von Klaus Hammer
Aufgewachsen in der norddeutschen Küstenlandschafl zwischen Nord- und Ostsee, ist er zwar oft genug aufgebrochen in ferne Gegenden; aber immer zog es ihn zurück in seine heimatliche Landschaft, in der er zu seinem unverwechselbaren Stil finden sollte. Das weite, flache, einsame Land zwischen den Meeren, der hohe Himmel und die ewig bewegte See, Symbol unbezähmbarer Naturgewalt, die zyklischen Rhythmen der Natur, Gezeiten und Jahreszeiten, das Hintergründige und das Legendäre dieser nordischen Schicksalswelt haben in seinen Bildern stets die bestimmende Rolle gespielt. Es genügte »eine vage Vorstellung nur in Glut und Farbe«, so Nolde, um den Bilderstrom seiner Phantasie auszulösen. Die Erregung, die ihn vor der Natur erfaßte, äußerte sich als Extase. »Die Skala der Farben und eine leere Leinwand waren mir wie ein Kampf gegeneinander.« Den Anforderungen des drängenden Bilderstroms wurde der Pinsel nicht mehr gerecht. Mit Fingern, dem Handballen, Papp- oder Lederstücken hat Emil Nolde die Farbe pastos aufgetragen, deren Leuchtkraft expressiv gesteigert ist.
Die Berliner Dependance der Nolde-Stiftung Seebüll widmet sich in ihrer Frühjahrsausstellung 2009 den Blumen- und Gartenbildern Noldes und zeigt 64 Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen, die in einem halben Jahrhundert entstanden sind. Von der impressionistischen, lichtsprühenden Malweise wird Noldes Weg zur Befreiung der Farbe und zur expressiven Geste verfolgt.
Noch auf der Ostseeinsel Alsen, die der Maler mit seiner Frau Ada von 1903 bis 1916 bewohnte, sind Blumen- und Gartenbilder entstanden. Hier herrscht ein Glücksgefühl angesichts der koloristischen Schönheit der Blumenwelt vor. »Ich liebte die Blumen in ihrem Schicksal emporsprießend, blühend, leuchtend, glühend, beglückend, sich neigend, verwelkend, verworfen in der Grube endend. Nicht immer ist ein Menschenschicksal ebenso folgerichtig und schön …« Er begann sich hier mit der Farbe auseinanderzusetzen, mit ihrer physischen Präsenz, ihrer Ausdruckskraft und emotionalen Ausstrahlung. In »Trollhois Garten« (1907) setzt sich ein ganzer Blütenschauer teppichartig ab, selbst die weibliche Figur – Noldes Frau Ada – wird in das Farbenspiel einbezogen. Es hatten ihm vor allem die von Buchsbaumrabatten umsäumten Nachbargärten mit ihrer Blumenpracht angetan, die Rosen, Tulpen, Dahlien, Stiefmütterchen, der rote Mohn, die Stauden und Sträucher. Im begrenzten Ausschnitt holte er die Blumen dicht heran oder ließ den Blick über den Blumengarten hinaus auch in die nahe Landschaft schweifen. Das leuchtende, mitunter glühende Kolorit der Blumen im Sonnenlicht führte zur expressiven Steigerung und gab ihm den entscheidenden Impuls, das Eigenleben der Farbe für sich neu zu entdecken. Farbe wird hier als emotionsgeladene Materie erlebt.
Überall, wo Nolde seinen Wohnsitz aufschlug, hat er Blumengärten angelegt, auf Alsen, in Ruttebüll, einem kleinen Dorf an der Westküste, und – unweit davon – um sein späteres Wohn- und Atelierhaus in Seebüll, in dem er dann von 1926 bis zu seinem Tode lebte. Die Stauden, Sommer- und Herbstblumen seines Gartens sollten sich in seinen Gemälden und Aquarellen wiederfinden. In harmonischer Chromatik, voller Luminosität, ohne schreiende Akzente, brachte er der delikaten Schönheit der Natur, diesem seinem ersten Lehrer in Sachen Kunst, eine lichtvolle Huldigung dar. Eine zarte Mohnblüte ist für ihn bereits Anlaß zu lyrischer Meditation. Seine Aquarelle mit rotem und lila Mohn, Feuerlilien lind gelben Blüten, roter und blauer Iris und dunklen Dahlien, diese wunderbar strahlenden Lichtgewebe, die eigentlich als Vorwand dienen, um nuancierte Seelenzustände (vor allem der Heiterkeit, aber auch der Schwermut) zum Ausdruck zu bringen, überschreiten die rein botanische Wahrheit. Das Licht umfließt die Formen, verwischt die Einzelheiten, hebt jedoch die Konkretheit der Pflanzenart hervor. Eine Sprache, in der scharfe Akzente von reinem Rot oder Zitronengelb mit Blau und Grün einen vibrierenden Dialog führen.
Den Glauben an die Möglichkeit, in der Malerei Wesentliches aufscheinen zu lassen, hat Nolde nie aufgegeben und die bildnerische Gestaltung flüchtiger Erscheinungsbilder abgelehnt. Nie wollen sich bei ihm die Gegenstände in farbige Zerstäubung auflösen. In den dreißiger und vierziger Jahren entstanden Gemälde mit Sonnenblumen. Das Licht lagert sich um die Blütenscheiben, umhüllt diese wie mit einem materialisierten Dunst. Oder die Sonnenblumen stehen hochgewachsen vor dem tiefen Blau des Himmels oder vor mächtigen Wolkenformationen. Die Blumen aus dem herbstlichen Garten werden regelrecht zu einem seelischen Selbstbildnis: Sie brechen auf und vereinen in sich die sonnigen oder düsteren Farben zu einem unglaublich gegenständlichen Erscheinungsbild. Manchmal verwandeln sich die Blumenkronen in wahre ausbrechende Sonnen, die Blütenblätter wirbeln in heftiger Bewegung, die intensiven Rot-, Gelb- und Blautöne brechen sich in einem Aufflackern, daß die umgebende Atmosphäre mit in den Flammenwirbel einzustimmen scheint.
»Blumen blühen den Menschen zur Freude. Ich malte sie im Sommer, tragend die Freude in den Winter«, schrieb Nolde. Aus dem Berliner Winter tragen seine Blumenbilder die Erwartung des Sommers hinaus.
Emil Nolde: »Mein Garten voller Blumen«. Dependance Berlin der Nolde- Stiftung, Jägerstraße 55 (am Gendarmenmarkt), täglich 10 bis 19 Uhr, bis 14. Juni, Katalog (DuMont Köln) 29,95 Euro
Schlagwörter: Emil Nolde, Klaus Hammer