Ein Leben im Schatten des Vaters

von Mathias Iven

Am 1. Januar 1949 notiert Klaus Mann in seinem Tagebuch: „I am not going to continue these notes. I do not wish to survive this year.“ („Ich werde diese Notizen nicht weiterführen. Ich wünsche nicht, dieses Jahr zu überleben.“) Seit Anfang Dezember 1948 hält er sich bei seinen Eltern im kalifornischen Pacific Palisades auf. Ende März reist er von dort über Amsterdam, Paris und Marseille nach Cannes, wo er am 4. April 1949 eintrifft. Seit zwei Jahrzehnten ist Klaus Mann drogenabhängig. Anfang Mai begibt er sich nach Nizza, wo er sich in der Clinique St. Luc zum wiederholten Mal einer Entziehungskur unterziehen will. Nach nur zehn Tagen verlässt er die Klinik und kehrt nach Cannes zurück – wenig später wird er rückfällig. Am 21. Mai 1949 entdeckt man ihn gegen Mittag ohnmächtig in seinem Hotelzimmer. Er wird in die Clinique Lutétia transportiert, wo er nach erfolglosen Wiederbelebungsversuchen um sechs Uhr abends verstirbt.

Die Lebensgeschichte von Klaus Mann berührt und fasziniert zugleich. Nach Biographien zu Melitta von Stauffenberg (2012) sowie zu Heinrich und Götz George (2020) hat Thomas Medicus jetzt eine umfangreiche, sich vorrangig an der überlieferten Korrespondenz und den Tagbüchern orientierende Lebensbeschreibung dieses Mitglieds der „amazing family“ vorgelegt.

Der älteste, am 18. November 1906 in München geborene Sohn von Thomas und Katia Mann wuchs in ebenso begüterten wie privilegierten Verhältnissen auf. Schon früh las er alles, was ihm unter die Finger kam und füllte ungezählte Schulhefte mit selbst verfassten Gedichten, Dramen und Prosaskizzen. Sein geradezu exzessives Schreiben und Lesen eröffnete ihm bereits als Kind und Jugendlichen die Möglichkeit, den Wirren des Alltags zu entfliehen und sich in eine fiktive Wirklichkeit zu träumen.

Als Achtzehnjähriger wagte Klaus Mann den Schritt in die literarische Öffentlichkeit. Vermittelt durch seinen Onkel Klaus Pringsheim veröffentlichte Die Weltbühne im Herbst 1924 zwei kurze Texte, die sich mit den Dichtungen von Arthur Rimbaud beziehungsweise Georg Trakl befassten. Da Siegfried Jacobsohn die vom Onkel vorgetragene Bitte, die Anonymität des Autors zu wahren, schlichtweg ignorierte, schenkten Leser und Kritiker den Zeilen ein besonderes Augenmerk. Rückblickend meinte Klaus Mann, er habe sich damals öffentlich blamiert als „der naseweise Sohn eines berühmten Vaters, der sich nicht entblödet, den Vorteil seiner Geburt geschäftstüchtig und reklamesüchtig auszunutzen“.

Die Unterstützung seines Onkels nahm Klaus Mann dennoch weiter in Anspruch. So war Klaus Pringsheim seinem Neffen nicht nur bei dessen Publikationen behilflich, sondern verhalf ihm auch zur ersten beruflichen Stellung. Die Berliner Tageszeitung Das 12 Uhr Blatt stellte ihn als Theaterkritiker ein. Doch lange hielt er es dort nicht aus. Nach nur sechs Monaten – immerhin schrieb er zwischen September 1924 und März 1925 dreißig Kritiken – quittierte er den Dienst. Von nun ab sollte das Unstete sein Leben bestimmen. In seinem großen Erinnerungsbuch Der Wendepunkt wird es später dazu heißen: „Meine Unrast – oder meine Angst vor Wiederholung, Monotonie und Überdruß – ließ mich niemals an einem Ort, bei einem Freundeskreis, einer Beschäftigung verweilen. Es trieb mich fort. Immer trieb es mich zum Aufbruch, zum neuen Abenteuer. Ich gefährdete (oder rettete) menschliche Beziehungen, riskierte berufliche Chancen, unterbrach Studien und Amüsements – nur aus dem nervös-irrationalen Bedürfnis nach Wechsel und Bewegung.“

Das Jahr 1925 war geprägt von einer schwindelerregenden Publikationstätigkeit. Neben diversen Zeitungsartikeln veröffentlichte Klaus Mann seine ersten drei Bücher. Da war zum einen der Erzählungsband Vor dem Leben, den er seiner Schwester Erika widmete. Das Echo auf das Debüt war enorm, gab es doch kaum eine Tageszeitung, die das Buch nicht rezensierte. Zum anderen legte er mit Anja und Esther sein erstes und, wie sich zeigen sollte, erfolgreichstes Theaterstück vor. Die Uraufführung fand am 20. Oktober 1925 an den Münchener Kammerspielen statt und sorgte für ein großes öffentliches Aufsehen. Das Stück wurde in den darauffolgenden Monaten nicht nur auf zahlreichen deutschen Bühnen gespielt, auch im europäischen Ausland nahm man es begeistert auf. Und schließlich entstand in diesem Jahr Klaus Manns erster, thematisch an Anja und Esther anschließender Roman Der fromme Tanz, Untertitel „Ein Abenteuerbuch der Jugend“. Das Buch war und ist insofern bemerkenswert, da es nicht allein der erste deutschsprachige Homosexuellen-Roman war, sein Verfasser vollzog damit auch in aller Öffentlichkeit sein Coming Out. Für Medicus stellt der Roman des damals Neunzehnjährigen eine Art „frühes Glaubensbekenntnis“ dar; und weiter schreibt er dazu: „Für das Verständnis seines weiteren Lebens wie literarischen Werkes ist dieses Erstlingswerk deshalb von besonderer Bedeutung. Biographie und Literatur stehen hier, wie in allen folgenden Romanen, in engem Austausch miteinander.“

Neben diesen beachtlichen Erfolgen, wurde das Jahr 1925 aber auch zum Auftakt einer lebenslangen, nie offen ausgetragenen Kontroverse zwischen Vater und Sohn. Auslöser dieses familiären Missklanges war der Vorabdruck von Thomas Manns Erzählung „Unordnung und frühes Leid“ in der Juni-Ausgabe der Neuen Rundschau. In einem Brief an seine Schwester Erika beklagte er sich über „des Zauberers Novellenverbrechen“; nicht nur der Inhalt des Prosastückes ärgerte ihn – in der Figur des Bert hatte ihn der Vater nicht gerade schmeichelhaft dargestellt –, Klaus Mann fürchtete vor allem, dass die väterliche Neuerscheinung seinem eigenen Debüt die Aufmerksamkeit entziehen würde. Der damit beginnende Konkurrenzkampf wurde seitens des Vaters nie ernstgenommen. „Sohn sein wollen“, so bringt es Medicus auf den Punkt, „und auf den großen Namen des Vaters vertrauen oder lieber ganz auf sich selbst vertrauen, das war für Klaus Mann ein lebenslanger Konflikt.“

Wie für viele andere, so begann auch für Klaus Mann nach der Machtergreifung der Nazis die Zeit des Exils. Am 14. März 1933 verließ er München, deutschen Boden sollte er erst wieder zwölf Jahre später und noch dazu in amerikanischer Uniform betreten. Trotz der widrigen Umstände versiegte seine Schaffenskraft nicht. Zwischen März 1933 und September 1938 entstanden mehr als einhundertsiebzig Artikel, hinzu kamen vier Romane, neben Flucht in den Norden und dem Tschaikowski-Roman Symphonie Pathétique waren das Mephisto und Manns letzter, 1939 im Amsterdamer Querido Verlag erschienener „Roman unter Emigranten“ mit dem Titel Der Vulkan. Zudem schrieb er Texte für das von Erika auch im Exil weiterhin betriebene Kabarett Die Pfeffermühle.

Ende 1945 schloss Klaus Mann in Rom seine letzte, zu Lebzeiten veröffentlichte Arbeit ab. Dabei handelte es sich um das bis dato nicht aufgeführte Drama Der siebente Engel, ein auf einer geheimnisvollen Insel angesiedeltes Stück über das mögliche Ende der Welt. Bis kurz vor seinem Tod war er dann noch mit einer Arbeit beschäftigt, die sein Amsterdamer Verleger Fritz Landshoff angeregt hatte. Bereits 1942 war in einem New Yorker Verlag Klaus Manns Autobiographie The Turning Point. Thirty-Five Years in this Century verlegt worden. Landshoff schlug ihm vor, das Buch für eine deutsche Ausgabe zu übersetzen. Doch Klaus Mann übersetzte nicht nur, er erweiterte und ergänzte den Text beträchtlich. Die Veröffentlichung sollte er nicht mehr erleben. Erst 1952 erschien das Buch unter dem Titel Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht bei S. Fischer in Frankfurt am Main und 2006 in einer erweiterten Ausgabe im Rowohlt Verlag.

Zurückblickend auf dieses ereignisreiche und wechselvolle Leben sei noch einmal Klaus Medicus zitiert, der am Ende des Prologs schreibt: „Es gibt Menschen, die ein Zeitalter deshalb verkörpern, weil sie dessen Höhen und Tiefen, Irrungen und Wirrungen, vor allem Gefährdungen bis in die letzte Faser durchleben wie durchleiden. Klaus Mann ist solch eine Symbolfigur.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Thomas Medicus: Klaus Mann. Ein Leben, Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2024, 543 Seiten, 28,00 Euro.