von Erhard Crome
Mag es die Eigenbewegung des Sensationsjournalismus’ sein oder eine Falle der Rechten, die bürgerlichen Großmedien erklären schon mal, die Erwartungen in Barack Obama seien nun, da er der Präsident sein wird nach George W. Bush, so riesig, daß er ihnen schlichtweg nicht werde entsprechen können, so sehr er sich auch anstrengen möge. Enttäuschung sei programmiert. So kann man auch versuchen, einen Politikwechsel präventiv madig zu machen. Ein Verständnis zu finden heißt, sich zuerst von den Folien der bürgerlichen veröffentlichten Meinung zu lösen.
Beim Nachdenken über die Bedeutung des Wahlsieges von Obama fallen zunächst drei Dinge auf. Erstens ist die symbolische Bedeutung der Wahl eines Schwarzen zum Präsidenten der USA kaum zu überschätzen. Die ersten fünfzehn Präsidenten der USA hätten ihn noch als Sklaven gehalten haben können. Erst der sechzehnte, Abraham Lincoln, erreichte die Sklavenbefreiung, die am 1. Januar 1863 in Kraft trat. Aber das faktische Apartheid-Regime in den Südstaaten der USA wirkte bis in die 1960er Jahre fort; erst seit über vierzig Jahren gibt es praktisch das allgemeine Wahlrecht auch für Afro-Amerikaner. Angesichts dessen hatten viele Beobachter – auch ich – die Wahl Obamas ursprünglich für eher unwahrscheinlich gehalten.
Es hatte zweitens eine große Mobilisierung zu dieser Wahl gegeben. Die Wahlbeteiligung war mit 66 Prozent wohl die höchste der vergangenen einhundert Jahre. Etwa ein Drittel der Wähler war jünger als dreißig Jahre. In der Altersgruppe 18 bis 29 Jahre wählten zwei Drittel Obama, die älteren Jahrgänge immer noch mehrheitlich; nur in der Altersgruppe über sechzig lag McCain vorn. Unter den Afro-Amerikanern wählten 95 Prozent der Wähler Obama und unter den Spanischstämmigen 66 Prozent. Nur bei den Weißen erreichte McCain eine Mehrheit, 55 Prozent. Unter den Frauen allerdings wählten 56 Prozent Obama; von den Menschen ohne Bildungsabschluß entschieden sich 63 Prozent für Obama, von den Promovierten 58 Prozent. Es sind die Minderheiten und die Frauen, die Jungen und die sozial Schwachen und zugleich die am höchsten Gebildeten, die für die Mehrheit zugunsten Obamas gesorgt haben. »Sie können uns nur eine knappe Wahl stehlen«, hatte nach dem offensichtlichen Wahlbetrug zugunsten von George W. Bush im Herbst 2000 eine ältere Frau ins Fernsehmikrofon gesprochen. Diese war nicht knapp.
Das Funktionieren des politischen Systems hat drittens eine weitreichende Veränderung erfahren. Der Republikaner Bush war das Resultat eines breiten rechten Bündnisses, das seit den siebziger Jahren geschaffen worden war und unter Bush über die Regierungsgewalt verfügte. Das können diese Kräfte nun nicht mehr, das rechte Bündnis ist zerfallen und muß sich neu finden. Die Obama-Kampagne war vor allem von dem freiwilligen Engagement zehntausender junger Menschen getragen; sie wurde neben der offiziellen Demokratischen Partei aufgebaut. Sie war, von den Einstellungsmustern her, »linker« (bezogen auf das politische Spektrum der USA, nicht mit europäischen Maßstäben) als die eigentliche Partei. Es bleibt abzuwarten, ob diese Kampagnenstrukturen weiter tragen, als nur bis zum Wahltag.
So wichtig es ist, diese Merkmale festzuhalten: Die Lage Obamas zu erklären, reicht es nicht. Auch hier gibt es wieder die verschiedenen Einwände: Er verstehe es, die Menschen zu begeistern, schaffe Vertrauen und so weiter; aber er wolle die Vormacht der USA in erneuerter Weise wiederherstellen, gilt als traditionell-religiöser Mittelschichtvertreter, der inzwischen reichlich wohlhabend sei, habe sich auf dem Weg nach oben oft als harter Machtpolitiker erwiesen. Aber sagt das wirklich etwas aus? Analoges trifft auf viele große Staatsmänner in der Geschichte zu.
Historische Leistungen von Persönlichkeiten entstehen durch das Zusammentreffen einer geschichtlichen Herausforderung, einer politischen Konstellation und einer individuellen Disposition, dieser zu entsprechen. Viele Beobachter sind sich einig, die Wahl Obamas hatte auch dami t zu tun, daß die Finanzkrise und ihre Auswirkungen das Kriegsgetrommel und die reaktionär-religiöse Rhetorik übertönten. Die Ökonomie war das entscheidende Thema, und da traute man den Republikanern, die immer nur die Steuern für die Reichen gesenkt und die Rüstungsausgaben erhöht haben, nicht mehr viel zu. Insofern ist die Herausforderung für Obama durchaus mit der für Franklin D. Roosevelt, der auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise 1932 gewählt wurde, vergleichbar.
Jener legendäre Präsident hatte, als er gewählt wurde, auch kein fertiges Programm. Er beriet sich mit vielen klugen Leuten, entwickelte schrittweise das Konzept, das dann der »New Deal« wurde – Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Beschäftigung, Kontrolle der Banken und so weiter. Am Ende wurde daraus gar eine neue Regulationsweise des Kapitalismus, die – »Fordismus« genannt – ein direktes Verhältnis zwischen Produktivität, Beschäftigung, Lohnentwicklung und Wohlstand herstellte, das in den USA und dann auch anderen westlichen Industrieländern mindestens bis in die siebziger Jahre hielt, bis der Neoliberalismus den darin enthaltenen Kompromiß zwischen Arbeit und Kapital aufkündigte.
Der ist nun seinerseits am Ende. Wenn Obama den Intellekt und die politische Kraft aufbrächte, jetzt neue Schritte zu tun, wäre schon viel erreicht. Da geht es nicht um »Sozialismus«, wohl aber darum, ob im Gefolge der Krise nun Millionen Menschen in Armut stürzen, oder dem entgegengesteuert werden kann, heute auch in der Verbindung zwischen Ökonomie und Ökologie.
Und die Außenpolitik? Darum hatte sich Roosevelt zunächst auch nicht wirklich gekümmert. Als die Kriege Hitlerdeutschlands und Japans dann aber eine Reaktion der USA erforderlich machten, sorgte er dafür, daß bis zur vollständigen Niederlage beider gekämpft wurde. Insofern werden die bisherigen Äußerungen Obamas im Wahlkampf zum Iran oder zur Intensivierung des Krieges in Afghanistan nicht notwendig das letzte Wort sein. Ein großer Präsident wird er, wenn er sich den Herausforderungen der Zeit auf neue Weise stellt. Ansonsten wird er vielleicht ein »Bush mit menschlichem Antlitz«.
Schlagwörter: Barack Obama, Erhard Crome