Er war Werbegestalter, Illustrator, Maler, Bildhauer, Experimentalfilmer, Foto-, Installations- und Konzeptkünstler – als Pop-Art-Ikone ist er bezeichnet worden. Was Andy Warhol (1928-1987) der Massenkultur abgewann, war die Wiederholung. „Ich möchte eine Maschine sein“, sagte er. Er liebte die eigentümlich gesichtslose Gleichheit der Massenprodukte: eine unendliche Reihe von identischen Gegenständen – Suppendosen, Coca-Flaschen, Dollarnoten, Mona Lisas oder immer wieder der gleiche Kopf von Marilyn Monroe als Siebdruck. Seine „Wiederholungen“ sollen aufzeigen, wie das Auge dennoch winzige Unterschiede entdecken kann und wie diese Unterschiede sich zu einer ständig veränderten Wirklichkeit summieren. Was ihn aber zum „subversiven“ Künstler machte, das war seine Methode. Er drehte das Verfahren, auf dem eine erfolgreiche Werbung beruhte, einfach um: Er wurde gerade dadurch berühmt, dass er nichts als Banalität und Gleichheit propagierte. Er wollte drucken, wiederholen und immer wieder Neuheiten produzieren. Er zielte auf eine allumfassende Präsentation, produzierte und hängte seine Werke in Serien, zelebrierte spektakuläre Eröffnungen, selbst der Katalog wurde ihm zum eigenschöpferischen Werk.
Mit über 280 Werken, Gemälden, Zeichnungen, Drucken, Fotografien und Filmen aus allen Schaffensperioden Warhols wird in der Berliner Neuen Nationalgalerie einem Thema nachgespürt, das bisher in Ausstellungen nur am Rande erwähnt wurde – das Thema Diversity und Queerness. Damit wird dem „verborgenen“ Warhol, dem „schwulen, queeren, fluiden, trans Warhol“ besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Man muss wissen, dass die Homosexualität zwar in New York schon 1980, doch im ganzen Land erst 2003 entkriminalisiert wurde. Warhols homoerotische Akte blieben weitgehend von Ausstellungen ausgeschlossen. Auch in der Warhol-Retrospektive 2001 in der Neuen Nationalgalerie in Berlin waren sie noch nicht gezeigt worden. Warhols Homosexualität wurde bisher weitgehend kaschiert, wie man auch der Homophobie bei den amerikanischen Abstrakten Expressionisten oder der Queerness von Pop-Artisten kaum Aufmerksamkeit schenkte.
„40 Jahre nach seinem Tod kann man immer noch Warhol neu entdecken“, sagt Klaus Biesenbach, Direktor der Neuen Nationalgalerie, der zusammen mit Lisa Botti diese Ausstellung kuratiert. Der Titel „Andy Warhol. Velvet Rage und Beauty“ ist eine Hommage an das bahnbrechende Buch von Alan Downs aus dem Jahr 2005 über das Leben eines homosexuellen Künstlers in einer vorwiegend heterosexuellen Welt. Warhol lässt uns mit seinen Zeichnungen, Drucken, Gemälden, Fotos und Filmen an seinem körperlichen Erleben teilhaben. In seinen Pittsburgher Jahren war es beängstigend und gefährlich, schwul zu sein. Und Warhol war schon damals auffällig mit seinem pinken Outfit und dem silbernen Toupet. Immer schon wollte er eine Avantgarde-Position einnehmen und seine Kunst nahm darauf Bezug. Doch einen großen Teil seines künstlerischen Schaffens musste er eben im Verborgenen ausüben. Als er nach New York wechselte, existierte dort bereits eine schwule Kulturszene – und er hatte nun einen anderen Wirkungsgrund. Mit seinen homoerotischen Themen, die eigentlich illegal waren, forderte er öffentlich die gesellschaftlich sanktionierten Vorstellungen von Sexualität heraus. Schon 1952 feierte er mit einer Ausstellung seiner Zeichnungen nach Texten des Dichters Truman Capote die schwule Literatur-Ikone. Er arbeitete mit vielen weiteren Schriftstellern zusammen, deren Dichtung er mit seiner Kunst verband. Warhols gewagte Bildsprache war immer noch gegenständlich und erzählerisch, verwies aber in subtiler Form auf schwule Inhalte. Erst der Erfolg der Pop-Art und das allmähliche Aufkommen einer vitalen Gegenkultur in den 1960er Jahren erlaubten Warhol, sich mit homoerotischen Filmen wie „Sleep“ und „Blow Job“ in die Öffentlichkeit zu wagen.
Die Berliner Ausstellung präsentiert Warhols „obszön“ anmutende Bilderserie „Torsos“ (1977), farbsatte Siebdrucke, die er nach Fotos schuf und über die er dann ein schwarzes Bild druckte, und die in einem skizzenhaften Stil gehaltenen „Sex Parts“ (1978), die noch expliziter in der Erforschung der männlichen Form waren. Man könnte sie als abstoßend empfinden, von „verführerischer Schönheit“ dürfte hier weniger die Rede sein, wohl eher von exzessiver Leidenschaft, eben „ein Leben als Kunst“, wie der Titel der ersten umfassenden Warhol-Biografie des Kunstkritikers Blake Gopnik lautet. „Ich folge seinem Prozess der Formfindung, um sein Ideal von Schönheit und das, was er begehrte, abzubilden“, sagt Klaus Biesenbach. „Warhols Fetisch war Schönheit – extreme Schönheit.“ Dem wird man nur in Teilen des Werkes zustimmen können.
Die zwischen 1964 und 1966 entstandenen „Screen Tests“ sind Porträtfilme, Nahaufnahmen der Gesichter Hunderter mehr oder weniger prominenter Persönlichkeiten, darunter des Musikers John Cale, des Malers Salvador Dali, der Künstlerinnen Niki de Saint Phalle und Yoko Ono. Warhol hatte hier eine neue Kunstform des Experimentalfilms praktiziert. „Bewegtbilder, die den Stillstand üben“, so sind sie auch bezeichnet worden.
Diese „Wiederholungen“ im Werk Warhols finden wir auch in seinen Aktbildern. Bei denen von Mick Jagger und Jean-Michel Basquiat wird der Körper in seine Einzelteile aus Händen, Armen, Torso, Brust zerlegt. Und diese Vervielfältigung finden wir auch im Bild von Elvis Presley. Warhol hat Polaroids für die „Torsos“ verwendet. Das Prinzip der Vervielfältigung entspricht dem, was Werbung und Konsumkultur antreibt. Da gibt es auch noch den Stiefel von Elvis, auch der ist erotisch wie der von Mae West, aber die war eine Ikone der schwulen Kultur.
Für Klaus Biesenbach muss in Abgrenzung zur Pornografie „eine gewisse Kunstfertigkeit zu erkennen sein – eine Formfindung oder ein Ausformen sozusagen. Es gibt also ein gewisses Level an Abstraktion oder Wiederholung oder etwas Vergleichbares.“ Die so schockierenden „Torso“-Bilder sind von Warhol wie Gemälde behandelt worden und sie zeigen auch einen gewissen Dualismus: Denjenigen, die als „explizit“ bezeichnet werden, sind jene gegenüberzustellen, die doch mehr „klassischer“ erscheinen. Sind sie lediglich „Recherche“ für Warhol gewesen? Diesen Dualismus wollen die Kuratoren zeigen, indem sie den „klassischeren“ Torsos, auf denen fast keine Genitalien zu sehen sind, „explizite“ Bilder gegenüberstellen. Denn ein Teil der Arbeiten Warhols ist privat geblieben, das trifft vor allem für seine Fotografien zu, die Polaroids der frühen 1960er Jahre, die Intimität und Sex zeigen; ein anderer Teil war für die Öffentlichkeit bestimmt. So findet bei Warhol ein ständiger Wechsel von Verbergen und Zurschaustellen statt.
Ja, Warhol wollte Schönheit finden im anderen Partner. Er begehrte ein Objekt und wollte gleichzeitig selbst dieses Objekt sein. Nicht nur in seinen Siebdrucken sind Doubles eine Form der Wiederholung, sondern auch ein performatives Mittel. Dopplungen überall: Da ist der doppelte Elvis und der doppelte Basquiat. Drag (hier übertriebene Männlichkeit) und Fluidität (die Veränderung der sexuellen Identität) waren für Warhol tatsächlich extrem wichtig.
Er hat seine Körperbilder als Landschaftsbilder bezeichnet; ganz wie eine Landschaft soll der Körper in den einzelnen Teilen betrachtet werden. Mit dessen Drehung verändert sich auch der Blickwinkel. Jene Körperstellen werden lokalisiert, die mit Begehren und Erotik verbunden sind und die Geschlechtergrenzen überschreiten. Wie wird der Körper geformt und manipuliert? Wo liegen die Wirkungsmechanismen von Intimität und Begehren? Das kommt besonders in seinen Filmen zum Ausdruck. Mit deren Fähigkeit, die Kamera richtig zu positionieren, alles zu verlangsamen, ins rechte Licht zu setzen vom weichen Grau bis zum Schwarz. Und eben auch Warhols Polaroids sind dynamisch, operieren mit schiefen Blickwinkeln, extremen Nahaufnahmen und ungewöhnlichen visuellen Effekten.
Das war wohl das Prinzip des mit 58 Jahren gestorbenen Performance-Künstlers im Pop-Konzept: die üblichen Erwartungen zu enttäuschen und zu unterlaufen. Ob ihm das in jedem Fall gelungen ist, wird der Betrachter zu entscheiden haben.
Andy Warhol – Velvet Rage and Beauty. Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, 10785 Berlin, bis 6. Oktober. Katalog in englischer Sprache mit deutschem Textbooklet (Prestel Verlag) 35 Euro.
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