27. Jahrgang | Nummer 6 | 11. März 2024

Denunziantenarbeit

von Wolfgang Brauer

Verpestet ist ein ganzes Land,
Wo schleicht herum der Denunziant.
(Max Kegel)

 

Am 22. Februar 1944 übergibt der SS-Untersturmführer und Hauptmann der Wehrmacht Bruno Schultz seinem Chef bei OKW ein dreieinhalbseitiges Denunziationsschreiben, in dem er „zersetzende Bemerkungen“ seiner Mitbewohner zitiert und zur Anzeige bringt. Seine Opfer sind der Karikaturist Erich Ohser und der Pressechef der Terra-Filmgesellschaft Erich Knauf. Beide waren im Herbst 1943 in der Berliner City ausgebombt worden und fanden im Dezember 1943 in Berlin-Kaulsdorf, Am Feldberg 3, am vermeintlich sicheren Stadtrand Unterkunft. Das Haus gehörte seinerzeit dem praktischen Arzt Dr. Hans Daubenspeck. Der ist als Militärarzt im Kriegseinsatz, dessen Familie – ebenso wie die Familien von Knauf und Ohser – hatte das unsichere Berlin verlassen. Im Januar 1944 zieht noch der Journalistenkollege Bruno Schultz samt Familie ein.

Schultz ist eine zwiespältige Figur mit offensichtlicher Bedeutungsgier. Eigentlich Verleger und künstlerischer Fotograf gab er von 1927 bis 1938 den Jahresalmanach Das deutsche Lichtbild heraus. Ursprünglich im geistigen Umfeld von László Moholy-Nagy verortet, wechselte er schnell die Seiten: Für den Jahrgang 1930 schrieb noch Kurt Tucholsky alias Peter Panter das Vorwort. 1934 gewann der Herausgeber einen gewissen Adolf Hitler als Vorwortschreiber und bedankte sich brav „in grenzenloser Liebe“. Schultzens 1938 herausgegebenes Mappenwerk „Das deutsche Aktwerk“ wird heute in den Antiquariaten teuer gehandelt.

Erich Knauf und Erich Ohser hatten sich bereits 1922 in Plauen kennengelernt. Knauf arbeitet dort bei der Plauener Volkszeitung und kann dem Freund einige Illustrationsaufträge vermitteln. Aus dem Freundesduo wird ein Trio, als der Schriftsteller Erich Kästner dazustößt. Die „drei Erichs“ waren in der linken Literaturszene der Republik ein Begriff. 1926 übernimmt Erich Knauf die literarische Leitung der „Büchergilde Gutenberg“, Ohser wird durch seine Zeichnungen und politischen Karikaturen – u.a. für den Vorwärts – schnell berühmt. Zu den Lieblingszielen seines spitzen Stiftes zählten Hitler und Goebbels. Die vergaßen ihn nicht… Das Jahr 1933 bringt für beide das materielle Aus. Ohser hat Berufsverbot, Knauf landet sogar für einige Wochen im KZ. Er hatte eine Operninszenierung verrissen, die allerdings Hermann Göring – als preußischer Ministerpräsident war er Oberhäuptling der Staatstheater – zugesagt hatte…

Beide finden aber ihre „ökologische Nische“: Ohser entwickelt die zauberhafte Comic-Folge „Vater und Sohn“ (1934-1937) für die Berliner Illustrierte Zeitung, die er jedoch nicht unter seinem Namen veröffentlichen darf. Aus den Initialen seines Namens und dem der Stadt, die ihm Glück gebracht hatte, entsteht das Pseudonym „e.o.plauen“. Als solcher arbeitet er seit 1940 sogar für die Goebbels-Wochenschrift Das Reich und zeichnet jetzt Stalin-Karikaturen.

Erich Knauf hingegen ist seit 1936 bei der Berliner Terra-Film beschäftigt. Die ästhetische Spannweite des Unternehmens liegt zwischen Veit Harlans „Jud Süß“ (1940) und Helmut Käutners „Große Freiheit Nr. 7“ (1944). Knauf kümmert sich besonders um das Produktionsteam Heinz Rühmanns. Für dessen Luftwaffen-Propaganda-Schinken „Quax, der Bruchpilot“ (1941) liefert er den Text des Schlagers „Heimat, deine Sterne“. Ein Hit in den Wunschkonzerten des Reichsrundfunks. Den könnte man ihm ja noch durchgehen lassen. Den Schmachtfetzen „Glocken der Heimat“ für den Film „Fronttheater“ (1942) von Arthur Maria Rabenalt nicht mehr. Übrigens stammt auch der Kanon „Der Frühling liebt das Flötenspiel“ aus „Die Feuerzangenbowle“ (1944) aus der Feder von Erich Knauf. Drei Wochen nach der Premiere des Films werden der Autor und sein Freund Erich Ohser verhaftet.

Ihr Vergehen: Sie taten „defaitistische Äußerungen im Luftschutzkeller“, so NS-Blutrichter Roland Freisler am 11. April 1944 in seiner Urteilsbegründung. Im Denunziationsbrief von Hauptmann Schultz liest sich das so: „Knauf und Ohser: ‚Ein deutscher Sieg wäre unser größtes Unglück, weil Hitler nach eigenem Ausspruch dann erst ein richtiger Nationalsozialist werden wolle.’“ Vor dem Volksgerichtshof steht Erich Knauf allein. Erich Ohser hatte sich bereits am 5. April voller Verzweiflung in seiner Gefängniszelle das Leben genommen. Erich Knauf, von Freisler zum Tode verurteilt, wird am 2. Mai 1944 in Brandenburg-Görden mit dem Fallbeil umgebracht. Es gibt Stimmen, die mit einer „beinahe erfolgten Urteilsmilderung“ durch Joseph Goebbels spekulieren. Der hatte allerdings auf die beiden bezogen im Tagebuch notiert: „Sie hatten diese Todesstrafe auch hundertfach verdient.“

Seit 2015 gibt es in Kaulsdorf einen Erich-Knauf-Weg. Bereits seit 1992 trägt eine von der dortigen Wernerstraße abgehende Ringstraße den Namen Ohserring. 1999 wurde vor dem Haus Am Feldberg 3 eine „Berliner Gedenktafel“ für Erich Knauf und Erich Ohser eingeweiht. Die Tafel hängt vor dem Haus auf öffentlichen Straßenland. Der seinerzeitige Besitzer verweigerte die Anbringung am Haus selbst. Im Kunsthaus Meerane wird seit 2011 ein Teil des künstlerischen Nachlasses von Erich Knauf gezeigt. Wolfgang Eckert veröffentlichte 1998 „Heimat, deine Sterne… Leben und Sterben des Erich Knauf“. Eine Werkausgabe Knaufs steht noch immer aus.

Erich Ohsers Arbeiten sind dank der Bemühungen des Konstanzer Südverlages inzwischen wieder leicht zugänglich. Und seit 1993 gibt es in Plauen die „galerie e.o.plauen“ im Erich-Ohser-Haus. Davor steht seit 2010 eine hübsche Figurengruppe, 1995 geschaffen vom Leipziger Bildhauer Erik Seidel: „Vater und Sohn“.

Die Denunzianten erlitten übrigens ein übles Schicksal: Bruno Schultz starb in einem Lager der Roten Armee an Typhus. Gerhart Weise, ein Freund Ohsers, der beide durch ein Leumundszeugnis wahrscheinlich hätte retten können – er sollte u.a. die Glaubwürdigkeit des Denunzianten bewerten –, stirbt im Herbst 1945 in einem Verhörkeller der GPU an der Diphterie, wie Recherchen der Tochter Eva Züchner ergaben. 2010 hatte Züchner das überaus lesenswerte Buch „Der verschwundene Journalist“ veröffentlicht, in dem sie versucht herauszufinden, wie so einer so werden konnte.

Keine Diktatur hat über längere Zeit Bestand, wenn sie nicht auf ihre Zuträger und Ohrenbläser bauen kann. Das gilt auch heute.