von Klaus Hammer
Von 1911 bis zu seinem Tode 1976 hatte Karl Schmidt-Rottluff – von ausgedehnten Malaufenthalten in nordischer wie südlicher Landschaft abgesehen – seinen Wohnsitz in Berlin. Aber im Unterschied zu seinen „Brücke“-Kollegen Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel fand das Thema der Großstadt mit ihren Existenzproblemen kaum Eingang in sein Werk. Seit Mitte der 1920er Jahre zogen sich dann auch die Menschen aus seinen Arbeiten zurück. Wie in seiner Malerei faszinierte den Künstler in den Aquarellen die elementar erfahrene Natur, sie war für ihn Herausforderung und Refugium zugleich. In rigoroser Selbstbeschränkung malte er Landschaften als Gegenbilder zur hektischen Großstadt und der von Konflikten und Kriegen zerrissenen Zeit. 1930 traten auch Stilleben hinzu, und während der Hitlerzeit, als „entartet“ verfemt und mit Malverbot belegt, hat er die innere Emigration in Darstellungen des in sich ruhenden Daseins symbolhaft gestaltet. Natur war für ihn Ebenbild der Ewigkeit und immer wieder neuer Impuls für Menschlichkeit und verantwortungsvolles Lebensgefühl.
In einer Aquarell-Retrospektive stellt das Brücke-Museum in Berlin-Dahlem die schönsten Blätter Schmidt-Rottluffs, darunter fast unbekannte aus einer privaten Sammlung, denen Erich Heckels gegenüber und fordert den Betrachter zu höchst interessanten Beobachtungen und Vergleichen heraus. Gerade das Aquarell erlaubt, das Flüchtige der Erscheinung, das atmosphärisch Einmalige festzuhalten, und beide Künstler haben davon viele Jahrzehnte ihrem künstlerischen Temperament gemäß ausgiebig Gebrauch gemacht.
Bei Schmidt-Rottluff vollzog sich die Hinwendung zum Aquarell in Intervallen, es löste den Holzschnitt ab, nahm Motive der Ölbilder vorweg, entwickelte sich zum eigenständigen, ebenbürtigen Partner der Malerei, und – als diese 1964 verstummte – floss alle Kraft und Kreativität in die Aquarelle und großformatigen Tuschpinselzeichnungen des Spätwerkes. Schmidt-Rottluff wie Heckel haben dem Aquarell wieder zu europäischer Geltung verholfen.
Rigorose Formverknappung, harte Kontraste ebenso wie Flüssigkeit und die Transparenz stark leuchtender Farben verliehen Schmidt-Rottluffs frühen Aquarellen große Unmittelbarkeit. Lodernde Landschafts- und Bildnisstudien entstanden 1909 in Dangast an der Nordsee, darunter ein Erich-Heckel-Porträt in farbigem Stakkakto. Das Gleiten im Fluss der Linien, das lebhafte Vibrieren der Farbflächen wurde 1911 von einem geschlossenen farbigen Flächenstil abgelöst. Mit drohenden „Gesichtern“ blicken die geduckten roten „Bauernhäuser“ den Betrachter an: die Farbe erhielt psychische Wirksamkeit. Während Ernst Ludwig Kirchner und Heckel 1921 den expressionistischen Stil aufgaben, erreichte er bei Schmidt-Rottluff in Jershöft, einem Fischerdorf an der Pommerschen Ostseeküste, einen neuen Höhepunkt. In die rhythmischen Bewegungen und Farbkontraste der Küstenlandschaft sind die Bauern, Fischer und Arbeiter in herber Strenge und Starre, in geschlossen blockhafter Form spannungsvoll eingebunden. Seit 1924 zeigen die malerischen Tessin-Aquarelle dann nicht die touristisch bevorzugten Ansichten des Lago Maggiore und der ihn umgebenden Berge, sondern verschachtelte Architekturen enger Gassen und Häuser in Farben, die nicht mehr strömen, sondern aus einem mosaikartig gefügten Grunde heraus leuchten. So und zugleich atmosphärisch hell malte er nun auch an den Küsten des Nordens, doch eine schwarze Kontur bindet alles, auch den Mond, an die Erde.
Nachdem der Druck der NS-Zeit vom Künstler gewichen ist, kommt die Erschütterung wie eine explosive Entladung, wie ein Aufstand der Farben und Formen: „Vegetation“ (1950), „Heißer Taunuswald“ (1959). Einsame Winterbilder mit ihren bläulichen Reflexen kündigen den Alterstil an. Als „Gelegenheitsgedichte, wie sie in glücklichen Stunden entstehen“, hat Will Grohmann die zeitlos schönen Aquarelle Schmidt-Rottluffs bezeichnet.
Auch Heckels Aquarelle aus dem ersten bis in das sechste Jahrzehnt belegen augenscheinlich, dass sein zeichnerisches Schaffen seiner viel bekannteren Malerei durchaus ebenbürtig ist. Während die Malweise der „Brücke“-Künstler aufreizen, schockieren sollte – das Bild nicht mehr als Endzustand, sondern als Moment gesteigerten Bewusstseins –, zeigen sich in den Aquarellen und Zeichnungen Heckels mehr die Sensibilität und zugleich die Vergeistigung beim Erfassen von Mensch und Landschaft, die Verbundenheit mit der Literatur, die Befähigung zu lyrischer Gestaltungsweise.
In der Dresdner „Brücke“-Zeit verschwindet die bezaubernde, schwingende Lineatur der frühen, noch impressionistisch inspirierten Arbeiten und Eckiges, Primitivistisches tritt in die Gesichter und Figuren. 1912 zeigt die Gouachearbeit „Mädchen mit Musikinstrument“ mit ihren weit ausholenden, schwingenden Konturen einen neuen, auf die Pariser „Fauves“, zumal auf Matisse, zurückgehenden Stil. Die heitere und gelöste Stimmung der letzten Dresdner Zeit ist in den „Badenden“ eingefangen: Sie entstanden im Spätsommer 1911, den Heckel und Kirchner mit ihren Mädchen an den Moritzburger Seen verbrachten. Aber auch Ostseelandschaften wurden mit rascher Feder gezeichnet und dann in leuchtenden Farben aquarelliert.
Mit der Übersiedlung nach Berlin 1911 erhielt Heckels Zeichenweise Härte und Nervosität, kantige Formen und spitzige Schattenlagen, die Farbigkeit erschien gedämpfter – kubistische Formelemente bestimmten seine Arbeiten. Eine zunehmende Verinnerlichung kreiert gequälte, von Verzweiflung geschlagene Figuren, geistig und körperlich im engen Raum eingeschlossen. Der gegen Gott Aufbegehrende und doch zugleich Gott Suchende, der Rufer in der Wüste und der Zusammenbrechende sind mit dem Künstler identifizierbar.
Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges suchte Heckel Kunst als Mittel zur Bewältigung zerreißender Spannungen zu erproben. Schilderungen der flandrischen Landschaft stehen neben Ausbrüchen, in denen sich die Schrecknisse einer als apokalyptisch empfundenen Welt spiegeln. In den 1920er Jahren setzt dann die Reihe der Landschaftsaquarelle ein, in denen sich die Formensprache des Künstlers zu beruhigen scheint. Der flächige Stil der Spätzeit, in dem bewegt konturierte farbige Felder, Bänder und Flecken zu einem flächenbezogenen Muster zusammengefügt werden, kündigte sich hier bereits an.
Aquarelle – Karl Schmidt-Rottluff (bis 27. November), Erich Heckel (bis 11. März 2012), Brücke-Museum Berlin-Dahlem, täglich 11 – 17 Uhr (außer dienstags).
Publikationen: Karl Schmidt-Rottluff: Aquarelle, Hirmer Verlag, München 2011, 300 Seiten, 39,90 Euro; Erich Heckel: Der stille Expressionist, Hirmer Verlag, München 2010, 288 Seiten, 39,90 Euro.
Schlagwörter: Brücke-Museum, Dahlem, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Klaus Hammer