von Jörn Schütrumpf
Im Gästebuch der Website des Blättchens kritisiert Thomas Haase den von mir verwendeten Begriff der »Parallelkulturen« (Blättchen, H. 4/2009) als »bourgeoise(s) Pseudoargument«, das »höchstens … einen Lacher wert« sei, weil es in Deutschland solche Parallelkulturen gar nicht gäbe. Weiter fragt er: »Haben Sie sich je gefragt, warum Menschen auf dem Lande so häufig konservativ sind? Da gibt es definitionsgemäß nur eine (sich gegenseitig belästigende) Gesellschaft.« Am Ende zitiert er als Autorität Klaus Bade: »Wenn das ebenso simple wie gefährliche Gerede über Parallelgesellschaften so weitergeht, wird sich die Situation verschärfen.«
Auf die kulturelle Dimension einer solchen Argumentation möchte ich nicht eingehen. Ich werde weder mit Etiketten wie »bourgeois« hantieren, noch mich auf Autoritäten berufen, noch versuchen, den Standpunkt des anderen lächerlich zu machen – und statt dessen zur Sache selbst reden.
Ich glaube, es liegt ein Mißverständnis vor. Ich selbst lebe ab und an auf dem Lande und keime die Unannehmlichkeiten der sozialen Kontrolle, der man dort unterworfen sein kann – wenngleich keineswegs muß. Das, was wir jedoch auf dem Lande haben, ist keine eigene Gesellschaft, sondern ein – zugegeben, mitunter nicht ganz angenehmes – Milieu der deutschen Gesellschaft.
Ich habe es immer als Glück empfinden, in einer Gesellschaft mit vielen Milieus zu leben und mich zwischen vielen dieser Milieus bewegen zu dürfen. Und das ist der Springpunkt: Milieus haben zwar ihre eigenen Spielregeln, sind aber nicht hermetisch gegen die Gesellschaft, also gegenüber anderen Milieus abgeschlossen. Nur wo dies geschieht, entstehen Parallelkulturen – deren Existenz man zwar leugnen kann, aber sie trotzdem nicht aus der Welt bekommt.
Mit der Vertreibung der Juden aus West- und Mitteleuropa nach Osteuropa Ende des 15., Anfang des 16. Jahrhunderts wurden sie endgültig in eine Parallelkultur hineingezwungen, die sich mit der Assimilation im 19. Jahrhundert zwar aufzulösen begann, was aber nichts an der Tatsache änderte, daß sich in den europäischen Gesellschaften ein barbarischer Antisemitismus erhielt. Das Ergebnis ist bekannt.
Was sich in Westdeutschland seit Ende der fünfziger Jahre abgespielt hat, ist selbst mit der US-amerikanischen Gesellschaft nicht vergleichbar: Zuwanderer wurden hier als Arbeitsvieh behandelt, eine Gleichberechtigung – die seit der Französischen Revolution damit beginnt, daß jemand die Staatsbürgerschaft des Landes erhält, in dem er geboren wird – wurde stets verweigert. Soziale Aufstiege und damit ein Wechsel in andere Milieus sind bis heute die Ausnahme. Auch wenn Ausländerfeindlichkeit im Moment nicht das Hauptproblem dieses Gesellschaft ist, bilden die Zuwanderer aus der Dritten Welt und aus der Türkei nicht nur Roland Kochs »Kampfreserve«.
Was geschieht, wenn die sozialen Folgen der ausgebrochenen Krise in diesem Lande Mehrheiten treffen? Niemand soll glauben, daß die in Parallelkulturen abgedrängten Zuwanderer dann nicht als Sündenböcke herhalten müssen. Und dafür trägt die Politik dieses Landes die Verantwortung.
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