Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 13. Oktober 2008, Heft 21

»Laß uns die Worte finden …«

von Mathias Iven

Was hatte die Welt erwartet? Zwei Schriftsteller, zwei Dichter waren sich über zwei Jahrzehnte hin verbunden. Man liebte und entzweite sich, suchte nach Worten und sprach sie doch nicht aus. Eine alltägliche Geschichte – oder doch nicht?
Mai 1948. In Wien begegnen sich zwei junge Leute: Sie studiert Philosophie, er ist auf dem Weg nach Paris; sie ist die Tochter eines ehemaligen Mitglieds der österreichischen NSDAP, er ist ein staatenloser Jude aus Czernowitz, dessen Eltern im Konzentrationslager umgekommen sind. Die wenigen, gemeinsam verbrachten Wochen reichen nicht aus für ein Leben zu zweit. Ingeborg Bachmann und Paul Celan trennen sich, »Die-sich-Entliebenden« (taz) gehen eigene Wege.
Nur zögernd schreiben sie sich von nun an Briefe. Verbindlich Bachmann, zuweilen fast kühl Celan. Anders als in dem 1952 einsetzenden Briefwechsel mit Hans Werner Henze wird hier nicht »das die Grenzen überschreitende Miteinander eines bewußten Neubeginns der antifaschistischen Kinder der Tätergeneration mit den überlebenden Opfern« dokumentiert. In ihren Briefen sagen sie sich, wie Bachmann es in Malina formulieren wird, viel »Dunkles und Helles«.
Der jetzt veröffentlichte 196 Dokumente umfassende Briefwechsel umspannt zwei Dezennien. Oft wechseln die Orte, oft die Sprache. Bachmann ist immer wieder zu Konzessionen bereit, Mißverständnisse sind an der Tagesordnung, nicht selten schweigen beide. Die Suche nach Worten endet in der Leere. Die unerfüllte Liebe wird zur Belastung. Im Juni 1951 erklärt sie ihm: »Ich liebe Dich und ich will Dich nicht lieben, es ist zuviel und zu schwer«. Im Dezember 1952 heiratet Celan eine andere – einen Neuanfang wird es nicht geben.
In das verzweifelte Ringen nach Verständnis und Anerkennung werden über die Jahre hinweg auch die Partner mit einbezogen. Die in dem Band gleichfalls abgedruckten Briefe von Celans Frau Gisèle und Bachmanns damaligem Lebenspartner Max Frisch, den sie Juli 1958 in Paris kennenlernt, erhellen manch Unausgesprochenes.
In den sechziger Jahren wird die Korrespondenz durch die von Celan eingenommene »Opferrolle« bestimmt. Verwickelt in von Claire Goll vorgebrachte, vollkommen grundlose Plagiatsvorwürfe, sieht er sich von allen verlassen, wird zur »blutenden Wunde« (Cioran). In einem Brief vom September 1961 schreibt Bachmann: »Ich glaube wirklich, daß das größere Unglück in Dir selbst ist. Das Erbärmliche, das von außen kommt […] ist zwar vergiftend, aber es ist zu überstehen, es muß zu überstehen sein.« Sie, die 1954 den Durchbruch als Dichterin geschafft hatte, wußte mit Vorwürfen gegen ihr Werk umzugehen: »Ich kann alles überstehen durch Gleichmütigkeit, durch einen gelegentlichen Anfall im schlimmsten Fall. Es fiele mir nicht ein, mich an jemanden zu wenden, um Hilfe, auch nicht an Dich, weil ich mich stärker fühle.« Und auch Max Frisch, der Bachmanns Auffassung durchaus teilte, versuchte Celan auszureden, daß er das alleinige Opfer sei. So schrieb er ihm bereits 1959: »Der Verwundete, der sich an mich wendet wie Sie, muß wissen, daß er zu einem Verwundeten kommt«. Beide schickten ihre Briefe nicht ab. Wie hätte Celan reagiert, hätten diese Zeilen ihn erreicht? Wäre es ihm irgendwann möglich gewesen, sein Leben neu zu ordnen? Der letzte Brief des Bandes stammt von Celan, ein unverbindlicher Gruß aus dem Jahre 1967. Drei Jahre später, nach zwei Mordversuchen an seiner Frau und mehreren Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken, begeht Celan Selbstmord. In Malina setzt Bachmann ihm ein bleibendes Denkmal: »Mein Leben ist zu Ende, denn er ist auf dem Transport im Fluß ertrunken.« Und sie bekennt: »Er war mein Leben. Ich habe ihn mehr geliebt als mein Leben.«
Eine wichtige Edition, die – leider nicht minder als Kommentar und Nachwort – den Leser manchmal bedrückt und verstört zurückläßt.

Herzzeit. Ingeborg Bachmann – Paul Celan. Der Briefwechsel, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2008, 399 Seiten, 24,80 Euro