13. Jahrgang | Nummer 4 | 1. März 2010

Für ein bißchen Koalitionsfrieden

von Thomas Dudek

Es ist beschlossene Sache. Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen und CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach verzichtet auf ihren Sitz im Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Damit endet offiziell eine Personaldebatte, die das deutsch-polnische Verhältnis zuletzt im Frühjahr 2009 auf eine harte Probe stellte, als Warschau lautstark und teilweise wenig diplomatisch gegen die Nominierung Steinbachs in den Stiftungsrat protestierte.

Der Verzicht Steinbachs, der in einer Sitzung der Fraktionsspitzen von CDU/CSU und FDP mit Erika Steinbach vereinbart wurde, bedeutet aber nicht nur, zumindest oberflächlich, eine Entspannung zwischen Berlin und Warschau,  sondern auch innerhalb der schwarz-gelben Koalition. Schon in seiner Oppositionszeit sprach sich Guido Westerwelle gegen Erika Steinbach als Mitglied des Stiftungsrates aus und hielt an seiner Meinung auch nach seiner Vereidigung zum Außenminister fest. “Wir wollen, daß das ein Projekt ist, das unsere Länder zueinander bringt. Deswegen werden wir alles unterlassen, was diesem Gedanken entgegensteht”, sagte Westerwelle bei seinem Antrittsbesuch in Warschau im Oktober. Eine Haltung, mit der sich Westerwelle vor allem innerhalb der Unionsparteien einige Gegner gemacht hat.

Deswegen ist es nicht überraschend, daß sich führende Regierungspolitiker zufrieden mit dem in Berlin vereinbarten Ergebnis zeigen. Als das Ende eines “länger schwelenden Streites” kommentierte beispielsweise Volker Kauder den Kompromiß. Guido Westerwelle, als einer der Hauptakteure des Koalitionsstreites, bezeichnet die beschlossene Lösung wiederum als eine “Gewährleistung der außenpolitischen Belange und der Transparenz”.

Oppositionspolitiker sind da jedoch anderer Meinung. “Das ist beschämend für Merkel und Westerwelle”, sagte Vize-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse der Frankfurter Rundschau. Sein Parteifreund Frank-Walter Steinmeier nannte den Beschluß eine “Erpressung”, ebenso wie die Grünen-Chefin Claudia Roth. Die kritischsten Worte zu dem Deal zwischen der Regierungskoalition und Erika Steinbach fand jedoch Luc Jochimsen. “Mit dieser Entscheidung hat sich der BdV den Staat zur Beute gemacht”, so die kulturpolitische Sprecherin der Linkspartei.

Und mit dieser Einschätzung liegt die ehemalige Fernsehjournalistin nicht ganz falsch. Denn ihren Verzicht für einen Posten im Stiftungsrat ließ sich Erika Steinbach teuer erkaufen. Die im Berliner Deutschlandhaus geplante Ausstellungsfläche soll von 2000 auf 3000 Quadratmeter erweitert und in Bayreuth zusätzlich ein Archiv öffentlich gemacht werden. Der größte Erfolg für Erika Steinbach ist jedoch, daß die Bundesregierung ihren vor einigen Wochen getätigten Vorschlag akzeptierte und dem BdV statt bisher drei, sechs Sitze im Stiftungsrat bewilligte. Zudem verzichtet die Bundesregierung auf ihr Vetorecht. Stattdessen soll der Bundestag über die Kandidaten für den Stiftungsrat abstimmen.

Doch gerade hinter diesen letzten Zugeständnissen verbirgt sich die meiste Sprengkraft. Denn dadurch wurde der Stiftungsrat nicht nur von 13 auf 21 Personen aufgebläht, sondern auch das Gleichgewicht innerhalb des Gremiums zerstört. Plötzlich kann der Vertriebenenverband, von dem man nicht mal weiß, ob er wirklich zwei Millionen Mitglieder hat, wie der BdV behauptet, die Richtung der zukünftigen Stiftung bestimmen ohne Rücksicht auf die Vertreter anderer Institutionen zu nehmen, wie zum Beispiel die der beiden Kirchen, die mit je 25 Millionen mehr Mitglieder haben als der BdV und einen größeren Beitrag bei der Integration der deutschen Flüchtlinge in den späten 40er und 50er Jahren geleistet haben als der von ehemaligen NSDAP-Funktionären durchtränkte Interessenverband der Vertriebenen.

Und auch der Beschluß, daß der Bundestag zuerst über die Mitglieder des Stiftungsrates abstimmen muß, ist nicht beruhigend. Denn die Zusammensetzung des Gremiums überläßt man Parlamentariern, die sich nicht mit dem Thema Vertreibung auskennen, sich aber Parteifreunden gegenüber verbunden fühlen. Und daß dies nicht von Vorteil ist, beweist der Fall Tomasz Szarota. Im Januar verzichtete der renommierte polnische Historiker auf seinen Sitz im wissenschaftlichen Beirat der Stiftung, nachdem 16 thematisch unbeflissene dafür sich aber parteipolitisch solidarisch gebende EU-Parlamentarier der CDU/CSU in einem Brief an Westerwelle nach der politischen Integrität der “polnischen Wissenschaftler” fragten. Eine Aktion, die man mit dem Begriff “Dummheit” noch milde bewerten kann. Denn die Unionspolitiker haben nicht nur übersehen, daß Szarota, dessen Vater von den deutschen Besatzern umgebracht wurde, der einzige polnische Wissenschaftler im Beirat war, sondern haben damit auch eine in Polen geachtete Persönlichkeit vertrieben, die an der Weichsel gegen über dem Projekt zur Besonnenheit aufgerufen hat. 2006, als der BdV im Berliner Kronprinzenpalais seine Ausstellung “Erzwungene Wege” präsentierte, war Szarota einer der wenigen in seiner Heimat, der die polnische Kritik an der Präsentation als übertrieben bezeichnete. “Bis auf handwerkliche Fehler, kann man der Ausstellung nichts vorwerfen”, sagte Szarota damals der polnischen Presse.

Diese Haltung Szarotas war seinen Kritikern aus der CDU/CSU aber wohl unbekannt. Und wer weiß, sie dürfte ihnen vielleicht auch bis heute egal sein, denn sie haben ihr Ziel erreicht. Für ein bißchen Koalitionsfrieden gab die FDP nach und gab der Frau, die mit dem “Reisebüro Luftwaffe nach Polen kam”, wie ein polnischer Journalist vor einigen Jahren lästerte, und den konservativen Kreisen seit einigen Jahren als Ikone dient, durch ihre BdV-Freunde die Möglichkeit, die Geschichte der Vertreibung zu ihren Gunsten umzuschreiben.