Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 24. Oktober 2005, Heft 22

Konrad Wolf – der sozialistische Regisseur

von Detlef Kannapin

Wenn es denn je einen auf deutschem Boden gegeben hat, dann ihn. Wie kein zweiter kämpfte Konrad Wolf mit seinen Filmwerken und mit seinen öffentlichen Äußerungen für die Idee des Sozialismus, für seine endliche Realisierung und gegen die Verachtung der sozialistischen Ideale in der DDR. Er hat sich immer eingemischt – hier stimmt einmal das abgedroschene Wort. Er hat keine Ruhe gegeben, wollte immer tätig sein, nie aufstecken.
Ich schreibe das aus der Distanz – und mit tiefem Respekt. Ich habe Konrad Wolf nicht persönlich gekannt und weiß von seinem Arbeitsumfeld nur das, was in den Archivdokumenten steht. Aber ich kenne seine Filme. Bis auf einen, den ersten, die klamaukige Fingerübung Einmal ist keinmal von 1955.
Die Betrachtung des Werkes von Konrad Wolf wirft für mich die Frage auf, wie er reagiert hätte, wenn er den Umbruch von 1989/90 und die darauffolgende Restitution der bürgerlichen Verhältnisse im neuen alten Deutschland noch erlebt hätte. Einmischung zweifellos auch hier. Aber in der Nachwendezeit? In Anbetracht von Filmen wie Lissy, Sterne, Professor Mamlock und Ich war neunzehn muß vermutet werden, daß sich Konrad Wolf um sein Lebenswerk betrogen gefühlt hätte. Soviel Einsicht in Geschichte und Gegenwart hat er vermittelt, und so wenig ist davon übriggeblieben. Beinahe so wenig, daß Melancholie und Nostalgie als produktive Fortschrittbegriffe erscheinen, die sie natürlich nicht sind.
Ich vermute, Konrad Wolf hätte (im Gegensatz zu vielen seiner Defa-Kollegen, von denen noch heute einige vom großen Alterswerk träumen) keinen Film mehr machen können. Die Sensibilität seiner Erzählweise und die akribische Meisterschaft seiner Bildformung, vom Gehalt der Filme ganz zu schweigen, all das würde nicht mehr verlangt. Mit dem frühen Tod Konrad Wolfs im März 1982 hatte der DDR-Film einen ähnlich schweren Verlust erlitten wie der BRD-Film mit dem Tod Rainer Werner Fassbinders im selben Jahr.
Gewiß, das Datum ist ein Zufall, und wer wollte bestreiten, daß zwischen den Filmauffassungen von Wolf und Fassbinder Welten gelegen haben? Aber beide waren Gallionsfiguren mit kritischer Handschrift. Und es ist doch irgendwie merkwürdig, daß manchmal, wenn gewichtige Stimmen fehlen, der ganze Erkenntnisprozeß zum Erliegen kommt. Die Filmkultur in beiden deutschen Staaten war in den siebziger Jahren widersprüchlich und sehr beziehungsreich auf die Verbesserung der jeweiligen gesellschaftlichen Lebensumstände gerichtet. Nach 1982 fiel die Konfliktschwelle vieler, auch ambitionierter, Filme stetig, und diese Nachwirkungen sind bis heute zu spüren, wenn man die landläufige Unverbindlichkeit des deutschen Kinos betrachtet.
Von den herausragenden Filmen, die Konrad Wolf schuf, sei, neben den genannten, auf Goya von 1971 verwiesen, der sich zum Ziel setzte, die Verantwortung des Künstlers in Herrschaftszeiten herauszustellen. Verwiesen sei auch auf Solo Sunny, Wolfs letzten Spielfilm von 1980, ein für ihn neuer Stil im Gegenwartsschaffen und sein Plädoyer für die Selbstbestimmung des Individuums im Sozialismus.
Meine beiden Lieblingsfilme sind jedoch Der geteilte Himmel von 1964 und Der nackte Mann auf dem Sportplatz zehn Jahre später. Im ersten Fall zauberte Konrad Wolf aus einer drögen Buchvorlage ein stimmungsvolles Mosaikbild der deutschen Teilung aus der Sicht der DDR hervor, das, wenn nicht das 11. Plenum des ZK der SED vom Dezember 1965 dazwischen gekommen wäre, programmatische Nachahmungen hätte finden können. In Bildsprache und Erzählhaltung ist Der geteilte Himmel der mit Abstand modernste Film der Defa.
Im zweiten Fall beeindruckte mich am Film über den Bildhauer Kemmel die Mischung aus der Verbundenheit von Alltag und Geschichte, wobei vor allem der frühe resignative Zug auffällt, daß historische Momente, selbst die schrecklichsten, hier Babij Jar und Ravensbrück, im Bewußtsein der heranwachsenden Generation offenbar keine Rolle mehr spielen. Gegen diese Geschichtsvergessenheit hat Konrad Wolf stets angefilmt.
Der Regisseur dürfte einem wohlwollenden Publikum noch bekannt sein. Anderen ist er ein Ärgernis. So wollte doch vor Jahren ein Brandenburger Minister tatsächlich die Umbenennung der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg erwirken, die Wolfs Namen trägt. Diesen Leuten bedeutet Konrad Wolf nichts.
Auch »wohlwollenden« Biographen ist Wolf ein Ärgernis. Sie sind nicht bereit, sich vorstellen, daß für Konrad Wolfs Filmarbeit der Bezugsrahmen, neben seiner sowjetischen Teilidentität der Kinder- und Jugendzeit, nur in der DDR und nicht gegen sie zu finden war. Das grundsätzliche Dilemma der voluminösen Studie der westdeutschen Autoren Wolfgang Jacobsen und Rolf Aurich unter dem Titel Der Sonnensucher, vor etwa einem halben Jahr bei Aufbau erschienen, besteht nämlich darin, daß sie die filmischen Leistungen Konrad Wolfs ständig von dem Bezugsrahmen DDR abkoppeln, frei nach dem Muster: Er war ein großer Künstler, nur stand er auf der falschen Seite. Das ist unredlich, leider aber inzwischen herrschende Praxis des Biographienschreibens. Auch Eisenstein, Majakowski, Eisler und Brecht wurden schon als große Artisten minus Revolution abgefeiert.
Ich kann nur nachdrücklich empfehlen, sich die Filme von Konrad Wolf anzusehen. Gelegenheit gibt es dazu im Oktober bei 3 sat, wo Lissy, Sterne und Der geteilte Himmel nochmals ausgestrahlt werden.
Der sozialistische Regisseur wäre am 20. Oktober 2005 achtzig Jahre alt geworden.