von Kai Agthe
Man kann von Glück sagen, dass diese ursprünglich im Rahmen der Sendung SWR 2 AULA gesendeten Essays auch als Buch vorliegen. Denn die sieben Beiträge versuchen Antworten auf die Herausforderungen des Bildungswesens im „Kommunikationszeitalter“ und in der „Wissenschaftsgesellschaft“ zu geben. Im Vordergrund der Betrachtung stehen die neuen Medien, vor allem das Internet, die den schulischen Unterricht und die universitäre Lehre grundlegend verändert haben. Es geht aber nicht um die Frage, ob das Internet Fluch oder Segen ist, sondern darum, so Ralf Caspary im Vorwort, „den Mittelweg aufzuzeigen, der zwischen Angst und überzogener Euphorie liegt“. Gesucht wird der Weg zum Bildungswesen von morgen, das die medialen Möglichkeiten mit bewährten Unterrichtsinhalten verknüpfen muss. Eine Diskussion, die erst am Anfang steht und auch für das Fach Deutsch wichtig ist.
So konstatiert der Schriftsteller Gert Heidenreich unter anderem, dass es „offenbar kein Ziel der Pädagogik mehr ist“, den Schülern dabei zu helfen, „den eigenen Ort in der Welt zu finden und zu verstehen“, was einmal auch die Aufgabe des Deutschunterrichts war. Auf diesem Gebiet sei „eine rudimentäre Literaturwissenschaft an die Stelle von Literaturerfahrung“ getreten. Bei allen Vorzügen, die das Internet biete, kann mittels dieser „gigantischen Informationsbank“ eines nicht gelernt werden: Der Umgang mit den eigentlich bedeutenden Vorfällen des Lebens – Liebe und Trauer, Abschied und Verlust, Mut und Todesangst. Diese Verstandes-, die auch Herzensbildung ist, kann für den Autor allein die Literatur leisten.
Der Kulturwissenschaftler Peter J. Brenner legt in seinem Beitrag ausführlich dar, warum das Internet nicht einen kanonischen Wissenspool bildet, sondern kanonfeindlich ist. Für Ulrich Herrmann wiederum zerstört der Computer samt Vernetzung nicht die Bildung, er macht sie aber auch nicht überflüssig und ersetzt sie nicht. Denn Bildung kommt, so der emeritierte Professor für Pädagogik, „ja nicht durch Klicken und Chatten, Surfen und Downloaden zustande, sondern durch Gespräche und Begegnungen, Geschichte und Geschichten, durch die Ordnungen unserer Vorstellungen in Begriffen und Urteilen“.
Der Schriftsteller Burkhard Spinnen knüpft an diese Überlegungen indirekt an, wenn er in seinem Essay vehement gegen den an unseren Schulen und Universitäten grassierenden Powerpoint-Wahnsinn polemisiert. Seiner Meinung nach könne die Wissensvermittlung nur gewinnen, wenn man auf multimediale Präsentationen wie Powerpoint verzichten und wieder stärker auf das gesprochene Wort setzen würde. Denn beim Powerpointen verstecke sich der Referent hinter dem Rechner, und die Aufmerksamkeit der Zuhörer reduziere sich auf das Betrachten von Folien, wo, wie langweilig, nur geschrieben stehe, was vorgetragen werde. Powerpoint-Präsentationen zu folgen sei, so Burkhard Spinnen, vergeudete Lebenszeit.
Jürgen Hörisch, Medienwissenschaftler an der Universität Mannheim, sieht in seinem Beitrag die Freiheit der universitären Lehre und Forschung in Gefahr. „Denn die Universität ist nach dem Bologna-Prozess eher stärker reglementiert als das Gymnasium.“ Sie sei keine Alma Mater mehr, die alle Wissbegierigen nähre, sondern eine Ausgabestelle für Credit Points. In gleicher Weise habe die angebliche Harmonisierung der Bildungsstandards in Europa aus Professoren, die einmal Gelehrte, Forscher und Lehrer waren, blasse Wissenschaftsmanager gemacht, die zahllose „Funktionsstellen“ zu bekleiden und Drittmittel einzuwerben haben.
Dieses Buch mögen nicht nur unsere Bildungspolitiker, sondern auch alle Lehrer diskutieren!
Wissen 2.0 für die Bildung. Wie Wikipedia und Co. unsere Kultur verändern, hrsg. von Ralf Caspary, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2011, 121 Seiten, 17,90 Euro
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