13. Jahrgang | Nummer 2 | 1. Februar 2010

Berliner Peinlichkeiten

von Wolfgang Brauer

Was waren das noch für Zeiten, als sich zwei Millionen Menschen am Tor drängelten, dem Tor überhaupt, dem Brandenburger nämlich, dem Brandenburger Tor in Berlin natürlich, Potsdam hat ja auch eins, aber das ist ziemlich schäbig gegen unser Tor der Tore, und gierig auf den Anbruch des neuen Jahrtausends warteten. Das würde endlich das Aufwachen des bis dato zehn Jahre schlummernden Glücks für alle bringen. Leider macht es das Glück für alle  dem Kaiser Rotbart im Kyffhäuser nach, es schläft immer noch. Rechenkünstler nölten, daß es auch der falsche Jahreswechsel gewesen sei, erst von 2000 auf 2001 bräche das neue Jahrtausend an. Aber von solch Haarspaltereien ließ sich damals niemand die Trunkenheit von Stimmung, toller Musik und in großem Maße auch von Sekt und Bier nehmen. Nur wenige Menschen kamen physisch zu Schaden.

Von Jahr zu Jahr fand nun Event auf Event am Tore statt. Für Veranstalter erwies sich die „Location“ als sichere Einnahmequelle. Auch für die öffentliche Hand, die eifrig „Straßennutzungsentgelte“ kassiert, wenn eine Veranstaltung nicht gerade von erheblichem politischem Interesse des Bundes oder des Landes Berlin geprägt ist. Große Plastikfußbälle wurden auf dem Pariser Platz aufgestellt, schicke Models durften sich dort wonderbra fotografieren lassen. Auch der Dalai Lama war da und ökologische denkende Indianerhäuptlinge und die Herrscherinnen und Herrscher so manch demokratischen und auch undemokratischen Landes gaben sich dort brav mit unseren Großkopfeten Pfötchen und machten Bussi-Bussi und lächelten in die Kameras der Welt. Bedeutungsvolle Worte wurden gesprochen. Mancher durfte am Tor der Tore aber auch nichts sagen und lediglich stillschweigend durchlaufen. Ein gewisser Präsidentenkandidat Barack Hussein Obama zum Beispiel mußte sein „Yes we can!“ an der Siegessäule der Menschheit mitteilen. Er nahm die Säule als Omen und gewann die Wahlen. Als er dann endlich ans Tor gedurft hätte, am wundervollen 9. November 2009, nahm er übel und schickte Hillary. Er selbst sprach zur Kanzlerin der Herzen und den restlichen Deutschen übers Fernsehen.

Die nahmen auch übel. Nicht so sehr dem nicht anwesenden Barack Obama, die anderen Freiheitskämpfer und –rinnen entzogen sich auch mit Hilfe fester Absperrgitter und kräftiger Uniformierter den neugierigen Blicken des Publikums. Das Volk nahm übel, daß es nicht an das „Denkmal der Deutschen“ – so der Henkel-Frank von der Landes-CDU – durfte. Selbst nachdem alle die, die da so wunderbare Botschaften an uns hatten, zum wohlverdienten Schampusschlürfen abgegangen waren, durfte es noch nicht einmal durchlaufen werden.

Beim nächsten Event blieb das Volk einfach vergnatzt weg. Silvester 2009 ließen sich keine Millionen umschlingen, lediglich 210 000 hartgesottene Feierlustige, zumeist Touristen,  zählte die Berliner Polizei. Am Sauwetter kann es nicht gelegen haben. Am Tor der Tore ist meistens Sauwetter, und das hält in Berlin niemanden ab. Die „für gewöhnlich gut informierten Kreise der Hauptstadt“ glauben, die Ignoranz des Volkes dem Orte gegenüber, wo Berlin sich immer zu freuen habe, wäre der Musik geschuldet. Es steht zu vermuten, daß den Vertretern der „Club-Kommission“ (so was gibt’s wirklich; das ist fast wie im Osten, da hieß das aber „Komitee für Unterhaltungskunst“) die Klänge des Stargastes mißfielen. Die Kommission scheint nicht zu wissen, dass der immerhin schon als junger Mensch mit der Band „Schnirpel und den Monkeys“ (kein Tippfehler, so steht es auf der Homepage des Meisters volkstümlicher Gesänge) beachtliche Erfolge rund um Kiel hatte. Im Laufe einer langen, mehr Tiefen als Höhen aufweisenden Karriere brachte er es immerhin zum „König von Mallorca“, auch Malle genannt, und dröhnte nun am 31.12.2009 sein Lob des Lotterns im Kornfeld in die unvergleichliche Berliner Luft. Jürgen Drews heißt der Barde. Es ist anzunehmen, daß dies den Feiernden letztlich egal war. Mit zwei Ausnahmen: dem schon genannten Herrn Henkel und seinem Stellvertreter Braun von der Hauptstadt-CDU. Die meinten, solch Veranstaltung entspräche nicht „der Würde des Brandenburger Tors“ und mache überhaupt nicht deutlich, „welche Kraft und welches Erneuerungspotenzial in Berlin“ stecke. Drews tun sie damit Unrecht, der ist gebürtiger Berliner und fügt sich vom ästhetischen Anspruch her wunderbar ein zum Beispiel in die Gesellschaft eines Gummibärchenwerbeträgers, der immer mal wieder vor dem „Denkmal der Deutschen“ auftreten darf.

Statt „Verdammt ich mief nicht“ wollen diese miesepetrigen Spaßverderber „internationales Musikniveau unter Einbeziehung des gesamten Spektrums der Berliner Musikszene von Tango bis Techno“. Möglichst mit den Berliner Philharmonikern und den „hochsubventionierten“ Opern. Techno wahrscheinlich mit den 17 Cellisten und auch die Frau Netrebko kann ja mal ein nettes Liedchen trällern. Muß ja nicht die „Berliner Luft“ sein, an der hatte sich am 9. November schon Kollege Domingo verschluckt. Paul Linckes „Glühwürmchen schimmre“ tut’s auch. Das paßte tangomäßig aufgemotzt auch besser zu leuchtenden Feuerzeugen. Es gäbe noch viele gute Ideen. Deshalb soll ein Konzept her, sagt die CDU. Der Senat soll das aufschreiben und bitteschön bis zum 31. März. Wahrscheinlich wegen des Terminkalenders der Philharmoniker, die vor den Osterferien wissen möchten, wo sie nun am 31.12.2010 aufspielen sollen.

Die Zeit drängt. Die Koalition verschleppt unter Garantie die Beschlußfassung über diese tolle Idee bis in den Januar 2011. So machen die das immer. Nicht auszudenken es wird Silvester und keiner geht hin. Darum ein Vorschlag zur Güte. Im Rahmen der Vollendung des Planenwerks Innenstadt sollte auf der Liegewiese, wo einmal die Paläste der Könige und des Generalsekretärs standen, wieder eine Plane errichtet werden. Diesmal nicht mit einer draufgepinselten Schloßfassade sondern mit dem Brandenburger Tor. Als „temporäre Installation“ wäre das zu vertreten, in Berlin ist alles irgendwie temporär und außerdem klingt es international-chic. Vor dieser Plane könnte dann die Silvesterfeier stattfinden. Das wäre auch besser für die Sicherheit der Botschaft einer nervösen Großmacht. Vor der Torplane kann dann getrost Jürgen Drews „Ich bau Dir ein Schloss“ singen. Dagegen hätten die Landeshauptleute der CDU gewiß nichts. Der „Master of Desaster“ Drews, so nennt er sich selbst, würde sich wieder in das christdemokratische Kulturbild einpassen. Die Berliner Peinlichkeitsskala ist nach oben offen.