27. Jahrgang | Nummer 2 | 15. Januar 2024

Nochmals – Robert Kagan

von Hannes Herbst

[…] wir können keinen Präsidenten überleben,

der bereit ist, unsere Verfassung außer Kraft zu setzen.

 

Liz Cheney,

ehemalige republikanische Kongressabgeordnete

 

 

Seinem sehr ausführlichen Essay in der Washington Post vom 30. November 2023 darüber, dass ihm eine Trump-Diktatur in den USA „zunehmend unvermeidbar“ erscheine (siehe Blättchen 26/2023), ließ Robert Kagan nur eine Woche später eine weitere Wortmeldung, ebenfalls in der Post, folgen; Überschrift nunmehr: „The Trump dictatorship: How to stop it“ (Die Trump-Diktatur: Wie man sie stoppen kann). Also alles halb so schlimm? Hat der Autor dem Menetekel die Entwarnung quasi auf dem Fuße folgen lassen? Keineswegs. Man wurde bei der Lektüre vielmehr eines Schlimmeren belehrt.

Das begann schon mit Kagans Einstieg: „Das Problem war nie, zu wissen, was zu tun ist. Das Problem war vielmehr, tatsächlich zu handeln. In der Vergangenheit mussten Menschen, um Trump zu stoppen, Risiken eingehen und Opfer bringen, die sie nicht bringen wollten, sei es aus Egoismus, Angst oder Ehrgeiz. Heute sind die Herausforderungen noch größer, aber es gibt kaum Anzeichen dafür, dass die Menschen, die wir brauchen, um sich der Situation zu stellen, eher bereit sind, dies zu tun als in den letzten acht Jahren.“

Anschließend ging der Autor ins Detail.

Um Trump als Kandidaten der Republikanischen Partei doch noch zu verhindern, wäre es zunächst erforderlich, „alle Anti-Trump-Kräfte in der Republikanischen Partei hinter einem einzigen Kandidaten zu vereinen, und zwar sofort“. Infrage dafür käme zuvorderst Nikki Haley, „weil sie eindeutig die fähigste Politikerin unter den verbleibenden Kandidaten ist und diejenige, die die besten Chancen hat, Trump herauszufordern“. Andererseits – selbst wenn Haley in den Vorwahlen sämtliche Stimmen bekäme, die jetzt noch auf die anderen Nicht-Trump-Kandidaten der Republikaner verteilt wären, würde dies bei weitem nicht reichen, um gegen Trump zu obsiegen. Dazu müsste Haley Trump, hinter dem „mehr als 50 Prozent der Partei“ ständen, Wähler in Größenordnungen abspenstig machen.

„Wie will sie das bewerkstelligen?“, fragt Kagan und analysiert deswegen die Anhängerschaft Trumps, die sich in drei Gruppen einteilen lasse. Die große Mehrheit sei dem „‚Trump-Kult‘ […] völlig verfallen“ und „für Haley unerreichbar“. Ein kleinerer Prozentsatz sei für Trump, weil Umfragen besagten, dass er Biden schlagen und die Republikaner zurück an die Macht bringen könnte, was das primäre Ziel dieser Gruppe sei. Die würden daher nicht in vollem Galopp (Wahlkampf) die Pferde wechseln. Und dann wäre da noch ein kleiner Rest von etwa sechs Prozent an Republikanern, die ihre Unterstützung für Trump davon abhängig machten, dass dieser nicht in einem der anhängigen Verfahren verurteilt werde.

Kagans Fazit: „Haley hat […] keine Chance, mehr als einen kleinen Teil der derzeitigen Trump-Anhänger zu gewinnen […].“

An dieser Stelle gestattet sich Kagan eine Abschweifung – einen kritischen Blick auf Haleys politische Perspektiven und damit auf ihre mögliche Motivationslage: Sie könnte in den Vorwahlen „eine respektable Leistung als Kandidatin Nr. 2 erbringen und sich so als Trumps Vizepräsidentschaftskandidatin aufstellen lassen, wenn er sie denn haben will […]. In diesem Fall wäre ihr gesamter Wahlkampf nur Show gewesen und hätte vor allem dazu gedient, Trump-Skeptiker auf den Trump-Zug aufspringen zu lassen.“

Wollte Haley, so Kagan weiter, „jedoch ernsthaft versuchen […], Trump zu stoppen, gibt es bloß einen Weg, seine riesige Mehrheit zu beschneiden“, und der bestehe darin, ihn als „inakzeptabel“ und somit „unwählbar erscheinen zu lassen“: „Trumps diktatorische Tendenzen und seine offene Verachtung für die Verfassung können zu seinen größten Schwachstellen werden […], wenn sie dem amerikanischen Wähler hinreichend deutlich gemacht werden […].“

Allerdings ist die derzeitige Realität in der Republikanischen Partei, wie Kagan sofort nachschiebt, eine völlig gegensätzliche: „Versuchen Haley und andere Republikaner […], diese Schwachstellen auszunutzen? Nein. Ganz im Gegenteil, sie helfen Trump, indem sie seine Akzeptanz als Präsident ständig bekräftigen. Jedes Mal, wenn Haley und andere Republikaner sagen, dass sie Trump unterstützen werden, sollte er der Kandidat werden, teilen sie den republikanischen Wählern, einschließlich ihrer eigenen Anhänger, mit, dass Trump akzeptabel ist. […] Haleys Haltung ist nicht bloß inkohärent, sie ist auch fatal für ihre eigenen Aussichten.“

Zugleich vertritt Kagan die Auffassung: „Es bräuchte nicht viele Reden oder gut platzierte Interviews oder Auftritte in Sonntagssendungen von den richtigen Leuten, […] um Trump in den Vorwahlen Paroli zu bieten.“ Doch selbst von namhaften früheren republikanischen Amtsträgern, die überwiegend nichts zu verlieren hätten, ist Schützenhilfe gegen Trump offenbar nicht zu erwarten: „Wozu haben Menschen wie Condoleezza Rice, James Baker und Henry Paulson Jr. all ihre Erfahrung und ihr Ansehen erworben, wenn nicht, um sie in diesem Moment der nationalen Gefahr einzusetzen? […] Wo ist der Gouverneur von Georgia, Brian Kemp, der Mann, der sich mutig gegen Trumps Versuch gewehrt hat, die Wahlen 2020 zu stehlen? Wo sind all die Beamten, die aus erster Hand erfahren haben, was für eine Gefahr Trump ist, und die es gelegentlich laut ausgesprochen haben, Leute wie der ehemalige Generalstaatsanwalt William Barr und der ehemalige Stabschef des Weißen Hauses, General John Kelly? Wo ist der ehemalige Vizepräsident Mike Pence, der unser Regierungssystem vor fast drei Jahren im Alleingang gerettet hat? War das seine letzte Amtshandlung? Und wo ist eigentlich der ehemalige Präsident George W. Bush, der bekanntlich von Trump entsetzt ist? Ein Wort von ihm würde viel dazu beitragen, andere zu ermutigen. Was für ein Dienst, den er seinem Land erweisen könnte. Wofür sparen sie es sich auf?“

Hinzu kommen laut Kagan zwei weitere, in der Endkonsequenz das Trump-Lager begünstigende Faktoren: Der eine liege in möglichen „Kandidaturen von Drittparteien“, die Kagan für „katastrophal“ hält: „Eine parteiübergreifende Kandidatur der Mitte […] wird Trump mit Sicherheit den Wahlsieg bringen, indem sie Biden mehr Stimmen entzieht als Trump.“ Der andere sei systemischer Natur. Zwar sei „eine Mehrheit der Amerikaner gegen Trump“, aber „so wie unser System heute funktioniert, kann sich diese Mehrheit nicht zusammenfinden“.

Und Trump selbst? Der habe „eindeutig beschlossen, dass seine beste Antwort auf den Vorwurf, ein potenzieller Diktator zu sein, darin besteht, noch einen draufzusetzen. Anstatt zu versuchen, die Menschen zu beruhigen, indem er die Anschuldigungen gegen ihn zurückweist, droht er mit weiteren Untersuchungen und Verfolgungen, sollte er Präsident werden. Und er hat eine weitere Seite aus dem Handbuch für Diktatoren übernommen: Er behauptet, er sei der Retter der Demokratie […].“ Ob es Trump gelingen werde, „dieses Narrativ zu etablieren“, fragt Kagan und antwortet unmissverständlich: „Darauf können Sie wetten, und zwar aus den Gründen, die im vorangegangenen Beitrag dargelegt wurden: Wenn er der […] Kandidat wird, steht ihm der riesige republikanische Wahlkampfapparat zur Verfügung, der seine Linie stündlich verkündet.“

Kagans zweiter Essay schließt mit den Worten: „Ich bin zutiefst pessimistisch, aber ich könnte mir nichts sehnlicher wünschen, als im Unrecht zu sein.“

Die seit dem Erscheinen seines Beitrages vergangenen Wochen haben leider keine Anhaltspunkte dafür geliefert, dass diese Sehnsucht in Erfüllung gehen könnte.