Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 29. September 2008, Heft 20

Deutscher Herbst

von Erhard Crome

Im September/Oktober geht es wieder um die Verlängerung des »Mandates« für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan durch den Deutschen Bundestag. Die Regierung folgt – ebenfalls wieder – den Ansinnen der US-amerikanischen Kriegsplanung und stockt auf, um voraussichtlich tausend Mann. Derweil hält die Ablehnung des Kriegseinsatzes der deutschen Soldaten unter der Bevölkerung Deutschlands an.
O Deutschland, bleiche Mutter! Wie bist du besudelt mit dem Blut deiner besten Söhne. Lothar Zagrosek, der Chefdirigent des Konzerthausorchesters Berlin, hat mit einem der ersten Konzerte der Saison 2008/09 Hanns Eislers Deutsche Sinfonie zur Aufführung gebracht, die jener 1935-37 in den USA komponiert hatte. Die Chöre singen Texte unter anderem von Brecht. Die zitierten Zeilen sind die Worte des Präludiums. Wer aber ist Deutschland? Wer schickt die Söhne hinaus? Sterben sie schöner, wenn das Parlament beschlossen hat, nicht der Kaiser oder der Führer? »Ihr werdet nicht mißbraucht werden«, sagt man ihnen. Sind sie es nicht schon?
Die Planungen der Konzerte haben mehrere Jahre Vorlauf, sagte man mir. Dennoch, da der erste Bundeswehreinsatz 2001 beschlossen wurde, hat man schon gewußt, daß allherbstlich immer wieder dieses Thema ansteht. Der Text im Programmheft entschuldigt sich ein wenig für die kommunistische Agitation, reiht dieses Werk Eislers jedoch in die bedeutendsten Leistungen der deutschen Exilkunst ein, neben die Gedichte und Stücke Brechts und die Romane der Manns, Feuchtwangers und Anna Seghers’.
So stehen die politischen Debatten um den Kriegseinsatz und die Deutsche Sinfonie in einem eigentümlichen Kontext. In deren viertem Teil geht es um die Erinnerung. Zu Potsdam unter den Eichen im hellen Mittag ein Zug. Vorn eine Trommel und hinten eine Fahn’, in der Mitte einen Sarg man trug. Der wird so beschrieben: Und auf dem Sarg mit Ziegelrot stand geschrieben ein Reim, die Buchstaben sahen häßlich aus: »Jedem Krieger sein Heim!« Die Bundeswehr-Beisetzung heute sieht anders aus. Gekrochen einst mit Herz und Hand dem Vaterland auf den Leim, belohnt mit dem Sarge vom Vaterland: Jedem Krieger sein Heim! Dies wohl geht der Mutter des toten Soldaten, der da vom Hindukusch im Sarg zurückkommt, ebenfalls durch den Kopf.
Allerdings, während der Bundeswehrverband sagt: »Wir befinden uns im Krieg«, heißt es aus dem Ministerium, es sei ein »Krisenszenario, in dem auch gekämpft wird«. Was nun: Krieg oder Nicht-Krieg? Jedenfalls wird auch gestorben, nicht nur auf Seiten der afghanischen Zivilbevölkerung. Der zuständige Minister Jung läßt schon mal an einem zentralen Denkmal für die gefallenen Bundeswehrsoldaten in Berlin planen. Es soll am Bendlerblock in Berlin errichtet werden. Nur wenn man mit mehr Toten rechnet, weil man mehr Soldaten hinschickt und die Lage immer aussichtsloser wird, kann man auf den Gedanken verfallen, ein solch zentrales Ehrenmal einzurichten. Das Vaterland braucht mehr Leim!
Die Regierung will nicht, daß es bekannt wird, daß es Leute gibt, die den Krieg bekämpfen. Wie steht es mit dem Krieg? Gestern haben sie wieder ein Spital bombardiert. Wer? Die die Kultur dorthin bringen wollen. Die Generäle sagen, daß sie die Kultur verteidigen wollen! Was für eine Kultur? Die der Generäle. Heute verbietet man die Demonstrationen gegen den Krieg nicht, heute werden sie kleingeredet und als nutzlos erklärt. Die Regierenden wüßten es stets besser, was den »deutschen Interessen« frommt, und sei es am Hindukusch. Auch werden dort nicht Spitäler bombardiert, nur Hochzeitsgesellschaften. Aber um die Verteidigung der Kultur – unserer Generäle, aber nicht nur dieser – geht es immer noch. Spricht man eigentlich darüber, bevor im Bundestag abgestimmt wird? Sind die Afghanen unsere Kinder, denen wir zu sagen haben, wie sie sich benehmen sollen?
Zur Zeit wird, wie zu lesen, das Personaltableau der Bundeswehr enger. Hochqualifizierte technische Spezialisten und Piloten sind immer weniger bereit, nach Afghanistan zu gehen. Wird es eine Abstimmung mit den Füßen geben, die der Stimmungslage unter den Menschen im Lande entspricht? »Durchhalten!« wird gezischt, »Nur jetzt nicht schlappmachen! – Sonst siegt noch der Taliban!« Auch dies die bekannte Leier: Da hört ich die Trommel rühren, und alle sprachen davon: Wir müßten jetzt Kriege führen um ein Plätzlein an der Sonn’. Und heisere Stimmen versprachen uns das Blaue vom Himmel herab. Und herausgefressene Bonzen schrien: Macht jetzt nicht schlapp! Und wir glaubten: Jetzt sind’s nur mehr Stunden, dann haben wir dies und das. Doch der Regen floß wieder nach unten, und wir fraßen vier Jahre lang Gras. In Afghanistan geht es ins achte Jahr. Sie fressen nicht Gras, sondern Staub, doch der Sieg ist weiter weg denn je, obwohl es mit inzwischen 70000 Soldaten der größte Aufmarsch ist. Seht unsere Söhne, taub und blutbefleckt … Gerade haben sie eine Mutter und ihre Kinder erschossen.