Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 1. September 2008, Heft 18

Merkel allein zu Haus

von Daniela Kröllwitz

Die olympischen Spiele sind Geschichte, und die Kanzlerin ist nicht dort gewesen. Dabei hatte sie zwei Monate zuvor gar nicht genug kriegen können vom Sport. Alles, was aufgelaufen war an Terminen, hatte sie sausen lassen, um schon das Vorrundenspiel – das Vorrunden-Spiel! – bei der Fußballeuropameisterschaft zwischen Deutschland und Österreich in Wien nicht zu verpassen, und ein paar Tage später saß sie selbstverständlich bei der Partie gegen die Türkei auf der Tribüne und wieder ein paar Tage später noch selbstverständlicher beim Endspiel gegen Spanien. Dreimal zum Fußball! Und mit wieviel Emotionen, nicht wahr.
Und nun das. Kein Olympia. Bush war dort, Sarkozy war dort, Putin war dort, und knapp hundert weitere gekrönte und ungekrönte Häupter hatten den Weg nach Peking gefunden, aber bei der Kanzlerin »kollidierte die Eröffnung mit dem Urlaub«.
Es ist ein seltsames Spiel, das Angela Merkel spielt. Ein irgendwie getriebenes, unoffenes, wenig entschlossenes. Ihr amerikanischer Freund Bush ist geradeheraus. Am Tag vor seiner Abreise nach China ließ er noch einmal alles vom Stapel, was er an Klagen über die Menschenrechtsverhältnisse im Olympialand parat hat, dann fläzte er sich lässig stundenlang auf der Ehrentribüne im »Vogelnest«, dem großen Zentralstadion der Spiele, gab den völlig gelassenen, zum Rhythmus der Einmarschmusik mit den Füßen wippenden und Fähnchen schwenkenden Fan, erhob sich, als die USA-Mannschaft ins Stadion kam, zum Jubel, ließ sich tags darauf beim Händeschütteln mit Chinas Staatsoberhaupt Hu Jintao ablichten und beschloß seinen Peking-Trip mit einem Besuch bei den fröhlichen, siegesgewissen Athletinnen und Athleten seines Landes. Hinter jedem einzelnen Bild eine klare, unmißverständliche Interessenlage. Und die Botschaft: Alles an seinem Platz, alles zu seiner Zeit.
Aber bei der Kanzlerin? Sie vermischt alles mit allem und düpiert damit alle, die sie nur düpieren kann. Der chinesischen Führung gegenüber will sie Entschlossenheit demonstrieren, aber es ist am Ende doch nur Feigheit, denn alle wissen, daß die deutsche Wirtschaft China braucht, alle wissen, daß die großen Weltfragen ohne China nicht zu lösen sind, und schon überhaupt kein Geheimnis ist es, daß man Entschlossenheit in China am besten im direkten Gespräch deutlich macht und nicht per Abmeldung in den Urlaub.
Der deutschen Wirtschaft signalisiert sie, daß sie selber zusehen soll, wie sie ihre Beziehungen zu China geregelt bekommt. Und die deutschen Sportlerinnen und Sportler, nach Peking gereist zum weltweit anerkannt größten Sportereignis überhaupt, läßt sie spüren, daß sie ihr herzlich egal sind. Ist ja keine Fußball-EM, schließlich.
Daß die China-Verkniffenheit der Kanzlerin nicht deren Privatsache ist, hat der deutsche Sport schon seit März erfahren müssen. Da hatte es die Unruhen in Tibet gegeben, und von Stund an war den deutschen Athletinnen und Athleten aufgebürdet, zu leisten, wozu sich die Politik als unfähig erwiesen hatte: wirksamen Protest nach China zu tragen. Kein Porträt einer potentiellen Medaillengewinnerin, kein Gespräch mit einem möglichen Sieger, bei dem nicht nach Tibet-Bändchen am Arm oder Protestbademänteln oder in den Taschen geballten Fäusten gefragt worden wäre. Nicht die sportliche Leistung, suggerierte man, würde zählen, sondern die politische Haltung. Haben die, die das betrieben haben, gewußt, wie nahe sie damit an Maos China waren? Wo es Zeiten gab, da die politische Linie alles bedeutete und die fachliche Leistung nichts?
Geschadet hat das alles nicht China, sondern Deutschland selbst. Auch im Sport. Der Fußball kann ohne den Jubel der Kanzlerin leben – die meisten anderen Sportarten hingegen können es nicht. Sie brauchen dringend Hilfe. Der Einbruch im Schwimmen, überspielt nur durch die Leistung der Britta Steffen; die fast durchgängige Abstinenz der Deutschen in den Entscheidungen der Leichtathletik; die miserablen Resultate in einer deutschen Traditionssportart wie dem Rudern – das alles ist Ausdruck einer seit vielen Jahren vernachlässigten Nachwuchsarbeit, des nahezu völligen Fehlens eines durchdachten Konzepts für den Breitensport. Olympiamedaillen – man mag sie mögen oder nicht – sind nun einmal Spiegel von Sportpolitik, von Interesse am Sport, von Förderung des Sports.
Nun ist ihr Urlaub vorbei, und die Kanzlerin kämpft für den Eintritt Georgiens in die NATO. Der Düpierung Pekings läßt sie die Düpierung Moskaus folgen. Da ist sie nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Form wieder hautnah bei Bush und Sarkozy. Aber egal, ob solo oder im Chor: Woher nur nimmt sie die Idee, daß China- und Rußlandphobie gut für Deutschland sein könnten?