Das Problem der Frau ist das wunderbarste und zugleich das verwirrendste Problem der Welt“, schrieb André Breton, der „Hohepriester“ der surrealistischen Bewegung. Was waren die Frauen der Surrealisten, Simone Breton, Gala Dali oder Elsa Triolet, die Lebensgefährtin von Aragon, um allein die wohl bekanntesten zu nennen? Nur deren Freundinnen, Geliebte, Ehefrauen?
Die Surrealisten idealisierten die Frau als erotische Muse, changierend zwischen Kind-Frau und verführerischer Fee, als Hüterin der Geheimnisse des Unbewussten, vor allem aber als Quelle männlicher Inspiration. Ist es hier wirklich um die Selbstbestimmung der Frau gegangen? Ihren weiblichen Partnerinnen eröffneten die Surrealisten zwar den Zugang zu einer Welt, in der Rebellion anstelle von Tugend galt und Phantasie als Voraussetzung zu einem befreiten Leben, und doch bildeten sie nur die Peripherie der surrealistischen Bewegung. Ihre freie Entfaltung scheiterte oft an Eigensinn und Ich-Bezogenheit der Männer, wurde dann überhaupt erst nach der Trennung von ihrem surrealistischen „Mentor“ möglich.
Die ungeheure Ich-Bezogenheit der Surrealisten ließ es gar nicht zu, die Frau als schreibende oder malende Partnerin anzuerkennen. Sie galten dann bald als Konkurrentinnen und mussten eigene Wege gehen. Als das Talent der 14-jährigen Gisèle Prassinos 1933 entdeckt wurde und sie ihre von der écriture automatique geprägten Gedichte vor den Surrealisten las, wurde sie als femme-enfant, als Kind-Frau, behandelt: Man diskutierte nicht mit ihr, sondern allenfalls über sie. Dann blieb sie wieder sich selbst überlassen.
Die Schriftstellerin Unda Hörner, die bereits die russisch-französische Autorin Elsa Triolet porträtierte sowie ein Doppelporträt „Elsa Triolet und Louis Aragon. Die Liebenden des Jahrhunderts“ (1998), aber auch den Künstlerroman „Gala Dali. Am Horizont der Meere“ (2020) verfasste, geht in ihren nun vorliegenden biographischen Porträts den verschlungenen Wegen nach von Simone Breton, von Gala sowie der Schriftstellerin Elsa Triolet, die an der Seite ihres Ehemannes Louis Aragon eigene literarische Werke schuf. Diese Frauen lassen sich nicht einfach in die Klischee-Vorstellung der Surrealisten zwischen Kindfrau oder dämonischer Hohepriesterin einpassen, sondern schaffen sich mit Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen ihren Platz in einer von Männern beherrschten Kunstszene.
Simone Breton wurde 1897 in einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Peru geboren, die 1899 nach Paris zurückkehrte. 1920 lernte sie im Jardin du Luxembourg André Breton kennen, den zukünftigen Wortführer der surrealistischen Gruppe. Das Paar heiratete 1921, und Simone spielte eine aktive Rolle im Surrealismus. Sie steuerte einen Text zur ersten Ausgabe der Zeitschrift La Révolution Surréaliste (1924) bei und nahm regelmäßig an den Aktivitäten des Bureau central de recherches surréalistes teil. Die Briefe an ihre Cousine Denise Lévi erzählen ihre Geschichte: Mit Breton, der ihr seine Gedichtsammlung „Clair de terre“ widmete, entwickelte sie schon eine Leidenschaft für das Sammeln und Vermitteln von Kunst, die dann auch nach der 1931 ausgesprochenen Scheidung – schon 1928 hatten sie sich getrennt – ihre eigentliche Bedeutung ausmachen sollte. Denn in den späten 1920er Jahren traten Risse in ihrer Ehe auf, nachdem André eine Affäre mit der Fotografin Suzanne Muzard hatte, die er in seinem Roman „Nadja“ von 1928 öffentlich machte, während Simone ihre eigene Beziehung mit dem surrealistischen Schriftsteller Max Morise fortsetzte. Ihr Zusammenleben mit mehreren Liebhabern hatte wenig mit dem Liebeskonzept der Surrealisten gemein. Nach dem Zweiten Weltkrieg eröffnete sie zwei Galerien in Paris, sie kümmerte sich nicht nur um die erste Generation der Surrealisten, sondern trat auch für die jüngeren Künstler ein und ebnete deren Weg. Und dieses zweite Kapitel ihrer Berufung hätte man sich doch eindringlicher von der Verfasserin gewünscht.
Helena Dmitriewna Diakonowa – Paul Eluard hat ihr wohl den Namen Gala gegeben, unter dem sie dann als Ikone des Surrealismus bekannt wurde – lernte 1912 im Sanatorium von Cladavel, nahe Davos, den ebenfalls 17-jährigen Paul Claudel kennen. Beide hielten sich hier wegen einer Tuberkulose-Erkrankung zur Heilkur auf. 1917 heirateten sie, lehnten aber die konventionelle bürgerliche Ehe ab, Untreue bestimmte ihre Beziehung. 1932 ließen sie sich scheiden, doch Eluards Leidenschaft nahm deshalb nicht ab, obwohl sie inzwischen ihr Glück bei Dali gefunden und auch Eluard 1934 wieder geheiratet hatte. Gala blieb für ihn die unersetzliche Inspiratorin; in seinen Briefen an sie wechselt schwärmerischer Optimismus mit Anfällen von Schwermut: „Ich habe immer mehr eine mystische und verzweifelte Vorstellung von Dir“. Und Gala hob bis zu ihrem Lebensende – sie starb drei Jahrzehnte nach Eluards Tod – alle Briefschaften ihres Ex-Ehemannes auf.
Gala war umgeben von Männern wie Dali, Eluard, auch Max Ernst und Breton, die sich alle bewundernd über sie äußerten. Ihre Liebesverhältnisse gingen in enge Freundschaften über. Noch mit Eluard verheiratet, lebte sie in einer offenen Dreiecksbeziehung mit Max Ernst, aber auch Eluard hatte ja seine Affären. Doch 1929 lernte sie den jungen exzentrischen Maler Salvador Dali in Cadaques kennen, beide verliebten sich und heirateten 1934. Während Eluard für seine Dichtungen stets die Einsamkeit brauchte, musste Gala ständig um Dali sein: „Gala wurde das Salz meines Lebens, das Härtebad meiner Persönlichkeit, mein Leuchtfeuer, meine Doppelgängerin – ICH.“ Beide inszenierten sich und Dalis Werke auf spektakuläre Weise. Mit unerschütterlichem Glauben an sein Talent war sie die treibende Kraft hinter dem unaufhörlich arbeitenden Surrealisten. Er vergötterte sie und hat sie in zahlreichen Werken verewigt. 1940 emigrierten beide nach New York und sammelten hier ein großes Vermögen an. Ihr Zusammenspiel von künstlerischer Inspiration und geschicktem Management machte sie zu einem legendären Paar. Galas Tod 1982 stürzte Dali in eine tiefe Depression. Er selbst starb 1989 und hinterließ ein künstlerisches Erbe, das von Galas Einfluss geprägt ist.
Elsa Triolet, in einem aufgeklärten, kosmopolitischen Klima in Moskau aufgewachsen, lernte 1912 Majakowski kennen, den skandalumwitterten Futuristen mit der gelben Bluse, sie hat ihn später als eine Vermittlerin russischer Kultur in Frankreich durch Übersetzungen und eine Biografie bekannt gemacht. Die Heirat eines französischen Offiziers 1919 bedeutete für sie nur eine Möglichkeit zur Flucht aus der jungen Sowjetunion. Zwischen 1925 und 1928 hielt sie sich in Moskau und Berlin auf – und Maxim Gorki ermutigte sie zu schreiben. 1928 begegnete sie in Paris im Montparnasse-Café „La Coupole“ dem Dichter Louis Aragon, mit dem sie 42 Jahre – bis zu ihrem Tod 1970 – in einer großen ausschließlichen Liebe und Arbeitsgemeinschaft leben sollte. Beide waren Kommunisten und kämpften in der Résistance gegen die Nazis. 1945 hatte sie als erste Frau den Prix Goncourt, die höchste literarische Auszeichnung in Frankreich, erhalten. Wenn man diesen von Unda Hörner so anschaulich vermittelten Biographien etwas hinzufügen möchte, dann wäre es eine eindringlichere Beschreibung des Netzwerkes der surrealistischen Szene und der exemplarischen Leistungen der surrealistischen Frauen.
Nicht erst eine Generation später hatte sich das Frauenbild der Surrealisten geändert. Leonora Carrington fühlte sich von Max Ernsts 1924 entstandenem „Zwei Kinder werden von einer Nachtigall bedroht“ angesprochen, verliebte sich in ihn und beide gingen 1937 nach Paris, aber seine Muse war sie nie geworden. Dazu hatte sie überhaupt keine Zeit, denn sie malte und schrieb unaufhörlich und bekannte selbst, zum Surrealismus habe sie nicht durch Max Ernst gefunden, sondern den habe sie sich selbst erarbeitet. Sie schreibe nicht aus dem Unterbewusstsein oder aus Traumzuständen heraus, sondern die Symbolik ihrer Figurationen verweise auf mythologische Hintergründe, die sie in neuartige Sinnzusammenhänge einfügte. Dorothea Tanning wiederum, die Max Ernst dann 1941 in New York kennenlernte, wohin sich die surrealistische Szene von Paris verlagert hatte, lernte noch die patriarchalischen Strukturen in ihrer Ehe mit Ernst kennen. In ihrer Bewunderung für das Werk von Ernst hat sie wohl dessen Einfluss auf ihre eigene Arbeit überschätzt. Sie war schon vorher eine anerkannte Künstlerin. Wäre das nicht ein neues Thema in der so verdienstvollen Aufklärungsarbeit von Unda Hörner?
Gerade durch ihr Buch haben die Bilder der Frauen der Surrealisten neue Glanzlichter gewonnen. Wie in einem Lesebuch liest man ihre Geschichten, spannend, verwundert, kopfschüttelnd, nachdenklich – und dann eben auch wieder respektvoll vor diesen ungewöhnlichen Lebenswegen.
Unda Hörner: Die realen Frauen der Surrealisten. Verlag Ebersbach & Simon, Berlin/Köln 2024. 144 Seiten, 20,00 Euro.
Schlagwörter: Breton, Dali, Eluard, Klaus Hammer, Surrealisten, Unda Hörner