14. Jahrgang | Sonderausgabe | 5. Dezember 2011

Der Conferencier als Condottier

von Franz Schandl, Wien

Zuallererst ist das Treiben des Slavoj Žižek ein äußerst sympathisches. Überall dort, wo die radikale Linke abgerüstet hat (und wurde), dort rüstet er kräftig auf. Der Kommunismus erscheint bei ihm alles andere als antiquiert – als eine brandaktuelle Aufgabe. Und er selbst versteht sich als Meister des Zündelns. Einer dieser lästigen, aber letztlich harmlosen Denker, das möchte er nicht sein.
Wenn es nach Žižeks neuestem Buch geht, dann ist der große Wegbereiter dieser Linken des 21. Jahrhunderts ein gewisser Martin Heidegger. Fast ein Drittel des Bandes ist ihm gewidmet und immer wieder tritt er als Zeuge auf. Indes drücken diese Abschnitte doch einiges an Befangenheit aus. Der Provokateur stolpert des Öfteren: „Heidegger ist nicht trotz, sondern wegen seines NS-Engagements ,groß‘, seine Beteiligung ist ein wesentliches Element seiner ,Größe‘“, heißt es etwa. Oder: „Sein NS-Engagement war nicht, völlig falsch‘ – das Tragische ist, dass es fast richtig war, indem es die Struktur eines revolutionären Akts aufwies, die dann durch die faschistische Verzerrung zerstört wurde.“ Es mag zwar einen falschen Schritt in die richtige Richtung geben, was aber ein richtiger Schritt in die falsche Richtung ist, ist uns schleierhaft. Eben einen solchen soll Heidegger laut Žižek 1933 getan haben.
Dass Žižek die Gefahr nicht scheut, spricht zwar für ihn, doch mehr als eine gefinkelte Apologie ist nicht drinnen, dazu steht er zu sehr im Bann des deutschen Meisterdenkers. Nicht dass er sich dem „Fascinating Fascism“ stellt, ist das Problem – das ist gegen den seichten antifaschistischen Mainstream notwendiger denn je – sondern wie er es tut. Er verliert sich ganz in der Affinität.
Das Böse wird als unvermeidbar, als „nicht aufhebbares Grundwesen“ vorgestellt. Es ist nicht Resultat (wie doch jeder noch so krude Materialismus nahe legen würde) einer bestimmten historischen Konstellation und Sozialisation, es ist „nicht einfach ein Abfall vom ontologischen Wesen des Menschen, sondern muss in diesem ontologischen Wesen begründet liegen.“ Man staunt: Das Böse rührt aus „den Windungen des Seins“, gleicht einem Trieb.
Diesem Trieb gibt Žižek sich nun ganz hin. Wenn schon, denn schon. Getreu dem Motto, dass es besser ist Schrecken zu verbreiten als sich schrecken zu lassen, singt Žižek das Lied des Terrors, denn „dieser Schrecken ist nichts Geringeres als die Bedingung der Freiheit“: „Wer A sagt – Gleichheit, Menschenrechte und Freiheit –, sollte nicht vor den Folgen zurückschrecken und den Mut aufbringen, auch B zu sagen, um A wirklich verteidigen und behaupten zu können, braucht es den Terror.“ Denn „göttliche Gewalt = unmenschlicher Terror = Diktatur des Proletariats“. So reden gedopte Schreckgespenster, denen es darum geht, „den emanzipatorischen Terror neu zu erfinden“.
Schließlich plädiert Žižek – und der absolute Tiefpunkt ist nun erreicht –, als Subjekt zu „einer Art ,lebendem Toten‘ zu werden, auf alle persönlichen Eigenarten zu verzichten und sein ganzes Leben der Vernichtung derer zu widmen, die es gezwungen haben, die Opfertat zu begehen. Eine solch, unmenschliche‘ Position der absoluten Freiheit (in meiner Einsamkeit kann ich tun und lassen, was ich will, niemand hat Gewalt über mich) gepaart mit der absoluten Hingabe an eine Aufgabe (der einzige Sinn meines Lebens besteht darin, Rache zu üben) charakterisiert vielleicht am treffendsten das revolutionäre Subjekt.“
In der Gewaltdebatte bringt das Buch freilich kein Jota weiter, im Gegenteil, es zieht Fronten auf und plädiert für den Krieg. Cui bono? Da werden keine Verhältnisse zum Tanzen gebracht, sondern nur ein Beitrag zur Eskalation der gesellschaftlichen Kommunikation geleistet. Abseits aller Bekenntnisse zum Gewaltmonopol des Staates einerseits als auch zur revolutionären Gewalt andererseits wäre die Gewalt als gesellschaftliche Drohung und Notwendigkeit zu realisieren, aber stets in der Perspektive ihrer Abschaffung zu debattieren. Ein Kern der Herrschaft liegt ja nach wie vor in der Gewalt, so domestiziert sie in den Rechtsstaaten auch daherkommt. Gesellschaftliche Transformation ist ohne Bruch des Gewaltmonopols nicht zu haben. Das muss man sich nicht unbedingt gewalttätig vorstellen, es kann aber auch durchaus gewalttätig vor sich gehen. Das Problem ist nicht, dass Žižek die Gewaltfrage aufmacht, das Problem ist, dass er sie gleich wieder zumacht.
Einerseits verkündet unser Autor selbst das Ende der Epoche der Oktoberrevolution, sie werde zwar „für immer ein wesentlicher Teil unserer Erinnerung bleiben, aber diese Geschichte ist vorbei, alles sollte neu überdacht werden, wir sollten wieder bei null anfangen“; andererseits vermag er nichts anderes zu unterbreiten als folgendes Szenario: „Revolutionäre müssen geduldig auf den (meist sehr kurzen) Moment warten, in dem das System offensichtlich versagt oder zusammenbricht; dieses kleine Zeitfenster müssen sie nutzen, die Macht an sich zu reißen, die in diesem Moment sozusagen auf der Straße liegt und greifbar ist, und diese Macht dann festigen, repressive Apparate aufbauen usw., sodass es, wenn die Verwirrung vorüber und die Mehrheit ernüchtert und vom neuen Regime enttäuscht ist, zu spät sein wird, um es wieder loszuwerden, weil es bereits verankert ist.“ – Das ist doch eine Parodie!
Nicht einmal das Jüngste Gericht darf in diesem katholisch dampfenden Kommunismus fehlen. Was da kommen soll, ist ein „Tag der vollkommenen Abrechnung“. „Die ,göttliche Gewalt‘ wäre der Akt des Ziehens der Notbremse im Zug des historischen Fortschritts.“ Wir tun eh nix, wir sind eh brav, das war gestern, nun vermittelt der (laut Eigenwerbung des Verlags) „gefährlichste Philosoph des Westens“: Wir reißen euch den Arsch schon noch auf! Zweifellos, ersteres ödet an, letzteres lässt Aufreißer und Aufgerissene wohlig erschauern. Da kommt Prickeln auf. Der gibt’s uns aber. Und darin liegt auch seine Faszination. Slavoj Žižek verteilt revolutionäre Potenzpillen an ein ausgehungertes Publikum. Die schmecken nicht so schlecht, vor allem machen sie high.
Nicht nur im Katholizismus vermag ein Turiner Leichentuch seine Wirkung zu entfalten, auch Putin lässt einen Revolutionsführer im Mausoleum liegen, und Žižek möchte diesen gar wieder auftauen. Schließlich gelte es Lenin als Helden zu wählen und die „nicht realisierten Möglichkeiten des Leninismus ans Licht bringen“. Wenn kritisiert wird, Che Guevera funktioniere doch als Ikone und Poster, dann legt Žižek sinngemäß nahe: Na und? „Warum sollte die revolutionäre Politik denn nicht den katholischen Märtyrerkult übernehmen? Man sollte auch nicht davor zurückschrecken, hier ganz konsequent zu bleiben und (für so manchen Liberalen sicherlich undenkbar) dasselbe auch für Leni Riefenstahl gelten zu lassen.“
Es ist wahrlich der Ballast von gestern, der via Žižek eine geradezu penetrierende Energie entwickelt hat. Revolutionärer Kitsch, bestenfalls Pop. Der Conferencier tritt auf als Condotierre. Anstatt die bösen Geister auszutreiben, will er sie wieder zum Glühen bringen. Doch wenn dieser sphärische Treffpunkt mit Paulus und Stalin, Heidegger und Mao, Chesterston und Riefenstahl der Himmel ist, dann sollte man sich vor solchen Himmelfahrten hüten.

Slavoj Žižek: Die bösen Geister des himmlischen Bereichs. Der linke Kampf um das 21. Jahrhundert, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011, 326 Seiten, 22,95 Euro