14. Jahrgang | Nummer 24 | 28. November 2011

Nicht Leonardo, Botticelli war’s

von Renate Hoffmann

Fraglos beherrschte sie die Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ im Berliner  Bode-Museum. Cecilia Gallerani, die „Dame mit dem Hermelin“, von Leonardo da Vinci 1489 / 90 in Mailand gemalt. Doch Cecilia war vorzeitig auf und davon, nach England, als ich eine Karte zur großartigen Schau „erstand“.
Nun fesselte mich eine andere Schöne. Als ich sie sah, wusste ich, dass ich sie kannte. Von einer hier nicht gezeigten Bildkomposition. Sandro Botticellis „Geburt der Venus“. Genauer beschrieben: Ankunft der Venus / Aphrodite am zyprischen Strand. Die Meerschaumgeburt lag bereits hinter ihr. Sie treibt auf einer Muschel der Küste zu und trägt unverkennbar die Züge des Damenporträts. Oder diese trägt die Züge jener. Eine junge Frau von ungewöhnlicher Schönheit. Mit eben dem  rotblonden Haar, wie es die Venus umflattert. Botticelli (um 1444 – 1510) malte sie beide. Trotz mancher Zweifel darf man Simonetta Cattaneo Vespucchi  für das Vorbild einer Galerie auffallend schöner Frauen halten. Denn es gibt  weitere Gemälde, die Ähnlichkeiten mit der Florentinerin zeigen. Nicht nur von der Hand Botticellis. Piero di Cosimo, ebenso ein Maler der Renaissance, gab seiner „Cleopatra“ den Abglanz Simonettas.
Auch hatte sie ihre Sänger. Gedichte, Pamphlete, Lieder legte man ihr zu Füßen. Der Florentiner Humanist und Dichter Angelo Poliziano wird wohl ihren Blicken begegnet sein. Wie anders wären seine begeisterten Zeilen zu deuten: „ … und tausend Liebesgeister, feuerhelle, ließ sie dem süßen Augenpaar entströmen … “ Sie galt als die schönste Frau von Florenz. Ihre Wohlgestalt hob sie in den Rang einer „regina della bellezza“ – einer Königin der Schönheit.
Das Leben der „bella Simonetta“, wie man auf den Straßen der Stadt von ihr sprach, währte nur dreiundzwanzig Jahre. – In oder bei Genua geboren und aus adeligem Hause stammend, kam sie jung nach Florenz. Ehelichte, sechzehnjährig, Marco Vespucci, einen Verwandten des Kaufmanns und Seefahrers Amerigo Vespucci. Die Familie stand den Kreisen der Medici nahe. Diese nun, Macht und Kunst besessen, schätzten den Maler Sandro Botticelli. Ebenso die liebreizende Simonetta. Giuliano de’ Medici verehrte sie. Der Kreis schloss sich.
Auf einem Turnier im Jahre 1475 widmete Giuliano seinen Lanzenritt der Angebeteten. Die Standarte, als Zeichen der Zueignung, soll Simonetta in Gestalt einer Pallas Athene gezeigt haben. Gefertigt in der Werkstatt Botticellis. Der Maler nahm später Motiv und Wandlung  Athene / Minerva / Simonetta noch einmal auf  („Minerva und der Kentaur“, um 1482).
Die junge Frau litt an Lungentuberkulose. Lorenzo I. de’ Medici, genannt „der Prächtige“, schickte seine Leibärzte. Sie konnten das Ende nicht aufhalten. Simonetta starb in der Nacht vom 26. zum 27. April 1476. Florenz trauerte.
Ein langer Zug folgte dem Sarg, der offen durch die Stadt zur Begräbnisstätte (Kirche Ognissanti) getragen wurde. Lorenzo und Giuliano gaben ihr das Geleit; Botticelli, Poliziano, die Vespuccis, die Orsinis; viele Künstler und Honoratioren der Stadt reihten sich ein. – Lorenzo de’ Medici schrieb: „Es starb aber in unserer Stadt, … eine Dame, deren Tod das Mitleid der gesamten Bevölkerung von Florenz hervorrief. Es ist dies kein großes Wunder, da sie wahrlich mit solcher Schönheit und menschlicher Noblesse versehen war, wie niemand zuvor …“
Sicherlich vom Maler der Idealvorstellung weiblicher Vollkommenheit genähert, findet man doch im „Porträt einer Dame“, um 1475 / 80, Lorenzos Worte bestätigt: Eine außergewöhnliche Erscheinung mit menschlicher Noblesse.
Fast unmerklich im Profil gewendet, malte sie Botticelli. Damenhaft, mädchenhaft. Ein rotes Gewand mit dunklem samtenem Einsatz über der Brust und gerafften Ärmeln rahmt das Dekolletee; lässt die feine Blässe schimmern. Um den schlanken Hals legt sich ein vierfädiges Bändchen. Oder sind es winzige gefädelte Glasperlen? (Näheres Herantreten, um es aufzuklären, verbietet die Sicherheit, obwohl ich es gern getan hätte.) Die Fülle des rotblonden Haares, kunstvoll aufgesteckt, bändigt eine Kordel. In regelmäßigen Abständen sind ihr Perlen eingeflochten. Über der Stirn teilt eine Perlenspange die welligen Strähnen. Als Angelo Poliziano Simonettas Schönheit pries, sprach er von den goldenen Locken, die ihr  Gesicht umgaben. – Die Anmutige mit dem klaren, ein wenig nachdenklichen Blick und den ausgewogenen Zügen rückt in die Nähe von Dantes Beatrice. Angebetet und verklärt.
Simonetta war wohl doch Botticellis Muse. In einem zweiten Porträt (um 1475 / 80), ebenfalls im Profil angelegt, hüllte er sie in leise Melancholie. Sie trägt, von einem Band aus filigranen Goldketten gehalten, die dunkle Kamee mit dem damals bekannten und nachgeahmten „Siegel des Nero“. Man glaubt zu wissen, dass der Schmuck im Besitz der Medici gewesen sei. Wer gab ihn ihr? Giuliano? Lorenzo?
Diesmal erscheint die schöne Dame hell gewandet. Ihr üppiges Haar gerät zu einem besonderen Kunstwerk. Perlenschnüre, rote Samtbänder, Kordeln – Zöpfchen gleich, durchziehen das Kupferblond. Den Scheitel schmückt eine Agraffe (brocchetta di testa) aus Perlen, Karneol und wippenden Reiherfedern. Zwei Locken lösten sich und bringen Vorwitz in die leichte Wehmut.   
Unfern der Porträts von Simonetta Vespucci und beziehungsreich angebracht, begegnete man drei Gemälden des Mannes, der sie mehr als verehrte. Giuliano de’ Medici. Auch ihn malte Sandro Botticelli. Eines der Bilder, die sich gleichen, versah der Künstler mit Turteltaube und einem abgestorbenen Zweig. Es sind dies aber die Zeichen schmerzlichen Verlustes und unerschütterlicher Liebe.