Hochgelegen über dem Saaletal, in der Nähe von Rudolstadt und 35 Kilometer entfernt von Weimar. Das Wasserschloss Kochberg. Seit vergangenen Tagen stets ein gästeoffenes Haus. In der klassischen Periode besonders oft begangen und besucht. Geadelt durch Herrn Goethes häufige Anwesenheit in den Jahren 1775 bis 1786 auf dem Landsitz der Familie von Stein. Seiner Freundin Charlotte von Stein wegen. Das Hohe Haus – auffallend in Weiß mit roten Fensterumrandungen gehalten – umgibt ein Landschaftspark. Darin ein intimes kleines Theater, von Charlottes Sohn Carl im klassizistischen Stil errichtet. Das Ensemble aus Schloss, Park und Kulturstätte glich einem Musenhof im Kleinen, angeregt durch die herzogliche Hofhaltung in Weimar.
Die Steinschen Besitzungen blieben bis zur Bodenreform und Enteignung nach dem 2. Weltkrieg in der Familie. Danach gingen, den Wirren der Zeit geschuldet, die zuständigen Stellen für Betreuung und Nutzung von Hand zu Hand. Flüchtlinge zogen in die historischen Räume. Lehrlinge eines landwirtschaftlichen Betriebes nahmen Quartier. Die alte Bausubstanz und alle Grünflächen erlitten Schaden. Man hatte derzeit andere Sorgen. Doch Denkmalschutz und Kulturbeflissenen blieb die kostbare Trinität im Blick. – Zu Ehren des 200. Geburtstags Goethes richtete man im Jahr 1949 ein kleines Museum ein, das der Öffentlichkeit erstmals den Zutritt zum Schloss erlaubte.
Die erfreuliche Wende geschah, als die „Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar“ (NFG) die Anlage übernahmen. Mit dem Direktor Professor Helmut Holtzhauer an der Spitze, einer Persönlichkeit, der es gelang, die kritische Wirtschaftslage der DDR für gefasste Entschlüsse mit Beharrlichkeit, Diplomatie und Durchsetzungsvermögen zu überwinden. Nicht ohne Unterstützung von Mitarbeitern gleichen Sinnes. Zu ihnen gehörten auch, neben anderen, Heidemarie Förster-Stahl, Theater- und Musikwissenschaftlerin, der Germanist Jürgen Förster und Jürgen Beyer, der Architekt.
Unter schwierigsten Bedingungen wurden die Materialbeschaffung organisiert, Handwerker gewonnen, Finanzen erstritten. Zwischen 1968 und 1975 fand eine grundlegende Restaurierung statt. Erfolg: Das Museum (Goethe-Gedenkstätte) erfuhr eine Erweiterung, zehn Gästezimmer wurden in den oberen Geschossen des Schlosses eingerichtet und das kleine Liebhabertheater wurde nach vierzig Jahren Stillstand wieder bespielt, beständig bei ausverkauftem Haus.
Nach vergeblichem Bemühen um einen Nutzungspartner fragten die „Forschungs- und Gedenkstätten“ beim „Kulturfonds der DDR“, einer Einrichtung des Kulturministeriums, an, ob Interesse bestünde, im Schloss Kochberg eine Arbeits- und Erholungsmöglichkeit für Künstler zu schaffen, ähnlich wie in Wiepersdorf. Die Anfrage wurde bejaht und die Finanzierung durch staatliche Subventionen weitgehend gesichert. Der „Kulturfonds“ hatte die Aufgabe, Künstler vor Existenznöten zu bewahren und sie mit Aufträgen, Stipendien, Bildungsreisen, Ankäufen von Kunstwerken und ähnlichen Aktionen zu unterstützen. Eine gewisse ideologische Treue der Betreffenden setzte man voraus.
Schloss Kochberg erhielt 1977 den Status einer „Arbeits- und Erholungsstätte für Schriftsteller und Künstler“ (AES) und behielt ihn bis 1990. Bis dahin ein beliebter und zu jeder Jahreszeit gern aufgesuchter Fluchtort für Ruhe, Entspannung, Begegnung, Gedankenaustausch, zum Schaffen anregend – und zum Nichtstun. Die Gäste kamen und gingen und kamen wieder. Sie fühlten sich wohlaufgehoben in der umsichtigen Betreuung des Hauses. Die Zimmer schlicht, aber zweckmäßig eingerichtet, zur Beschaulichkeit und zum Tätigsein gleichermaßen einladend. Gesellschaftsräume, ein anheimelnder Gewölbekeller. Überall Keramiken aus der Werkstatt Ulli Wittich-Großkurth und an den Wänden Grafiken, Aquarelle und Ölbilder Thüringer Künstler. Den Musikern standen zwei Flügel und zwei Klaviere zur Verfügung. Die Gästeschar war zahlreich, gemischt und prominent. Unter ihnen befanden sich Otto Mellies, Angelica Domröse, die Erpenbecks, Volker Braun, Sigrid Damm, Manfred Wekwerth, Siegfried Matthus, Georg Katzer, Andreas Dresen. Im vielbespielten Theater gastierten auch die Pianisten Peter Rösel, Dieter Zechlin, Elfrun Gabriel und Annerose Schmidt.
Zur Erholung lockten: Der gepflegte, idyllische Park, ein kleines Freibad hinter der Parkgrenze; für passionierte Reiter bestand die Möglichkeit, ein Pferd zu besteigen, und Wanderfreudige konnten die schöne Thüringer Landschaft erkunden.
Annerose Schmidt schrieb 1979 ins Gästebuch: „… eine historisch-lebendige Atmosphäre, stete und unaufdringliche Freundlichkeit aller ‚dienstbaren Geister‘, eine rundum gepflegte Gastlichkeit in lieblicher Landschaft. Ein architektonisches Kleinod ist wiedererstanden, dessen […] Nutzung gleichermaßen geistigen Ruhepunkt wie neuen schöpferischen Impuls bewirkt.“
Der jetzt erschienenen umfänglichen Schrift Heidemarie Förster-Stahls sind Fotomaterial und bezugnehmende Beiträge von Volker Braun, Sigrid Damm, Friedrich Dieckmann, Wulf Kirsten und Manfred Wekwerth angefügt. Großes Verdienst gebührt der Autorin, Zeitzeugin der ersten Stunde und Chronistin, durch ihr historisch-ergänzendes Werk eine Lücke in der Geschichte des Schlosses Kochberg gefüllt zu haben.
Förster-Stahl, Heidemarie: Refugium auf Zeit. Die Arbeits- und Erholungsstätte für Schriftsteller und Künstler Schloss Kochberg 1977-1990, Die Stadt Rudolstadt, Rudolstadt 2023, 138 Seiten, 18,00 Euro.
Schlagwörter: Heindemarie Förster-Stahl, Kulturfonds der DDR, Renate Hoffmann, Schloss Kochberg