von Alfons Markuske
Zu wissen, dass griechische Skulpturen des klassischen Altertums dem Betrachter keineswegs in der minimalistisch marmor-weißer Ästhetik gegenüberstanden, in der sie heutigen Tages im Museum zu besichtigen sind, sondern dass sie farbig, um nicht zu sagen: farbenfroh bemalt waren, ist das eine. Den Gigantenfries des Pergamon-Altars jedoch – und überdies noch zeichnerisch komplettiert – in einer Anmutung zu Gesicht zu bekommen, deren kräftige Farbgebung an einen Karnevalszug erinnert, ist dann aber doch noch einmal ganz etwas anderes. Der das Experiment unternahm, der aus dem Iran stammende Architekt und Maler Yadegar Asisi, tat dies allerdings nicht in freier künstlerischer Manier, sondern auf der Basis intensiver Beratung mit den Archäologen Volker Kästner und Wolfgang Radt (langjähriger Grabungsleiter in Pergamon). Gleichwohl ist das Resultat ein spekulatives, das der Schöpfer als Diskussionsbeitrag verstanden wissen möchte.
Asisis Imagination zu besichtigen ist in einer Rotunde, die – ähnlich einem historischen Gasometer – derzeit auf der Berliner Museumsinsel thront und eigens zur Beherbergung des 360-Grad-Riesenpanorama „Pergamon“ (24 Meter hoch, 103 Meter Lang; 2.472 Quadratmeter bedruckter Stoff) errichtet wurde. Wer sich schon einmal von einer Asisi-Schöpfung hat beeindrucken, ja begeistern lassen, zum Beispiel in Dresden („1756 Dresden“) oder Leipzig („Amazonien“ – siehe Blättchen 24/2011), darf sich auf ein vergleichbares Erlebnis erfreuen. „Das in seiner detailgesättigten Monumentalität schlicht überwältigende Panorama entführt den Betrachter auf die Akropolis von Pergamon, wie sie sich grosso modo im Jahre 129 n. Chr. darbot – in einer Rekonstruktion, die, wo immer dies möglich war, auf dem aktuellsten Forschungsstand basiert“, so Andreas Scholl, Direktor der Staatlichen Antikensammlung zu Berlin, im Katalog der Exposition. Der Katalog selbst stellt Partien des Originals und seiner Rekonstruktion sehr anschaulich gegenüber.
Das Panorama ist das kongeniale komplementäre Accessoire zu der zeitgleich laufenden ersten umfassenden Ausstellung zum antiken Pergamon im Museum selbst, die 450 Exponate, darunter etliche noch nie öffentlich gezeigte, aus dessen Beständen sowie Leihgaben aus Kopenhagen, Paris, Neapel und Rom vereint. „Wir haben nicht nur ein Dutzend Reliefs, wir haben eine ganze Kunstepoche ausgegraben“, hatte der westfälische Ingenieur Carl Humann bereits 1878, kurz nach Beginn der ersten Grabungen, in einem Brief an den Direktor der Berliner Antikensammlung Alexander Conze geschwärmt. Und er hatte nicht untertrieben, denn unter der Herrschaft von Eumenes II: (197–159 v. Chr.) waren in der ersten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts auf dem Burgberg des kleinasiatischen Pergamon nicht nur der Monumentalaltar mit dem Gigantenfries entstanden, sondern auch ein riesiges Gymnasion, ein beeindruckendes Amphitheater und die neben Alexandria bedeutendste Bibliothek der damaligen Welt. Und weil die Ptolemäer, die Herrscher Ägyptens, die Ausfuhr von Papyrus gestoppt hatten – der Begriff Embargo entstammt zwar dem Spanischen, ist aber mitnichten eine Erfindung der Neuzeit – schrieb man auf Tierhäuten. Das Material ist bis heute bekannt – und benannt nach dem Ort: Pergament.
Asisi hat auf Anraten der Wissenschaftler für die Schöpfung des Panoramas auf eine spätere Zeitepoche zurückgegriffen, als Kleinasien bereits längere Zeit unter römischer Herrschaft stand: Pergamon zeigt sich am – nach heutiger (abendländischer) Zeitrechnung – 9. April 129 nach Christi Geburt, während der dionysischen Feiern und Festumzüge anlässlich des Besuches von Kaiser Hadrian während einer seiner historisch verbürgten Inspektionsreisen in die römische Provinz Asia.
Asisi hat bei der Schöpfung des Panoramas im Übrigen nicht nur das große Ganze im Blick gehabt, sondern auch noch Sinn für das in diesem Kontext originelle Detail. So findet sich unter anderem das klassische antike Skulpturen-Motiv des Dornenausziehers, das heute in Bronze im Konservatorenpalast in Rom oder in Marmor im Britischen Museum beheimatet ist, auf Asisis Anmutung – nicht als Statue, sondern „in Fleisch und Blut“. Man muss in der „detailgesättigten“ Vielfalt des Bildes allerdings schon ein wenig danach suchen … Und apropos „detailgesättigte Monumentalität“: Es empfiehlt sich die Mitnahme eines Opern- oder Fernglases.
Pergamon – Panorama der antiken Metropole, Museumsinsel Berlin (direkt am Pergamon-Museum), bis 30.09.2012, Montag – bis Sonntag, 10 – 18 Uhr; Eintritt 18,- Euro (Kombi-Ticket mit Pergamon-Sonderausstellung im Museum; ohne Sonderausstellung 13,- Euro; Audio-Führung inklusive). Katalog 19,90 Euro.
Schlagwörter: Alfons Markuske, Altar, Panorama, Pergamon, Yadegar Asisi