14. Jahrgang | Nummer 26 | 26. Dezember 2011

Von Peinlichkeiten und Gestank

von Bernhard Romeike

Vorher kannten Michael Braun nur einige Insider der Berliner CDU und aus dem Anwalts-/Notar-Gewerbe. Dann wurde er stadtbekannt. Die CDU hatte ihn als Justizsenator in den neuen Senat gehievt, dessen Bildung durch das verkorkste Wahlergebnis des vergangenen Herbstes wieder auf ein SPD-CDU-Bündnis hinausgelaufen war. Das war die Knallkörper-Konstellation, die Berlin vor zehn Jahren schon einmal in eine wirtschaftliche und politische Katastrophe geführt hatte. Die Christdemokraten hatten jedoch versichert, sich gewandelt zu haben, und der Regierende Wowereit hatte dies freundlich zur Kenntnis genommen.
Braun hielt 12 Tage (in Worten: zwölf) auf diesem Platze aus, musste dann aber das Feld räumen, weil er zu einer Seilschaft in Berlin gehört hatte, die einfältigen, aber solventen Bürgern das Geld für Schrott-Immobilien aus der Tasche zog, und diese Vorgänge rasch notariell beglaubigt hatte, damit die Mäuse nicht wieder aus der Falle schlüpften. Mit dieser Vita war der Mann als Justizsenator nicht haltbar. Nicht einmal auf einem CDU-Ticket. Aus diesen zwölf Tagen ergab sich allerdings ein Anspruch dieses Mannes auf 50.000 Euro Übergangsgeld. Angesichts aufkommender Empörung in Anbetracht dieses Preis-Leistungs-Verhältnisses erklärte Braun: „Wenn wir das Kriterium ‚moralisch‘ einführen, kommen wir in eine ganz schwierige Situation. Das mündete in der deutschen Geschichte meist in Willkür.“ Kleiner ging’s gerade nicht. Das nennt man frech! Darauf muss man erst einmal kommen! Indem der Herr Anwalts-Notar für zwölf Tage Arbeit im Senat (oder was immer er in der Zeit getrieben haben mag) 50.000 Euro einstreicht, bekundet er sein Vorkämpfertum gegen kommunistische Willkürherrschaft. (Oder hatte er die NS-Willkür gemeint?) Das Stadtmagazin Tip kürte ihn indessen zum „peinlichsten Berliner“ des Jahres 2011.
Frank Henkel, der CDU-Chef und Stellvertreter Wowereits, hat sich von dieser Peinlichkeit allerdings nicht zu distanzieren gewusst, sondern noch eins draufgegeben. Die Bingo-BZ berichtete (14. Dezember 2011), dass er auf die Frage, weshalb er denn Mitte Dezember immer noch keinen Nachfolger auf dem Sessel des Justizsenators vorzuweisen habe, geantwortet hat: „Wenn Du nur mit Nüssen bezahlst, brauchst Du Dich nicht zu wundern, wenn Du nur Affen bekommst.“ Er meinte nicht, dass es in der CDU nur Affen gibt, sondern dass das Gehalt (ein Senator erhält wohl an die 10.000 Euro im Monat) zu niedrig sei. Womit die Berliner CDU geistig-moralisch jetzt wieder da ist, wo sie mit Klaus-Rüdiger Landowsky (dessen segensreichem Wirken der Berliner Bankenskandal vor zehn Jahren zu verdanken war) aufgehört hatte.
Das scheint aber kein spezifisches Problem der Berliner CDU zu sein. Wenn dieses Heft erscheint, ist Christian Wulff vielleicht schon nicht mehr Bundespräsident. Wenn das so ist, dann ist er gestolpert über seine Verquickungen als früherer Ministerpräsident des Landes Niedersachsen mit den dortigen bürgerlichen Seilschaften. Privatkredit hier, gesponsorte Urlaubsreisen dort, dazu fremdfinanzierte Werbungsmaßnahmen für ein Buch des Wulff in Sachen Eigenwerbung in Zeiten des Wahlkampfes. Und das soll alles ohne Gegenleistungen erfolgt sein? Für das nette Gesicht? Ein Nuss-Affe, der das glaubt. Eine Hand wäscht die andere, sagt man. Da müsste man die Landesregierung hinsichtlich der Förderung dieses freien Unternehmertums nochmals genauer ansehen. Davon wollen die Fraktionen von CDU und FDP, die dort diese Regierung tragen, aber nichts wissen. Inzwischen Widerrufe des Wulff in Bezug auf frühere Aussagen in dieser Sache, die aber keine Falschaussagen gewesen sein sollen. Was aber dann?
Zur gleichen Zeit die FDP im freien Fall. Einst stolze 18 Prozent auf den Fahnen, jetzt 1,8 Prozent. Steuersenkung will keiner. Fähigkeiten zur Bewältigung der Finanzkrise traut ihr keiner zu. Das „bürgerliche Lager“ in Deutschland, wie wir es kannten, scheint in einem eigenartigen Zersetzungsprozess begriffen zu sein. Die einen raffen, es könnte ja schon morgen zu spät sein, die anderen fordern höhere Gehälter für sich, in Zeiten, da dem einfachen Volk das Zwangssparen verordnet wird, und die nächsten wissen Privates von Dienstlichem nicht wirklich zu unterscheiden. Von dem Potential an Falschaussagen ganz zu schweigen. Und darüber ein Berufsverständnis von Anwälten und Notaren, das mit Berufsethos nichts zu tun hat. Das Moral-Kriterium sei von Übel, hatte der Peinlichste gesagt.
Vor einhundert Jahren hatte ein berüchtigter Linker gemeint, der Kapitalismus trete in sein Fäulnisstadium. Da war damals eher der Wunsch der Vater des Gedankens. Jetzt aber scheint es wirklich zu stinken. Und es stinkt von oben.
Das Jahr 2012 wird „ein mittleres Jahr“, hatte neulich jemand einen alten Witz wieder vorgekramt. „Ein mittleres Jahr?“ – „Ja. Es wird schlechter als 2011, aber besser als 2013.“
Na, prima!