15. Jahrgang | Nummer 1 | 9. Januar 2012

Unnütz? Vielleicht. Informativ? Durchaus!

von Frank Ufen

Die Brille wurde Ende des 13. Jahrhunderts in der Toskana erfunden. Erstaunlicherweise dauerte es mehrere Jahrhunderte, bis auch die arabische Welt und China sich diese Errungenschaft zunutze machten. In Koydls Augen hat dieser Umstand weitreichende Folgen gehabt. Allein dieser technische Vorsprung habe es nämlich Europa ermöglicht, das Arbeitsleben seiner Wissenschaftler, Gelehrten, Handwerker und Schreiber um Jahrzehnte zu verlängern.
William Ewart Gladstone, der zwischen 1868 und 1894 vier Mal britischer Premierminister war, hatte die Angewohnheit, zur Entspannung die Ilias und die Odyssee im Original zu lesen. Dabei fiel ihm eines Tages etwas Merkwürdiges auf: Bei Homer ist das Meer immer und überall rot gefärbt. Aber nicht genug damit. Als purpurn oder weinfarben bezeichnet er Ochsen, Pferde, die Haare des Odysseus, das Eisen und die Schafe Polyphems. Und während er jedes Gesicht, Polyphems Holzkeule und Honig „grün“ nennt, kennt er überhaupt keinen blauen Himmel, spricht jedoch von den blauen Augenbrauen des Zeus und von den blauen Haaren Hektors. Gladstone hatte für diese fehlerhaften Zuschreibungen Homers eine originelle Erklärung: Die alten Griechen, vermutete er, hätten sich deswegen sehr schwer damit getan, Farben voneinander zu unterscheiden, weil sie in der Kunst des Färbens noch Stümper gewesen wären. Wenig später förderte allerdings die Linguistik zutage, dass auch im Alten Testament, im Koran, in den isländischen Sagas und in den indischen Veden die blauen Farbtöne nur äußerst selten oder gar nicht auftauchen und die Farbwörter nicht weniger willkürlich verwendet werden. Etymologen fanden heraus, dass die Wörter blau, blond, blank, black (= schwarz), blanc (= weiß), flavus (= gelb) und blaws (= grau) samt und sonders auf das proto-indoeuropäische „bhel“, das hell, leuchtend, glänzend bedeutet, zurückgehen. Und außerdem hat sich herausgestellt, dass in sämtlichen Kulturkreisen die Farbbezeichnungen in annähernd der gleichen Reihenfolge entstanden sind. Koydl schlussfolgert daraus, dass diejenigen Farben als erste auf einen Namen getauft wurden, die für den Überlebenskampf eine Schlüsselfunktion hatten.
Wie sein Onkel Sigmund Freud beschäftigte sich auch Edward Louis Bernays (1891-1995) intensiv mit dem Unbewussten. Bernays ging es allerdings in erster Linie um das Unbewusste der Konsumenten in den Vereinigten Staaten, das er mit einem Arsenal äußerst raffinierter Mittel zu manipulieren versuchte. Bernays, der heute als der bedeutendste Pionier auf dem Gebiet der Public Relations gilt, hatte nicht die geringsten Bedenken, für alles und jedes Werbekampagnen zu veranstalten. So gelang es ihm, den Schweinefleischabsatz beträchtlich zu steigern, indem er prominente Ärzte dazu brachte, ein opulentes Frühstück aus Spiegeleiern und Speck als gesunde Kost abzusegnen. Der British American Tobacco verhalf er zu Rekordumsätzen, indem er glauben machte, dass die rauchende Frau auch eine emanzipierte Frau sei. 1954 trug Bernays sogar zu dem gewaltsamen Umsturz der Regierung Guatemalas durch die CIA bei. Er hatte nämlich im Auftrag der United Fruit Company die amerikanische Öffentlichkeit gegen die damalige sozialistische Regierung von Jacobo Arbenz aufgehetzt. Und was Joseph Goebbels als Propagandaminister des Dritten Reichs trieb, war zu einem erheblichen Teil von Bernays’ Ideen und Erkenntnissen inspiriert.
Ist es unnütz zu wissen, dass Karotten nur deswegen orange sind, weil Züchter aus den Niederlanden ihnen diese Farbe zu Ehren ihres Herrscherhauses Oranien verpasst haben? Darüber kann man streiten. Alles andere als unnütz ist jedenfalls dieses ausgesprochen informative Buch des Journalisten Wolfgang Koydl, der als Auslandskorrespondent für die Süddeutsche arbeitet. Man kann es ohne weiteres nebenbei lesen.

Wolfgang Koydl: Hauptsache Nebensache. Eine kurze Geschichte des unnützen Wissens, Ullstein Verlag, Berlin 2011, 268 Seiten, 9,99 Euro