13. Jahrgang | Nummer 3 | 15. Februar 2010

BEMERKUNGEN

Gut aufgestellt

Ich kann mich an diese seuchenartig umsichgreifende Redewendung einfach nicht gewöhnen. Ursprünglich bekam ich das am Rande mit bei irgendwelchen Fußballspielen von nationaler Bedeutsamkeit, was nicht dasselbe ist wie eine irgendwie sichtbare Bedeutung.

Da leuchtete aber immerhin noch ein, daß die kluge Auf- und Zusammenstellung von qualifizierten Spielern den niederen Instinkten Anlaß zu berechtigten Hoffnungen geben könnte. Man konnte also definitiv ausschließen, daß es dabei um gut aufgestellte Kegel gehe, die weggeputzt gehören.

Wenn jetzt eine Merkel verkündet, man wäre für die Afghanistankonferenz „gut aufgestellt“, dann entlarvt sie sich eigenmündig mit ihrem Verein als Spielerin, die vermutlich „jede Herausforderung annimmt“, und zwar nunmehr „gemeinsam“ und „abgestimmt“ mit der FDP ihr Profil poliert. Letzterer Spielerverein, der bislang habituell wissen ließ, er „setze auf … (wie beim Glücksspiel der Windhundrennen, wo man hinterher für den Ausgang auch nicht haftbar gemacht werden kann), sieht sich in der Spielermetaphorik getoppt durch die mit einer guten Aufstellung „punktende“ Mannschafts-Kapitänin. Daß sie sich in die Beschlußlage der Konferenz aber trotz des gemeinsamen Konzeptes erst einmischen will, nachdem alles gelaufen ist, läßt aber wiederum die Valenz des Kegelbrüderbilds zu: Hinterher werden sie wieder “gut aufgestellt” werden, nachdem die unter freudigem Johlen Umgehauenen so gut aufgestellt gewesen waren.

Und wo bleibt bei all diesen Randerscheinungen, an denen ich mich reibe, mein verantwortliches Wort über Afghanistans Demokratisierung und Stabilisierung und anderen Irrungen und Wirrungen? Es bleibt ganz einfach da, wo zu Recht all das andere Übrige auch rumliegt, das sich weltweit aufgeräumt gehörte, aber vorläufig seiner Demokratisierung und Stabilisierung noch entkommen ist.

Wenn ich noch einmal in Zusammenhängen mit Leichenproduktion zu hören kriege, man wäre bei der Besprechung ihrer Modalitäten „gut aufgestellt“, dann erschieße ich … meinen Fernseher.

Christian Klotz

Ein Nachtrag

Kopenhagener Gipfelpunkte

Wenn eine Sache scheint verfahren,
und weiß man weder ein noch aus,
dann macht man einen wunderbaren
und allerhöchsten Gipfel draus.

Der Gipfelort wird mit Bedacht
gesucht, denn es soll allen
Experten, die man mitgebracht,
der Aufenthalt gefallen.

Die hohen Gäste treffen ein,
aus bald zweihundert Ländern
was sein muß, das muß eben sein,
will man das Klima ändern.

Man trifft sich schon zum x-ten Mal,
erneuert die Beschwörung,
rasch zu entfliehn dem Jammertal
der CO-zwei Vermehrung.

Daß man gesund sich wieder sieht,
wird konstatiert mit Freude,
das Thema, das sie her bemüht,
ist äußerst dringlich heute.

Es schmilzt das Eis bei gutem Wein,
beim freundlichen Parlieren,
und rasch kann man der Meinung sein:
Da muß etwas passieren!

Das Dokument zum guten Schluß
von den Beratungstagen
besagt, daß was passieren muß!
Was soll man weiter sagen?

Nun noch ein Satz, der wichtig klingt
nebst vielen Großaufnahmen,
bevor man heimwärts fliegt beschwingt –
die Herrn und auch die Damen.

Der Gipfel hat erneut belegt,
man ist sich eins gewesen,
man hat nur sich, sonst nichts bewegt –
na ja, bis auf die Spesen.

Lotar Cibis

Südseeträume

Der Opernball Südseeträume wird angepriesen über den Häuptern zweier Dichter, sie schauen in weite Fernen, ihre Besucher zu ihnen auf. Schneematsch liegt auf dem Platz, ein Lastkraftwagen wurde angemietet, darauf die Forderung plakatiert: „Fair handeln!“Auf der Ladeklappe eine junge Frau, in gestelztem Deutsch klagt sie das Leid des Öffentlichen Dienstes – zum Abschluß fragt sie lebhaft: „Wo sind meine Luftballons?” Wieder in gestelzter Sprache eine Forderung, und sie fliegen. Ihre jungen Kollegen stehen etwas befremdet herum: Was machen wir hier? Schaulustige, hätten sie nicht das Gewerkschaftslogo auf den Mützen. Identifikation gleich null, nicht nur mit dem Vorgetragenen, auch mit ihrer Arbeit. Perspektive gleich null, also die Alten pflegen – sind genug da. Abzug der männlichen Jugend. Fahnen und Rasseln schwingende ältere Gewerkschafter bleiben zurück und die weibliche Jugend. Ein Altgedienter tritt auf, mit brauner Glatze, gut trainiert, roter Jacke und schwarzer Sonnenbrille, er trägt die Forderungen routiniert, aber nicht gelangweilt vor, betreibt eine allgemein verständliche Ökonomie, dann wird er persönlich zum frischen Fleisch, mit dem sich ja ein jeder Apparat gerne schmückt, um dynamisch und attraktiv zu bleiben: Die Jugend! Sie ist gekommen, also ganz förmlich: „Herzlichen Dank, Jugend!” Eine Dynamisierung der Sprache wäre hier von Nöten, Befremdung auf beiden Seiten, was wächst dort heran? Wo sind die Schnittstellen? Schreibt das Feuilleton nicht, daß sich die Alten mit den Jungen verbunden haben? Die bedrängten Feuilletonisten in der Mitte der Alterspyramide werden das so sehen, aber die junge Spitze am Boden und der alte Sockel in der Höh?Naja, dann kommen die Jungs, ziehen eher vorbei, die grünen Flaschen in der Linken hinterm Torso versteckt, die Gewerkschaft zur Rechten, auf den Redner sehend. Dieser trägt nach einer Rede aus eigener Erfahrung ein neues Stück des Herrn Geheimraths mit Freund zu seiner Rechten vor: „,Hier steh ich nun ich armer Tor! und bin so klug wie nie zuvor…’ Das wird vielleicht der ein oder andere hier kennen.” Vielleicht. Nach der Uraufführung erklärt er die Kundgebung für beendet. Die Presse stürmt herbei, die jungen Mädchen posieren mit den Accessoires der Gewerkschaft, die Gewerkschaft bietet Brötchen und Kaffee, die Jungs laufen in den Einkaufsstraßen umher und hauen sich die gewerkschaftlichen Plastikkeulen über die Schädel und träumen sich aus dem Schneematsch in die Südsee: „Vielleicht gibt’s mehr Geld.”

Paul, in Weimar

Punktum!

Ich opfere Ihnen meine „Punktums“, aber meine „ Unds“, wo sie massenhaft auftreten, müssen Sie mir lassen. Ich bilde mir nämlich ein, unter uns gesagt, ein Stilist zu sein, nicht einer von den unerträglichen Glattschreibern, die für alles nur einen Ton und eine Form haben, sondern ein wirklicher. Das heißt also: ein Schriftsteller, der den Dingen nicht seinen überkommenen Marlitt- oder Gartenlaubenstil aufzwingt, sondern umgekehrt einer, der immer wechselnd seinen Stil aus der Sache nimmt, die er behandelt. Und so kommt es denn, daß ich Sätze schreibe, die vierzehn Zeilen lang sind, und dann wieder andere, die noch lange nicht vierzehn Silben, oft nur vierzehn Buchstaben aufweisen. Und so ist es auch mit den „Unds“. Wollt´ ich alles auf den Undstil stellen, so müßt´ ich als gemeingefährlich eingesperrt werden. Ich schreibe aber Mit-Und-Novellen und Ohne-Und-Novellen, immer in Anbequemung und Rücksicht auf den Stoff. Je moderner, desto und-loser. Je schlichter, je mehr sancta simplicitas, desto mehr „und“. „Und“ ist biblisch-patriarchalisch und überall da, wo nach dieser Seite hin liegende Wirkungen erreicht werden sollen, gar nicht zu entbehren.

Theodor Fontane an den Redakteur der 1881 erschienenen Kriminalerzählung „Ellernklipp“

Medien-Mosaik

Wenn Sie wissen wollen, was Theodor Fontane vor ziemlich genau 136 Jahren – zwischen dem 22.2. und dem 24.3.1874 – gemacht hat, müssen Sie tief in biografische Werke steigen. Wenn es Ihnen aber genügt zu wissen, was er getan haben könnte, greifen Sie getrost zu dem Roman „Schneegestöber“. Der renommierte Krimi-Autor Frank Goyke läßt nach „Altweibersommer“ (2008) nun schon zum zweiten Mal die Wege des bekannten Berliner Schriftstellers mit denen des Kriminalkommissars Aschinger und des Schutzmanns Wittlich kreuzen. Fontane und seine Frau Emilie finden nämlich auf dem Heimweg von einer Gesellschaft einen Herrn, der auf dem Weg zu dieser Gesellschaft gewesen war und nun erstochen daliegt. Fontane geht der Fall im Kopf herum, und in den kommenden Tagen stellt er ganz zu Emilies Mißvergnügen eigene Nachforschungen an. Er entdeckt, daß auch politische Motive in den Fall hineinspielen, denn der Bruder des Toten ist ein fanatischer Anhänger des Ultramontanismus und hat sich in Bismarck einen starken Feind gemacht.

Goyke hat die seine Geschichte geschickt erfunden und mit viel Lokal- und Zeitkolorit nachgezeichnet. Er widerstand auch der Versuchung, in Fontanes Stil zu verfallen, benutzt aber viele Redewendungen – auch im damals modernen Französischen – die damals im Schwange waren. Wer sich in der kalten Jahreszeit intelligent unterhalten möchte, dem sei Fontane im „Schneegestöber“ empfohlen!

Frank Goyke, Schneegestöber, berlin.krimi.verlag im be.bra.verlag, 9,95 Euro

*

Während in Großbritannien die 92jährige Sängerin Vera Lynn mit ihren über 60 Jahre alten Aufnahmen vor kurzem die Charts anführte, war gleiches Jürgen Walter nicht vergönnt, als er vor anderthalb Jahren alle seine Amiga-LPs in einer Kassette neu herausbrachte. Dabei hätte es der einstige Publikumsliebling verdient. Die Musik, die Jürgen Walter (der als Jürgen Pippig mit dem Oktoberklub seine Laufbahn begann) machte, war immer schwer zwischen Schlager und Chanson einzuordnen. Er war vom Ausdruck her vielleicht der französischste Sänger der DDR, populär in der Musik (viele Melodien schrieb Arndt Bause) und anspruchsvoll in den Texten, von denen die Mehrzahl von Gisela Steineckert stammt. Die Kassette mit 5 CDs bietet dazu Ausgrabungen aus Jürgen Walters Frühzeit und zeigt mit einigen neuen Aufnahmen, daß er nichts von seiner Ausdruckskraft verloren hat. Einige der alten Lieder lassen den Hörer sentimental werden, aber „Schallali, schallala – es tut nicht mehr weh!“

Jürgen Walter, Carivari, 5 CD-Box, 22,90 Euro

bebe

Staatsbürgerkunde

1. Der Staat, den wir kennengelernt haben, schützt Eigentum und Person. Sagt Er auch selber, wenn Er zum Angeben aufgelegt ist. Und im Zweifelsfalle zumeist genau in dieser Reihenfolge.

2. Mit Person ist nicht etwa gemeint, daß Er Ungemach von dir und mir fernhält, wie der umlaufende Irrglaube wähnt. Im Gegenteil: Er ist der juristisch einwandfrei abgesicherte Urheber jeder Menge Mißhelligkeiten bis hin zu deiner Verkrüppelung, Verstümmelung, Verseuchung, Vergiftung.

3. Person bedeutet nämlich nicht das, was mit dir in deiner Haut herumläuft und sich was Schönes denkt, sondern deine Verfaßtheit durch die ihrerseits sakrosankte gesetzgebende Gewalt, die ganz schöne Ansprüche an dich anmeldet, wenn ihr danach ist.

4. Bin mal gespannt, wann der erste Politiker die Frage ventiliert, warum eigentlich diese eh bloß herumhängenden Millionen Voll-Assis der Hartz IV-ler sich nicht beim Ausräumen des atommüllverseuchten Salzstocks von Asse nützlich machen sollten.

5. Reality-check! Zu blöd, daß dadurch dem Geschäft des Eigentums Eintrag getan würde.

Also zurück auf 1.

Ck.