von Sandra Beyer
Selbst im Dezember schimmern die Blätter rot und goldbraun. In jeder Jahreszeit bietet die kaiserliche Villa „Katsura“ ein Naturschauspiel. An ihren Winter in der alten Hauptstadt Kyoto fühlte sich auch die Reisende erinnert, als sie zur Eröffnung der Ausstellung der Fotografien von Ishimoto Yasuhiro im Bauhaus-Archiv war. Mit Wehmut dachte sie an die grauen tiefhängenden Himmel über der „Katsura Rikyû“ („Kaiserlicher Nebenpalast Katsura“), der nicht aufhören wollte, Regen auf die Besuchenden des Parks herniederzuschütten. Die Reisende wollte nicht trocken werden, und nach einem strammen Fußweg von 20 Minuten zurück zum Katsura-Bahnhof musste sie erkennen, dass sie zu allem Überfluss ihre Geldbörse im kaiserlichen Park vergessen hatte. Durchnässt und am Ende ihrer Kräfte hatte sie gelernt, dass ihr Geld inmitten eines hochsicher bewachten Parks im Südwesten der Stadt nie in Gefahr und ihre Reiseaufzeichnungen im Rucksack unwiederbringlich verloren waren.
Der Besuch der kaiserlichen Villen in und um Kyoto ist eine Erfahrung, von der die Kreativität und Imagination jahrelang zehren kann. Der Zutritt ist kostenlos, muss jedoch beim kaiserlichen Hofamt im Park des kaiserlichen Palastes beantragt werden. Führungen durch den Sitz der Familie des Tennô in Kyoto sind mehrmals täglich und auf Englisch. Für den Luxus, die Beschreibungen auch verstehen zu können, bezahlt die Reisende mit der Anwesenheit von über 60 Menschen pro Tour. Die kaiserlichen Villen am Rand der Stadt sind nur mit Japanischkenntnissen zu betreten. Dafür sind die Gruppen von einer erholsamen Größe und die Nachfragen kenntnisreicher. Eine Wegbeschreibung und die Bitte, pünktlich zu sein, wurden vom Hofamt in der Landessprache mitgegeben. Sobald die Reisende jedoch diesen Aufwand betrieben hat, wird sie mit einem Blick belohnt, der schon Bruno Taut, Walter Gropius und Le Corbusier nicht mehr losließ. Der Park wurde Anfang des 17. Jahrhunderts vom Prinzen Toshihito aus einer Nebenlinie des Kaiserhauses erbaut und besteht rein rechnerisch aus vier Teehäusern, einem künstlichen See mit einer Insel und zwei Halbinseln, drei Toren, einem Haupthaus sowie vier kleineren Gebäuden und einem privaten Tempel. Doch schon die Architekten erkannten, dass der Park mit seinen 56.000 qm eine architektonische Meisterleistung ist. Denn an keiner Stelle gibt er seine Größe preis, sondern spielt durch die Setzung von Bäumen, Steinen und Häusern mit den Blicken der Besuchenden. Schnell wird ersichtlich, dass es sich bei der Katsura Villa um einen Sommersitz handelt. Die Häuser waren für die Betrachtung des Mondes bei Tee und für die Spaziergänge durch den Park gedacht.
Architektonisch funktioniert die Villa Katsura wie eine Bühne für die Betrachtung der Natur. Der Blick geradeaus ist nur über einige Meter möglich, bis ein Baum oder ein künstlicher Hügel den Blick auf sich ziehen. Wegen dieses Spiels, in das je nach Jahreszeit die Farben der Natur uns ebenso ablenken, gilt die Villa als Ausdruck der japanischen Ästhetik im In- und Ausland. Wer genau hinsieht, erkennt auch die Trennung der Klassen. Die Villa ist eine der wenigen Bauten, die aus der alten Zeit noch existieren und die die Gänge der Bediensteten ganz deutlich zeigen. Wer sich einmal gefragt haben sollte, wie denn die hohen Damen und Herren bedient worden sind, schaue unter die großen Wandelgänge. Gelegentliche Türen in den Verschlägen aus dunklem Holz oder getünchtem Lehm unter den erhöhten Bauten zeigen, wo die dienstbaren Hände geduckt die Häuser durchquerten. Das Tabu, nicht auf die Ränder der aneinanderstoßenden Reismatten zu treten, rührt von der Angst, dass von dort unten durch die Ritzen mörderische Schwerter den unbeschuhten Fuß verletzen könnten. Auch Bedenken zur Wärmung im Winter und Kühlung im Sommer hielten Menschen davon ab, Häuser direkt auf den Boden zu bauen. Der Kellernutzung haben diese Unterhöhlungen jedoch nie gedient.
Nach dem Vertrag von San Francisco, der 1952 den Frieden in Ostasien festschreiben sollte, wollte das Museum of Modern Art in New York die kulturelle Annäherung durch eine Geste der Versöhnung fördern. So wurde der in den USA geborene, japanischstämmige Fotograf Ishimoto vom Bauhaus Chicago nach Kyoto gesandt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich vor allem mit der Fotografie westlicher Architektur Chicagos beschäftigt. Seine erste Serie zeigt deswegen die landschaftlichen Merkmale des Parks. Trittsteine und Bauteile leiten unseren Blick. Die Asymmetrien der japanischen Architektur finden sich in der Kompositionen seiner Monochromfotografien wieder. Durch das Festhalten von Details folgt Ishimoto dem Konzept des Parks, nicht als Gesamtkunstwerk wirken zu wollen. Doch ist es gerade die Betonung der Einzelkomponenten der Architektur, der von Menschenhand geschaffenen Natur und der Abwesenheit von Menschen, die letztendlich ein Gesamtkonzept sind. Was die westlichen Architekten faszinierte und was sie als die japanische Ästhetik sahen, war die Einfachheit des Sommersitzes. Da es sich hierbei eben nicht um eine Residenz zur Repräsentation, sondern um einen Park zum zurückgezogenen Lustwandeln bei Poesie und Tee handelt, nimmt es nicht wunder, dass nicht die Expression, sondern die Impression wichtig waren. Dieser Rückzug in eine elegante relative Privatheit sollte die moderne Architektur beeinflussen. Der japanische Architekt Tange Kenzô, der Wolkenkratzer wie die Doppeltürme der Tokyoter Stadtverwaltung in Shinjuku, inmitten der Hauptstadt, schaffen sollte, sah die Forderungen der modernen Architektur nach Funktionalität und Schlichtheit schon in den alten Bauten des feudalen Japans verwirklicht.
Ishimoto sollte einer der wenige Menschen bleiben, denen es erlaubt wurde, die kaiserliche Villa offiziell zu fotografieren. Der Park und der Fotograf haben begonnen, sich gegenseitig zu beeinflussen. So wurden seine Bilder als Grundlage genutzt, den Park in den 1970er Jahren zu restaurieren. Danach entstand seine zweite Serie 1981/82. In dieser fotografierte er überwiegend die Innenräume der Häuser. Beide Serien werden meist ohne Jahresangaben miteinander ausgestellt, weswegen die Bilder als auch die Villa darin zeitlos erscheinen. 22 seiner Fotografien schenkte er zum Beginn der Ausstellung dem Bauhaus-Archiv. Sie sind uns nun also in Deutschland zugänglich. Auch heute noch prägen seine Bilder den Blick auf diesen Ort. Da Schiebetüren, die sogenannten Shôji, in der japanischen Architektur nie der Abschließung nach außen dienen, lässt auch Ishimoto die Natur durch Fenster und Rahmen in seine Bilder. In einem Land, das wir in Europa für privat und zurückgenommen halten, drückt gerade diese Villa eine Offenheit zur Welt aus. Jedoch ist dies eine selbst erschaffene, streng kontrollierte, in die nur ausgesuchte Menschen Zutritt haben. In diesem Sinne hatten die Architekten recht, als sie den Park als Symbol für Japan und ihr Verständnis von Mensch und Umwelt sahen.
Die kaiserliche Villa Katsura: Fotografien von Ishimoto Yasuhiro. Bauhaus-Archiv. Museum für Gestaltung, Berlin, Klingelhöferstr. 14, 18.1. – 12.03.2012, Katalog: 2 Euro
Schlagwörter: Bauhaus-Archiv, Ishimoto Yasuhiro, Kyoto, Sandra Beyer, Villa Katsura