulrike Steglich

Die alten Texte waren weg von der Festplatte, also mußte sich die Autorin auf Internetsuche in eigener Sache begeben. Das Netz ist eine faszinierende Angelegenheit, und sie stieß bei der Suche nach ihrem Namen prompt auf ganz erstaunliche Dinge. Unter anderem auf einen Text des Journalisten Helmut Lorscheid über das Berliner Kunsthaus Tacheles, erschienen im Januar in einem Internetmagazin. Darin wurde auch sie selbst zitiert, was erstmal nicht ungewöhnlich wäre – schließlich schrieb sie seit Jahren über Stadtentwicklung.

Merkwürdig war allerdings, daß die Journalistin in dem Text als Stadtsoziologin bezeichnet wurde, was sie niemals gewesen war. Merkwürdig war zweitens, daß sie die Sätze, mit denen sie dort zitiert wurde, niemals gesagt hatte und auch niemals sagen würde, weil diese Sätze teilweise blühender Unfug waren. Und drittens war merkwürdig, daß sie Herrn Lorscheid bis dahin gar nicht kannte und nie mit ihm gesprochen hatte – beziehungsweise er nicht mit ihr. Ein Anruf bei dem Internetmagazin brachte nicht mehr ein als die patzige Abfuhr einer Redakteurin, die umgehend den Hörer aufknallte. Auf der Suche nach Herrn Lorscheid bemühte die Autorin wieder das segensreiche Internet und stieß auf einige Auskünfte, unter anderem jene, daß Helmut Lorscheid sich selbst als investigativen Journalisten beschreibt. Der investigative Reporter antwortete umgehend auf die Mail: Er habe doch nur aus einem Bericht im Deutschlandfunk zitiert, gab den Link an und entschuldigte sich zugleich höflich, diese Quelle nicht angegeben zu haben.

Es wurde jetzt immer drolliger, denn den Bericht im Deutschlandfunk – immerhin gebührenfinanziertes, öffentlich-rechtliches Radio, hatte sie noch gar nicht entdeckt. Der Bericht stammte von einem Autor namens Christoph Richter, darin fanden sich jene unsinnigen „Zitate“, die dann wiederum Helmut Lorscheid so investigativ wie ungeprüft übernommen hatte Auch mit einem Christoph Richter hatte die Autorin nicht gesprochen beziehungsweise er nicht mit ihr. Ohnehin hatte sie sich schon sehr lange nicht mehr öffentlich zum Thema Tacheles geäußert – vor allem wegen dessen verbliebener Insassen. Aus den angeblichen Zitaten konnte man jedoch den Schluß ziehen, sie sei ein Freund des Tacheles, was nicht der Fall war.

Anruf beim Deutschlandfunk. Christoph Richter sei freier Autor, erzählte die Redakteurin, er hänge aber wegen der isländischen Vulkanasche irgendwo im Ausland fest und sein Handy sei kaputt. Die DLF-Redakteurin wurde nun auch etwas hektisch, aus Angst vor juristischen Konsequenzen. Sie suchte die Sendung im Rechner und stellte verblüfft fest, daß es gar keinen O-Ton der angeblichen Stadtsoziologin in dem Radiobeitrag gab. Aber der Herr Richter habe doch mit der Autorin gesprochen, er habe sogar ihre Visitenkarte! Die Autorin teilt ihr mit, daß kein Herr Richter mit ihr gesprochen habe und sie seit vielen Jahren über gar keine Visitenkarten verfüge, zudem keine Soziologin sei – sondern Journalistin. Jetzt fing die Redakteurin an, leicht hysterisch zu lachen.

Ein paar Stunden später war die Passage zwar aus dem Radiobeitrag verschwunden, und auch Herr L. teilte freundlich mit: „Wir haben den Verweis auf Ihre Aussagen wunschgemäß aus dem Beitrag heraus genommen.“ Tja – aber bei Google standen die angeblichen Zitate der „Stadtsoziologin“ immer noch. Nicht mehr zu ergründen war, woher sie eigentlich kamen.

Soviel zu kreativem Journalismus und der Zuverlässigkeit öffentlich-rechtlicher Sender.