13. Jahrgang | Nummer 3 | 15. Februar 2010

Wieland Förster 80

von Klaus Hammer

Sein Schreiben, Zeichnen und Gestalten sei als Versuch zu verstehen, so der Bildhauer Wieland Förster, „aufzuarbeiten, was an Erschütterungen von der Zeit her in mich eingedrungen ist“. Das Thema Leid und Liebe, der unerlöste Widerspruch von Leben und Tod, von Aggression und Erleiden, von Sinken und Trotzen hat in seinem Werk ihren Niederschlag und ihre Form gefunden. Der heute 80jährige, für den die stalinistische Lagerhaft in Bautzen schlimmste psychische und gesundheitliche Schäden gebracht hatte, widmet seine Denk- und Mahnmale den unzähligen namenlosen Opfern in der ganzen Welt. Mord und Denunziation werden nicht verziehen, sagt er, aber man solle nicht vergessen: Auch die Wärter hatten ihre Schicksale.

Immer wieder will man auch im Künstler den Moralisten sehen, doch das Kunstwerk und der Mensch, der es geschaffen hat, sind zwei verschiedene Dinge. „Formung und Erfindung werden auf den biographischen Bericht reduziert“, so führte er 1995 bei der Einweihung seiner nach einer Gedichtzeile der Achmatowa benannten Skulptur „Namenlos – Ohne Gesicht“ aus, „was spätestens seit der Entstehung der ‚Passion’, also 1966, längst ins weltweit Menschliche gewachsen war.“

Vor Jahren wurde von Förster die Uwe-Johnson-Stele für die Stadt Güstrow geschaffen. Sie steht auf dem historischen Platz zwischen dem John-Brinkman-Gymnasium, der Domschule und dem Dom. Im Parlamentsgebäude in Berlin gegenüber dem Reichstag steht die Porträtbüste des von den Nazis ermordeten jüdischen Arztes Dr. Hallauer. Auch andernorts, in Berlin, Potsdam, Frankfurt/Oder, Dresden, Hamburg, auf Rügen und so weiter, erheben sich Mahn- und Erinnerungsmale von ihm, Darstellungen von Schmerz, Leid und Vergänglichkeit, aber auch von Hoffnung und Dauer.

Försters Porträtplastiken, Figurationen, Torsi, Akte haben sich tief in unser Bewußtsein eingeprägt. Der Torso als Fragment trägt prozessualen Charakter, er bleibt als Form offen und sperrt sich nicht gegen Verbindungen, Verschmelzungen, Verknotungen, Überlagerungen. Der Körper wird zur flammenden, zuckenden, auffahrenden Form, zur lodernden Landschaft, und diese wiederum zu organischem Leben mit allen Zeugungsmerkmalen erweckt. Erregung ist für Förster Bewegung, Drehung, Krümmung, Zusammenballung und Streckung, Wendung, Taumel und Ineinanderstürzen aufgerissener, torsierter Leiber.

Für seine Bildwerke aus Stein, Bronze und Zementguß hat Förster die Beziehung zur umgebenden Landschaft, zum Menschen in der Landschaft, hinzugewonnen – ja, die Landschaft selbst zum Formthema seiner Arbeiten gemacht. Die plastische Form einer Talmulde zwischen flachen Hügeln, jene typisch mecklenburgische oder märkische Landschaft, die Felsformationen der Sächsischen Schweiz oder andere landschaftliche Regionen mit ihren spezifischen Beschaffenheiten hat er seit den 70er Jahren zum Gegenstand seiner Reliefs als Torso oder „Einblick“ gewählt. Die Metamorphose des Landschaftlichen, des Geologischen wie Vegetabilen, zum Menschlichen und umgekehrt sind charakteristisch für ihn: Es entstehen Kompositionen von Konkavem und Konvexem, von Höhlungen und Auskragungen, Masse und Binnenraum, die ein Zusammenspiel von passiver Ruhe und intensiver Aktion, eine Durchdringung von Natur und Bildwerk ergeben. Das skulpturale Gebilde greift in den Raum, es wird Geäst, Gewächs oder Felsformation, Metapher einer Sehnsucht des Menschen, deren Preis die Verletzung, deren Triumph die Vermenschlichung ist. Darum auch die Beziehung dieser Figuren zu den mythischen Gestalten, in denen das Erlebnis von Sturz und Scheitern, Abbruch und jäher schmerzhafter Wendung aufbewahrt ist.

Nach dem „Opfer“ (1994), dem sich aufbäumenden, geschundenen Körper eines Gepeinigten, in Verzweiflung auf das Ich zurückweisend, hatte sich Förster erneut dem weiblichen Akt, dem Daphne-Thema in kleineren und mittleren Formaten zugewandt. Sie sind von großer handschriftlicher Frische und Erotik, von einer Freiheit gegenüber dem Körper, auf der Basis der „Großen Neeberger Figur“ in sich steigernden Asymmetrien, einer rindenähnlichen Epidermis, ganz dem Wachstum, dem Schöpferischen verpflichtet. Die geradezu von Intensität vibrierende „Große Daphne“ (1996) wurde Zeichen der Steigerung und Erfüllung des Wunsches nach Einheit von Mensch und Natur, wie sie nach 1967 durch das Erlebnis des Tänzerischen der Ölbäume geweckt wurde, die den menschlichen Körper assoziieren.

Gleicherweise ist die Zeichnung und Graphik bei Förster dem Wechsel, dem Fluktuieren zwischen Innen- und Außenwelt verschrieben, setzt Signale in der Problem- und Krisenhaftigkeit des künstlerischen Subjekts, in der Lebens- und Zeitempfindlichkeit des Künstlers, damit der von Förster bevorzugten Form des Tagebuchs vergleichbar. Das Erlebnis Labyrinth, seine Dauerhaftigkeit und Anfälligkeit, gewinnt auf vielen Blättern Gestalt; im Verfall des Steins sieht der Künstler Analogien zu organischen Verfallsprozessen. Die Zeichnungen der Akte und Liebespaare werden zum Gegengewicht des Labyrinth-Zyklus, deren erotische Seite (die Landschaft mit Zeugungsmerkmalen) wirkt auf sie ein. Werden, Sein, Vergehen werden zur Kunst-Formel, eine neue Form der Humanisierung findet statt. Der Künstler bekennt: „Ich zeichne immer auf des Messers Schneide: Gelingen – Versagen.“

Wieland Förster hat im vorigen Jahr den Kunstpreis des Landes Brandenburg erhalten, und jetzt am 28. Januar ist ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Potsdam verliehen worden. Im Dresdner Zwinger sind noch bis 7. März 58 Skulpturen ausgestellt, die Förster in einer Stiftung den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden überlassen hat.